EU-Abkommen: Der Bundesrat behält sich das Ständemehr als Option offen
Justizminister Beat Jans vermochte mit dem Gutachten des Bundesamts für Justiz ;nicht zu überzeugen. Peter Schneider / Keystone
Der Bundesrat hat am Mittwoch eine Aussprache zum Europadossier geführt und sich über die harzig laufenden Verhandlungen im Bereich der Zuwanderung und des Lohnschutzes ausgetauscht. Im Rahmen dieser Aussprache befasste er sich zum zweiten Mal mit einem Gutachten des Bundesamts für Justiz (BJ), das seit Tagen in Bundesbern und darüber hinaus viel zu reden gibt und Anhänger wie Gegner des EU-Abkommens umtreibt. Es geht um die Frage, ob man das geplante Vertragspaket dereinst dem obligatorischen Referendum mit Volks- und Ständemehr unterstellen müsste oder ob das fakultative Referendum mit blossem Volksmehr genügen würde.
Bundesjuristen gegen Ständemehr
Der Bundesrat hatte dem Departement von SP-Justizminister Beat Jans im Frühling den Auftrag gegeben, diesen Punkt abzuklären. Die Juristen des Bundesamts für Justiz begnügten sich allerdings nicht mit einer zurückhaltenden Auslegeordnung, sondern gingen die Frage des Staatsvertragsreferendums dynamisch an. Sie kamen zum eher überraschenden Ergebnis, dass die freiwillige Unterstellung eines Staatsvertrags unter das obligatorische Referendum, das sogenannte Referendum sui generis, keine Verfassungsgrundlage habe und man sich deshalb die Frage stellen müsse, ob es überhaupt zulässig sei.
Das Parlament hat bisher drei Mal zum Referendum sui generis gegriffen, und zwar immer dann, wenn ein Staatsvertrag als ausserordentlich bedeutend angesehen wurde. Das letzte Mal war das beim EWR-Beitritt 1992 der Fall. Das Bundesamt für Justiz stellt sich auf den Standpunkt, dass diese Beispiele weder quantitativ noch qualitativ ausreichend seien, um auf eine gewohnheitsrechtliche Übung zu schliessen. Allenfalls und nur unter ganz engen Voraussetzungen liesse sich ein Referendum sui generis direkt aus der Verfassung ableiten, aber einzig für Staatsverträge, die bestimmte Grundelemente der Bundesverfassung wie die politischen Rechte oder die Kompetenzordnung offenkundig aushebelten. Beim EU-Vertragspaket sei dies nicht zu erwarten, deshalb habe das Ständemehr ausser Betracht zu bleiben.
Widerstand der Bürgerlichen
Die Sichtweise des Bundesamts für Justiz vermochte die Landesregierung allerdings nicht zu überzeugen. Dem Vernehmen stiess das Gutachten bei den Bundesräten der SVP und der FDP auf Widerspruch. Zurückweisen oder totschweigen konnte die Regierung das Gutachten nicht, da es in Bundesbern bereits kursierte und die Stossrichtung bekannt war.
Nun hat man das Problem auf andere Weise gelöst: Das Gutachten wurde am Mittwoch veröffentlicht. Gleichzeitig hält der Bundesrat in einer Medienmitteilung fest, dass er die rechtliche Analyse des BJ «zur Kenntnis genommen» habe. Er werde «im Rahmen der Botschaft zum Verhandlungspaket entscheiden, ob er der Bundesversammlung den Antrag stellen wird, das Verhandlungspaket dem fakultativen, dem obligatorischen oder dem obligatorischen Referendum sui generis zu unterstellen».
Die Landesregierung lässt sich damit erstens alle Optionen offen, wie sie weiter verfahren will; der definitive Entscheid, wie und in welcher Form sich dereinst die Schweizerinnen und Schweizer zum angestrebten Abkommen werden äussern können, obliegt ohnehin dem Parlament. Und zweitens macht der Bundesrat damit klar, dass er sich in keiner Weise an das Gutachten des BJ gebunden fühlt.
Das Ganze ist eine Blamage für das Bundesamt für Justiz, das ohne Not in diesem sensiblen staatspolitischen Bereich vorgeprescht ist. Es ist gut möglich, dass es sich amtsintern um eine vornehmlich akademisch getriebene Debatte handelte und die Juristen des BJ die Gelegenheit nutzen wollten, das ohnehin ungeliebte Staatsvertragsreferendum sui generis endlich zu beseitigen. Nicht auszuschliessen ist aber auch, dass es innerhalb des Justizdepartements mit dem EU-freundlichen Departementschef an der Spitze auch eine implizite Ermunterung gab, in diese Richtung Überlegungen anzustellen.
Parlament will Praxis beibehalten
Die abweisende Reaktion des Bundesrates ist insofern keine Überraschung, als das BJ in seinem Gutachten von jener Haltung abweicht, die die Landesregierung und die damalige Justizministerin Karin Keller-Sutter noch vor vier Jahren vertreten hatten. Damals bezeichnete der Bundesrat das Referendum sui generis ausdrücklich als Teil des ungeschriebenen Verfassungsrechts. Auch im Parlament wurde diese Auffassung in langen Debatten bestätigt und darauf hingewiesen, dass die ungeschriebene Praxis, einen Staatsvertrag freiwillig dem doppelten Mehr zu unterstellen, zu pragmatischen Lösungen führe und beizubehalten sei.