«Da spielten also 60 Millionen Deutsche gegen uns. Aber uns genügten elf Spieler»

Deutschland trug sein erstes Länderspiel 1908 aus – gegen die Schweiz. Seither gab es immer wieder geschichtsträchtige Partien zwischen den beiden Ländern. Ein fussballhistorischer Rückblick.

«da spielten also 60 millionen deutsche gegen uns. aber uns genügten elf spieler»

Ausnahmsweise gehalten: Torwart Charly Elsener pariert einen Schuss von Uwe Seeler. Doch das WM-Spiel Schweiz-Deutschland vom 12. Juli 1966 in Sheffield endet 0:5.

Der Deutsche Fussball-Bund (DFB) ist der grösste nationale Sportverband der Welt und zählt sieben Millionen Mitglieder, also fast so viele, wie die Schweiz Einwohner hat. Die deusche Nationalmannschaft wurde fünfmal Welt- und viermal Europameister und stand insgesamt fünfzehnmal im Finale einer Endrunde.

Die entsprechenden Zahlen für die Schweizer Nati lauten bekanntlich: null, null und nochmals null. Trotz der ungleichen Stärkeverhältnisse haben die beiden Länder eine lange und innige Fussballbeziehung, die in der Vergangenheit durchaus auf beiden Seiten für Emotionen sorgte.

Hier einige denkwürdige Momente:

• Das erste Länderspiel in der Geschichte des Deutschen Fussball-Bundes DFB? 1908 in Basel gegen die Schweiz. (Schweiz gewinnt 5:3!)

• Die erste Partie der als Kriegstreiber geächteten Deutschen nach dem Ersten Weltkrieg? 1920 gegen die Schweiz.

• Das erste Länderspiel der international völlig isolierten und aus dem Weltfussballverband Fifa ausgeschlossenen Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg? 1950 gegen die Schweiz.

• Der erste Gegner nach der Wiedervereinigung? Die Schweiz.

• Zum hundertjährigen Jubiläum des DFB im Jahr 2000? Die Schweiz.

«da spielten also 60 millionen deutsche gegen uns. aber uns genügten elf spieler»

Wenn der Deutsche Fussball-Bund etwas zu feiern hat, ist klar, wen er einlädt: Schweizer Nati vor dem Jubiläumsspiel zum hundertjährigen Jubiläum des DFB (in Kaiserlautern, 26.4. 2000; Endstand 1:1).

Es war dabei nicht so, dass die unmittelbar nach den Weltkriegen ausgetragenen Partien unserem Land besonders viel Beifall aus dem Rest Europas eingetragen hätten. So sagte Belgien 1920 aus Protest ein Länderspiel gegen die Schweiz ab, und als 1948 drei hiesige Vereinsmannschaften trotz eines von der Fifa verhängten Verbots nach Stuttgart, München und Karlsruhe reisten, um gegen dortige Auswahlen anzutreten, wurden sie mit Bussen belegt und von der ausländischen Presse scharf kritisiert.

Dabei erfüllten die Begegnungen aus Schweizer Sicht durchaus einen pädagogischen Zweck. Darauf drängend, das Spielverbot gegen Deutschland aufzuheben, schrieb ein Vertreter des Schweizer Fussballverbandes an die Fifa: «Der Deutsche muss, soll er geheilt werden, wieder in Kontakt mit der anderen, der demokratischen Welt gebracht werden.»

Und die Zeitung «Sport» forderte ihre Leserschaft gar auf, sich mittels Spenden an den ausgesprochenen Bussen zu beteiligen – «zur Unterstützung des Sportgeistes, gegen den Paragraphengeist».

Ein Leser, der einen Beitrag einzahlte, schrieb: «Vorher Bücklinge vor Nazi-Deutschland, jetzt Eselstritte und Rückenschüsse für alle, die aus Deutschland eine Demokratie schaffen wollen.»

Die Dankbarkeit der Deutschen

Die Deutschen ihrerseits zeigten sich stets dankbar für die Treue der Verwandten. Bei der Nachkriegspremiere von 1920, die auf dem Zürcher Utogrund stattfand, beging die deutsche Auswahl lediglich zwei Fouls. Der ungarische Schiedsrichter gab zu Protokoll, nie zuvor eine Mannschaft gesehen zu haben, die «so vornehm» spielt.

Das war ganz im Sinne der Gesandtschaft des Deutschen Reiches in Bern, die vor der Partie verlauten liess: Man wünsche nur Spieler zu sehen, die «über die entsprechenden gesellschaftlichen Formen verfügen, um der deutschen Sache nicht zu schaden». Gut möglich, dass die Zurückhaltung der deutschen Gäste einen gewissen Einfluss auf das Schlussresultat hatte: 4:1 für die Schweiz.

Im März 1922 dann das Rückspiel in Frankfurt (2:2): Auf dem Rathausplatz werden die Schweizer von 40 000 Menschen empfangen, bereits auf der Bahnfahrt wird ihnen überall zugejubelt.

In seiner Begrüssungsrede sagt ein Stadtrat: «Wir Deutsche werden es niemals vergessen, dass die Schweiz zu einer Zeit, wo die ganze Welt gegen uns stand, ihre unbedingt neutrale Haltung nicht verleugnet hat. Unter dem Symbol, das ihrem Wappen entstammt, dem Roten Kreuz, hat sich ihr ganzes Volk in den Dienst der Barmherzigkeit gestellt. Unsere Schweizer Gäste und die freie Eidgenossenschaft leben hoch!»

Fünfzehn Jahre später präsentierten sich die Dinge entschieden weniger freundlich. Als sich die Mannschaften der beiden Länder am 2. Mai 1937 im Zücher Hardturm zu einem Freundschaftsspiel trafen, reisten aus dem süddeutschen Raum mehr als zehntausend Anhänger an – sehr viele ausgerüstet mit Hakenkreuzfahnen und -wimpeln aller Grössen.

Das kam bei der lokalen Bevölkerung nicht gut an. Einer Gruppe von Deutschen, so hiess es später in einem Gestapo-Protokoll, wurden «ihre Fähnchen entrissen, die Fahnen zerfetzt und damit über das Gesäss gefahren. Der dabeistehende Polizist liess dies ruhig geschehen.»

Bei der Promenade am Zürichseeufer, berichtete ein Augenzeuge, seien deutsche Anhänger «von dreissig- bis vierzigjährigen Frauenpersonen angerempelt und mit Nazipack tituliert» worden.

Andere Zürcher verwickelten die deutschen Besucher in politische Diskussionen, vor allem auf der Fahrt mit dem Tram zum Stadion. Einem Ehepaar, das sich «voll und ganz zu unserem Führer» bekannte, wurde beschieden: «Wenn wir so einen Führer hätten wie ihr, hätten wir ihn schon längst mit Scheissdreck verschossen.»

Während der Partie, so berichtete ein junger Mann aus Stuttgart, hätten «immer in dem Moment, wo bei den deutschen Schlachtenbummlern die Hakenkreuzfähnchen hochgingen, um ihren Spielern zuzuwinken, Pfuirufe eingesetzt». Und als die deutschen Spieler nach dem Schlusspfiff ihre Arme zum Hitler-Gruss in die Höhe reckten, wurden sie von den Zuschauern ausgepfiffen.

1938: Schweiz gewinnt – ein Wunder!

Ein Jahr später: Was den Deutschen das «Wunder von Bern», ist älteren Schweizern das Mirakel von Paris. Am 9. Juni 1938 treten die beiden Mannschaften im WM-Achtelfinale im Parc des Princes erneut gegeneinander an.

Hier die kleine Schweiz, dort die Mannschaft «Grossdeutschlands», die jetzt aus deutschen und österreichischen Spielern besteht. Der «Völkische Beobachter» überschreibt seine Vorschau mit «60 Millionen Deutsche spielen in Paris». Nach einem 0:2-Rückstand gewinnt die Schweiz mit 4:2.

Das Land steht Kopf. Jubelnde Menschen ziehen durch die Strassen, Extrablätter erscheinen, der Parlamentspräsident unterbricht eine Debatte, die «Neue Zürcher Zeitung» berichtet erstmals auf ihrer Frontseite von einem Fussballspiel. Das «Limmattaler Tagblatt» freut sich, dass «die sportlichen Vertreter des demokratischen Viermillionenvolkes die Repräsentanten des unter militärischer und weltanschaulicher Fuchtel stehenden Grossreiches aus dem Felde schlugen».

Und der «Sport» bemerkt maliziös: «Da spielten also 60 Millionen Deutsche gegen uns. Aber uns genügten elf Spieler.»

Erstaunlicherweise wird während des Krieges weitergespielt, ohne dass jemand daran Anstoss nimmt. Zum Beispiel am 20. April 1941 in Bern. Die Schweiz gewinnt schon wieder. Ausgerechnet am Geburtstag des «Führers»!

Goebbels beschwert sich beim «Reichssportführer», in Zukunft dürfe «kein Sportaustausch gemacht werden, wenn das Ergebnis im Geringsten zweifelhaft» sei. Das welsche Blatt «Le Sport Suisse» frohlockt: «Die Lust, die Deutschen zu bezwingen, war gross im Lande.»

Am 22. November 1950 dann das erste Länderspiel eines Nationalteams der anderthalb Jahre zuvor gegründeten BRD. Das Stadion in Stuttgart, in dem man die Schweiz empfängt, heisst jetzt Neckarstadion und nicht mehr «Adolf-Hitler-Kampfbahn».

100 000 Zuschauer sind gekommen, andere Quellen sprechen von 115 000. Der lokale «Sportbericht» schreibt anderentags: «Die Schweiz ist eine Grossmacht des guten Willens, der wir unendlich viel verdanken.» Das Ergebnis, eins zu null für die Heimmannschaft, ist Nebensache. Zumindest für die Deutschen. Der Schweizer Sport befindet: «Im Ganzen waren die deutschen Spieler schneller, härter, wuchtiger.».

«da spielten also 60 millionen deutsche gegen uns. aber uns genügten elf spieler»

«Grossmacht des guten Willens»: Das erste Länderspiel der frisch gegründeten BRD findet am 22. November 1950 in Stuttgart statt. Natürlich gegen die Schweiz. Und natürlich gewinnt Deutschland (1:0).

Von der deutschen Zuneigung profitiert unsere Nati auch 1961. Da trägt die Schweiz gegen Schweden eine Entscheidungspartie um die Teilnahme an der WM in Chile aus (Schweiz gewinnt). Gespielt wird in Berlin – das ganze Stadion unterstützt das Schweizer Team.

Zu seinem hundertjährigen Bestehen gibt der Deutsche Fussball-Bund einen Jubiläumsband heraus. Er umfasst nicht weniger als 620 Seiten und handelt selbstredend von der stolzen und so häufig erfolgreichen Geschichte des deutschen Fussballs. Engländer, Franzosen, Brasilianer, Italiener, sie alle kommen in dem Buch nur am Rand vor. Ein Kapitel aber heisst: «Danke, Schweiz!»

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