Das Militär kehrt nach langer Abstinenz als politischer Akteur zurück: Ein interner Machtkampf der Sozialisten destabilisiert Bolivien
Demonstranten unterstützen Präsident Luis Arce, der am Mittwoch vom Balkon des Regierungspalastes winkt. Marcelo Perez del Carpio / Bloomberg / Getty
Bolivien galt lange als das Land der chronischen Militärputsche. Seit 1950 war das Militär an 23 Staatsstreichen beteiligt. Doch vor fast zwanzig Jahren hatten sich die Streitkräfte des Andenlandes weitgehend aus der Politik zurückgezogen. Mit dem mutmasslichen Putschversuch in dieser Woche haben sie sich als politischer Akteur zurückgemeldet.
Grund ist das politische Vakuum, das in Bolivien seit rund zwei Jahren aufgrund eines erbitterten Machtkampfes herrscht: Präsident Luis Arce und der mehrfache Ex-Präsident Evo Morales stehen sich gegenüber. Beide sind langjährige Weggefährten: Arce war von 2006 bis 2019 Minister für Wirtschaft und Finanzen unter Präsident Morales.
Doch nun kommen sich ihre politischen Ambitionen in die Quere: Beide wollen bei den Wahlen im August nächsten Jahres erneut für das Präsidentenamt kandidieren. Für Morales wäre es das dritte Mal, was die Verfassung verbietet. Bereits als Präsident hatte er die gesetzlichen Beschränkungen für eine Wiederwahl mehrfach zu seinen Gunsten ändern lassen, so dass er 13 Jahre regieren konnte.
Morales sieht sich selbst als Opfer eines Putsches
Doch 2019 scheiterte Morales mit dem Versuch, sich wiederwählen zu lassen. Es hiess, die Wahlen seien manipuliert worden. Die Bevölkerung protestierte. Es kam zu gewalttätigen Auseinandersetzungen, bei denen 36 Menschen ums Leben kamen. Das Militär forderte Morales auf, das Land zu verlassen. Morales floh ins Exil nach Mexiko und Argentinien. In Bolivien kam es zu einem Interregnum, in dem die Vizepräsidentin des Senats, Jeanine Áñez, Übergangspräsidentin wurde.
Morales und dessen Partei Movimento al Socialismo (MAS) betrachten die damalige Absetzung als Putsch. Nachdem der von Morales als Nachfolger vorgeschlagene Arce 2020 an die Macht gekommen war, wurde den mutmasslichen Verschwörern der Prozess gemacht. Áñez wurde zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt. Der Oppositionsführer Luis Fernando Camacho sitzt ebenfalls in Untersuchungshaft.
Morales kehrte nach dem Wahlsieg Arces nach Bolivien zurück und erklärte, er werde 2025 erneut kandidieren. Präsident Acre wiederum beruft sich darauf, dass nur er als legitimer Kandidat der MAS antreten könne. Anfang letzten Jahres kam es zu einem öffentlichen Zerwürfnis zwischen den beiden.
Seitdem schadet der Streit der einstigen Weggefährten Bolivien zunehmend – politisch wie wirtschaftlich.
So gelingt es Morales mit seiner starken Basis in der MAS, die Regierung im Kongress weitgehend zu blockieren. Präsident Arce kann etwa keine Kreditverträge mit Entwicklungsbanken unterzeichnen und vom Kongress ratifizieren lassen. Ebenso wenig kann er Lizenzen für die weltweit grössten Lithiumvorkommen vergeben.
Der langjährige frühere Präsident Evo Morales will zurück an die Macht und wühlt mit seinen Ambitionen das ganze Land auf. David Mercado / Reuters
Gleichzeitig leidet das Land, das doppelt so gross ist wie Frankreich, unter Dollarknappheit. Die Differenz zwischen dem offiziellen Dollarkurs und dem Wechselkurs auf dem Schwarzmarkt beträgt 50 Prozent. Einst wichtige Devisenbringer und Steuerquellen wie die Erdgasindustrie produzieren immer weniger. Seit Jahren wird immer weniger in die Förderung investiert.
Dem Land fehlen die verlässlichen Devisenquellen
Bolivien muss Treibstoffe importieren, welche die Regierung im Land subventioniert. Inzwischen wird das Benzin knapp. Gleichzeitig steigt die Inflation, was vor allem der dominierende informelle Sektor des Landes direkt zu spüren bekommt.
Die Wirtschaftskrise lässt die Popularität von Präsident Arce sinken: Bei den Wahlen 2020 wurde der wenig charismatische Politiker gewählt, weil er als besonnener Ökonom galt, der für das Wirtschaftswunder unter der Regierung Morales stand.
Doch dieses Wirtschaftsmodell war schon damals wenig nachhaltig: Denn der ehemalige Koka-Gewerkschafter Morales profitierte wie die meisten linken Regierungen Lateinamerikas von den hohen Rohstoff- und Energiepreisen Anfang der 2000er Jahre. Zudem verstaatlichte er die gesamte Industrie und hatte so Zugriff auf die Einnahmen. Mit den sprudelnden Steuereinnahmen konnte Morales die Rate der extremen Armut von 15 Prozent der Bevölkerung bei seinem Amtsantritt 2006 auf 2 Prozent im Jahr 2019 senken, wie die Weltbank mitteilte.
Doch auch der 64-jährige Morales hat bei den zwölf Millionen Einwohnern des Landes stark an Sympathien verloren – vor allem wegen seiner hartnäckigen Ambitionen auf das höchste Amt. Es sieht so aus, als ob Bolivien noch lange dem Streit zweier Egos ausgeliefert sein wird.