Stella Assange kämpfte erst als Juristin für Julian Assange, dann hat sie sich in ihn verliebt und sein Image korrigiert
Stella Assange zeigte den angeschlagenen ;Egozentriker Julian als leidenden, liebenden Menschen. Hannah McKay / Reuters
Es ist alles noch ganz frisch. Stella Assange weiss erst seit wenigen Stunden, dass Julian Assange nach Jahren des Eingesperrtseins, dank einer Vereinbarung mit der amerikanischen Justiz, freikommt. Julian ist ihr Ehemann, der Vater ihrer zwei gemeinsamen Kinder, der Gründer von Wikileaks und Todfeind westlicher Geheimdienste. In diesem Moment gibt Stella Assange ein Interview mit der BBC.
«Sie sehen heute Morgen ganz anders aus, Ihr Gesichtsausdruck ist völlig verändert», sagt eine Journalistin zu Stella Assange. Diese lächelt, ihre Wangen leuchten rot. Was sich in den letzten Tagen und Stunden rund um Julian Assange getan hat, ist ein Sieg für ihn und seine Unterstützer. Und es ist auch ihr, Stella Assanges, Sieg.
In der Zeit vor Stella Assange war Julian eine Galionsfigur von Hackern, Systemkritikern, libertären Nerds. Kritiker und Staatsanwälte warfen ihm Eitelkeit, Ruhmsucht, Spionage vor. Es hiess, er habe die Wahl Donald Trumps begünstigt und lasse sich von Putin einspannen. Die schwedische Justiz ermittelte wegen zweier Sexualdelikte, ein europäischer Haftbefehl wurde erlassen. Assange verweigerte sich einer Befragung. Doch zu einer Anklage kam es nie.
Durch Stella erfuhr die Öffentlichkeit von einem anderen Julian. Sie erzählte von zwei Kindern, die ihren Vater noch nie in Freiheit gesehen haben. Von der Liebe zu ihrem Mann, den sie in fünf Jahren Haft nicht einmal küssen durfte. Sie zeigte den sonderlichen Egozentriker als leidenden, liebenden Menschen.
Die Juristin mit Decknamen
Stella Assange wurde 1983 in Johannesburg geboren. Ihre Mutter war eine spanische Theaterregisseurin, ihr Vater ein schwedischer Architekt. Ihre Kindheit und Jugend verbrachte Stella Assange in Südafrika, Botswana, Lesotho, Schweden, Spanien.
Nach ihrer Schulzeit erwarb Stella Assange in London einen Abschluss in Recht und Politik, dann einen Master in Flüchtlingsrecht in Oxford. Später schloss sie in Madrid ein Völkerrechtsstudium ab. 2011 wurde sie Teil des Anwaltsteams von Wikileaks und lernte so Julian Assange kennen. Er hatte 2010 das «Afghan War Diary» veröffentlicht, eine Sammlung von Geheimdokumenten, die amerikanische Kriegsverbrechen in Afghanistan offenlegten.
Wegen ihrer Kompetenz als Juristin und ihrer schwedischen Wurzeln erhielt Assange den Auftrag, die Auslieferung von Assange an Schweden zu verhindern.
Julian Assange war damals im Visier amerikanischer Geheimdienste. Sein Anwaltsteam sollte im Verborgenen agieren, Aufmerksamkeit meiden. Stella Assange ging so weit, dass sie ihren Geburtsnamen Sara Devant aufgab. Zunächst nannte sie sich neu Stella Moris und später Stella Moris-Smith Robertson.
2012 flüchtete Julian Assange vor der Justiz in die ecuadorianische Botschaft in London. Stella Assange besuchte ihn an diesem Zufluchtsort regelmässig. Erst als Anwältin und Unterstützerin, dann verliebte sie sich und wurde seine Partnerin. In dieser Zeit zeugte er mit Stella Assange zwei Kinder. Das Paar versuchte, die Beziehung und die Vaterschaft Assanges zunächst zu verheimlichen. Vergeblich.
2019, nach sieben Jahren, verlor Julian Assange durch einen Machtwechsel in Ecuador den Schutzstatus in der Botschaft. Englische Polizisten verhafteten ihn. Von da an sass Assange in London in einem Hochsicherheitsgefängnis. Ihm drohte noch immer die Auslieferung in die USA und damit verbunden eine 175-jährige Haftstrafe.
Dadurch geriet Stella Assange in eine Doppelrolle. Zwar blieb sie eine Kämpferin für Assanges Sache, doch in der Öffentlichkeit wurde sie nun zu einer leidenden, engagierten Mutter und Ehefrau.
Stella Assange organisierte Demonstrationen und Protestaktionen. 2022 initiierte sie vor dem britischen Parlament in Westminster eine Menschenkette, um die Auslieferung ihres Mannes zu verhindern. Ein Jahr später reiste sie mit ihren Kindern nach Rom und traf dort den Papst zu einer Privataudienz.
Hochzeit ohne Foto
Stella Assange hat im Gegensatz zu ihrem Mann verstanden, dass die öffentliche Meinung über Erfolg oder Misserfolg mitentscheiden kann. Und dass man sie gezielt beeinflussen kann.
Julian Assange, der sich stets als Verteidiger der Pressefreiheit sah, sagte einmal, Wikileaks wolle den Journalismus nicht retten, sondern zerstören. Für ihn gab es nur Fakten, jede Leserin und jeder Leser sollte sich daraus selbst ein Urteil bilden. Ohne Einordnung, ohne Vermittlung durch die Medien. Und, wie Assange glaubte, ohne Lügen.
Stella Assange verfolgte einen entgegengesetzten Ansatz. Sie wusste, dass Fakten allein noch keine Geschichte machen. Jedenfalls keine gute.
Vielleicht zeigte sich das am eindrücklichsten, als Stella und Julian Assange 2022 im Hochsicherheitsgefängnis heirateten. Ein australisches Fernsehteam begleitete Stella Assange in den Tagen vor der Hochzeit.
Das Fernsehteam zeigte Stella Assange bei einem Telefonat mit Julian. Das Gefängnis liess keine Trauzeugen zur Zeremonie zu und verwehrte dem Paar ein Hochzeitsfoto. Stella Assange sagte am Telefon zu Julian:
«Wieso fühlen sie sich von einem Hochzeitsfoto bedroht?»
Dann beantwortete sie die Frage selbst:
«Sie fürchten sich davor, dass du in der Öffentlichkeit wahrgenommen wirst.»
Am Ende der Sendung sahen die Zuschauer Stella Assange kurz vor der Hochzeit und umringt von Demonstranten. Stella steht vor dem Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh, vor ihr die Hochzeitstorte. Die Demonstranten tragen Schilder und Stella Assange ihr Hochzeitskleid.
In diesem einstündigen Fernsehbeitrag kämpft Stella Assange mit den Tränen, seufzt, dann herzt sie ihre Kinder. Es geht um Empathie, grosse Emotionen und dazwischen um den Kampf ihres Mannes. Nur von der eigentlichen Zeremonie gab es keine Bilder.
Stella Assange hat in den Medien und in der Öffentlichkeit neue Sympathien für ihren Ehemann geweckt. Politiker wie der australische Premierminister Anthony Albanese oder der ehemalige Vorsitzende der britischen Labour-Partei Jeremy Corbyn zeigten sich erfreut über seine Freilassung. Sogar die Richterin, die Julian Assange in die Freiheit entliess, äusserte ihre Hoffnung, dass nun ein wenig Frieden wiederhergestellt werde.
Stella Assange war in den vergangenen Jahren die Regisseurin von Julians Geschichte. Irgendwo zwischen Aktivismus und boulevardeskem Liebesroman.
Am ersten Tag, den Julian Assange nach zwölf Jahren wieder in Freiheit verbrachte, wandte sich Stella Assange an die Öffentlichkeit. Sie bewarb einen Unterstützungsfonds für ihren Mann, der unter psychischen und physischen Folgen der Haft leide.
Vielleicht arbeitet sie bereits an der Fortsetzung dieser Geschichte.