Führung versprochen, Phrasen geliefert: Kanzler Olaf Scholz stolpert durch die Krise
Viel geredet, wenig gesagt: Bundeskanzler Olaf Scholz beim ARD-Sommerinterview. M. Popow / Imago
Olaf Scholz ist kein Mann der klaren Worte. Seine Angewohnheit, sich in holprigen, mit Phrasen garnierten Nebensätzen zu verlieren, hat dem deutschen Bundeskanzler bereits den Spitznamen «Scholzomat» eingebracht. Was nicht weiter schlimm wäre, würde der Sozialdemokrat denn abseits von Regierungserklärungen und Interviews liefern.
Bislang aber fällt seine politische Erfolgsbilanz enttäuschend aus: Die Wirtschaft stagniert, die Migrationskrise bleibt ungelöst, und der Streit um den Bundeshaushalt lähmt seine Koalition. Bei den Bürgern hat sich deshalb mittlerweile Verunsicherung breitgemacht, inwiefern Scholz sein Versprechen, wer bei ihm Führung bestelle, bekomme sie auch, auch tatsächlich einlösen werde.
Im traditionellen Sommerinterview mit der ARD hätte Scholz nun die Möglichkeit gehabt, die Zweifel über seine Führungsfähigkeiten zu zerstreuen und einen Kurs für die verbleibenden Monate seiner Regierungszeit zu skizzieren.
Scholz will Bürgergeld reformieren – ein bisschen
Da wäre zum Beispiel die Debatte über das Bürgergeld. Die staatliche Transferleistung steht seit ihrer Einführung vor anderthalb Jahren in der Kritik. Empfängern werde mit der staatlichen Versorgungsleistung der Anreiz zur Arbeitsaufnahme genommen, Geringverdiener mit Job würden teilweise sogar schlechtergestellt, so werfen es Sozial- und Wirtschaftsexperten der Koalition aus SPD, Grünen und FDP seit Monaten vor.
Angesichts desaströser Wahlergebnisse waren deshalb in letzter Zeit sogar bei führenden Sozialdemokraten Stimmen lautgeworden, die eine stärkere Hinwendung zur «arbeitenden Mitte» eingefordert hatten. Und damit auch eine Änderung in den Sozialsystemen nicht länger ausschliessen wollten.
Auf die Frage, ob auch er sich eine Reform des Bürgergeldes vorstellen könne, geriet der Kanzler ins Schlingern. Es sei zwar gut, «dass wir jetzt hier darüber reden», stellte Scholz fest. Beliess es dann aber bei einem vagen Versprechen: «Wir werden die Treffsicherheit des Bürgergeldes erhöhen.» Wie eine solche Anpassung aussehen könnte, darüber wollte der Kanzler nicht sprechen.
Die Weigerung des deutschen Kanzlers, Prioritäten zu setzen und diese dann auch offensiv in die Öffentlichkeit zu tragen und dort zu verteidigen, ist einer der Gründe, warum sich in den letzten Monaten viele Wähler von seiner Partei abgewandt haben.
Kanzler schliesst Koalitionen mit Wagenknecht nicht aus
Davon sind mehrere politische Analysten überzeugt. Profitieren konnte die Neupartei BSW der ehemaligen Linkenchefin Sahra Wagenknecht, die bei der vergangenen Europawahl aus dem Stand mehr als 6 Prozent der Wählerstimmen gewann.
Sollte sich der Siegeszug der Linkspopulisten bei den anstehenden Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg fortsetzen, und dafür spricht derzeit einiges – Scholz’ SPD stünde dann demnächst vor der Entscheidung, ob sie Regierungskoalitionen mit einer Partei eingehen möchte, deren Programm eine krude Mischung aus antiamerikanischen Verschwörungstheorien und sozialistischer Verteilungspolitik ist. Während er eine Koalition auf Bundesebene vorerst ausschloss, liess er eine Zusammenarbeit auf Landesebene offen. «Was in den Ländern gemacht wird, muss vor Ort beurteilt werden», sagte der Kanzler im Interview.
Corona-Pandemie: Scholz zeigt sich selbstkritisch
Zumindest leichte Selbstkritik und vergleichsweise klare Worte äusserte Scholz, als er auf die Pandemiepolitik der vergangenen Jahre zurückblickte. Es habe «ein paar Entscheidungen» gegeben, stellte der Kanzler klar, «die drüber waren». Und meinte damit nicht zuletzt die Maskenpflicht und harte Ausgangssperren, die vom Staat diktiert worden waren.
Aber auch bei den Corona-Einschränkungen für Kinder und Jugendliche zeigte sich der Kanzler kritisch. Wenn man nachträglich eine Bilanz ziehe, dann müsse man zu dem Schluss kommen, dass in Deutschland die Schulen länger geschlossen worden seien als in anderen Ländern. «Und das war sicherlich nicht die richtige Entscheidung.» Über konkrete Schritte zur politischen Aufarbeitung der Corona-Zeit verlor sich Scholz abermals im Ungefähren. Er beliess es bei der Andeutung, dass er Bürgerräte als ein geeignetes Forum für eine solche Aufgabe sehe.
Keine Zweifel plagen den Kanzler indes bei der Frage, wer der nächste Kanzlerkandidat der Sozialdemokraten werden soll: er selbst. Zwar liegt Scholz in Beliebtheitsumfragen mittlerweile weit abgeschlagen hinter seinem Verteidigungsminister und Parteifreund Boris Pistorius, die Genossen glaubt er dennoch weiter hinter sich. Von allen relevanten Führungskräften in der SPD werde «ganz klar» gesagt: «Wir gehen gemeinsam nach vorne und übrigens auch in die nächste Bundestagswahl, um sie zu gewinnen.»