«Ich bin manchmal etwas revolutionär», sagt Annegret Walder. Nun will die Zürcher Tanzleiterin die Jungen für das Trachtenfest begeistern

«ich bin manchmal etwas revolutionär», sagt annegret walder. nun will die zürcher tanzleiterin die jungen für das trachtenfest begeistern

Am Wochenende werden in Zürich Trachten aus allen Gegenden der Schweiz und aus dem Ausland zu sehen sein. Im Bild Frauen mit Appenzeller Haarschmuck. Urs Flüeler / Keystone

Nach dem achten Schlag der Kirchenglocken kann es losgehen. Wie an jedem Mittwochabend ist die Volkstanzgruppe am Bachtel auch heute im Singsaal des Schulhauses Mittlistberg in der Zürcher Oberländer Gemeinde Bubikon zusammengekommen. Zirka 15 junge Frauen und Männer haben sich um Annegret Walder geschart. Sie ist die Tanzmeisterin der Gruppe.

Am Samstagvormittag tritt die Gruppe am Eidgenössischen Trachtenfest in der Stadt Zürich auf. Es ist der grösste Anlass dieser Art: 100 000 Gäste werden erwartet, der Event findet nur alle paar Jahre statt. Eingeladen sind auch Gruppen, die traditionelle Tänze und Kleidung aus anderen Ländern vorstellen – so wie die japanische Gruppe Dento Geino Aikokai.

Aber bleiben wir vorerst in Bubikon. Nervosität ist hier noch keine zu spüren. Vielmehr wollen die Tänzerinnen und Tänzer die Gelegenheit nutzen, um letzte Details bei ihrer Choreografie zu verbessern. Zunächst steht aber eine Grundsatzfrage an: Wer tanzt am Samstag mit wem?

Etwas verlegen stehen die Tänzerinnen und Tänzer im Saal. Die meisten tragen Alltagskleidung, manche haben Tanzschuhe aus schwarzem Leder angezogen. Zögerlich bilden sich Zweiergrüppchen – die Aufstellung für den Samstag formiert sich.

Dann erklingt der «Türmliwalzer», ein volkstümliches Stück von Adrian Koller, aus einem tragbaren Lautsprecher. Die Verlegenheit ist vergessen, die Tänzerinnen und Tänzer bringen sich in Position und legen los: walzen zu zweit, reihen sich auf einer Linie auf, formieren sich zu einem Kreis und lösen den Reigen schliesslich wieder auf.

Die Freude ist wichtiger als die Vorgaben

Die Volkstanzgruppe am Bachtel besteht seit 1957 und hat heute knapp 30 Mitglieder im Alter zwischen 20 und 70 Jahren. Dass sie relativ viele seien, sei aber eine neuere Entwicklung, sagt Annegret Walder: «In der Gegend haben sich leider einige Gruppen aufgelöst. Dadurch haben wir ziemlichen Zulauf bekommen.»

Jetzt sei die Gruppe schön gross und gut durchmischt. So könne man mit den älteren Mitgliedern die traditionelleren Tänze pflegen und mit den jüngeren auch einmal etwas Modernes wagen. Wobei die gewagteren Choreografien strenggenommen keine Volkstänze seien, weil sie zu anspruchsvoll seien.

Tänze wie der «Türmliwalzer» sind detailliert beschrieben. Über die richtigen Schritte und Choreografien wacht die Schweizerische Trachtenvereinigung. Genauso verhält es sich mit den Kleidungsstücken: Auch die Details der Trachten sind penibel vorgeschrieben.

Doch Walder hält sich nicht immer so genau an die Vorgaben: «Ich bin manchmal etwas revolutionär», sagt sie. Ihr sei es viel wichtiger, dass die Leute mit Freude dabei seien, als dass jede Schleife am Kleid sitze und jeder Schritt des Tanzes korrekt sei.

«Wenn wir stur sind und es zu genau nehmen, dann können wir vor allem die Jungen nicht mehr für das Brauchtum begeistern.»

Beim japanischen Bon Odori tanzen auch die Kinder mit

Einen etwas leichteren Stand als in der Schweiz hat folkloristische Tradition in Japan. Im Unterschied zu den Schweizer Trachten erfreut sich beispielsweise der Kimono bis heute grosser Beliebtheit – sogar im Ausland. Zwar sei der Kimono im japanischen Alltag nicht mehr ganz so präsent wie zu Zeiten ihrer Eltern oder Grosseltern, erklärt Kyoko Ginsig. Trotzdem hätten auch viele junge Japanerinnen und Japaner einen Kimono, den sie mindestens zu feierlichen Anlässen trügen.

Kyoko Ginsig gehört einer Gruppe von etwa 20 Frauen an, die in regelmässigen Abständen zusammenkommen, um japanische Volkstänze zu üben. Sie werden im Rahmen des Eidgenössischen Trachtenfests am Freitagabend auf dem Werdmühleplatz auftreten.

Die Gruppe heisst Dento Geino Aikokai, was übersetzt so viel bedeutet wie «traditionelle Tanzkunst». Doch die Gruppe hat sich vor allem einer Art des traditionellen Tanzes verschrieben: dem Bon Odori. Das ist ein einfacher Reigen, der zum Obon-Fest im Sommer getanzt wird, einem der wichtigsten Feste im traditionellen japanischen Kalender. Der Brauch steht im Zeichen der Ahnen, mit deren Seelen die Lebenden Kontakt aufzunehmen versuchen.

Beim Bon Odori trage man in den Regel einen Yukata, eine einfachere Variante des Kimonos, die aus leichter Baumwolle gefertigt sei, erläutert Ginsig. Dieses Kleidungsstück sei für die Bewegung im Freien bei hohen Temperaturen besser geeignet als kostbare Seidenkimonos.

Weil im Freien und in losen Gruppen getanzt werde, könne jeder beim Bon Odori mitmachen: «Die meisten Regeln sind einfach, so können auch die Kinder mittanzen.» Es handelt sich also um einen veritablen Volkstanz.

In den verschiedenen Gegenden Japans sind Abläufe des Obon-Festes jedoch unterschiedlich ausgestaltet. Das wirke sich auch auf die Tänze aus: «Wir haben zahlreiche Varianten in unserem Repertoire. Und wenn eine von uns in die Heimat fährt, kann es sein, dass sie uns von dort eine weitere mitbringt. Dann üben wir diesen neuen Tanz miteinander», sagt Ginsig.

Bis jetzt haben sich nur Frauen gemeldet

Dento Geino Aikokai sei durch Zufall entstanden, erzählt Kyoko Ginsig. 1996 arbeitete sie im Museum Rietberg, und im Mai gab es ein grosses Asienfest. Verschiedene Gruppen aus den asiatischen Communitys seien gebeten worden, eine Performance aus ihrer Heimat vorzuführen. Aber es habe noch keine japanische Musik- und Tanzgruppe gegeben.

So sei sie auf die Idee gekommen, Dento Geino Aikokai ins Leben zu rufen. Sodann sei ihr Beitrag bei den Schweizer Gästen des Fests auf grosses Interesse gestossen. Viele hätten spontan mitgetanzt.

Weil auch nach dem Fest im Museum Rietberg immer wieder Anfragen gekommen seien, sei aus diesem einen Auftritt eine lose Gruppe geworden, die sich heute ungefähr alle zwei Monate treffe. Neben der Pflege des Brauchtums gehe es den Frauen der Gruppe vor allem um die Geselligkeit und das Heimatgefühl, das beim Austausch in der gemeinsamen Muttersprache aufkomme. Männer hätten sich bisher weniger für die Gruppe interessiert, sagt Ginsig. Man stehe aber allen offen.

Dem japanischen Gebot der Hilfsbereitschaft folgend, trage jede der Frauen etwas zur Gruppe bei, so dass es weder eine Hierarchie noch eine formelle Organisation brauche. «Wir tauschen uns einfach auf Whatsapp und per E-Mail aus. Wir besprechen alles miteinander und entscheiden gemeinsam, welche Angebote wir annehmen wollen und welche nicht.» Also alles nach dem Vorbild der schweizerischen direkten Demokratie? «Ein bisschen schon», sagt Ginsig und lacht.

Das Brauchtum galt schon 1926 als bedroht

Dass das volkstümliche Kulturgut in Japan verschwinden könnte, darüber macht sich Ginsig keine Sorgen. In der Schweiz dagegen ist die Angst vor der verschwindenden Tradition schon beinahe eine eigene Tradition. Sie war sogar einer der Gründe, warum die Trachtenvereinigung 1926 überhaupt gegründet wurde.

Die Vereinigung wollte darauf hinwirken, dass die ländliche Tracht die städtisch-weltgewandte Mode ablöse. Die Tracht sollte Arbeits- und Alltagskleidung werden. Schon beim ersten Trachtenfest 1931 gab es strikte Anweisungen an die Adresse der Frauen. Sie sollten ohne Seidenstrümpfe, ungeschminkt und möglichst «natürlich» auftreten. Das würde die Alltagstauglichkeit der Trachten unterstreichen, so der Gedanke.

Im Zuge der geistigen Landesverteidigung bekam das Anliegen der Trachtenvereinigung Aufwind. 1939, im Sommer der grossen Landesausstellung, gastierte das Eidgenössische Trachtenfest erstmals in Zürich. Zwei Umzüge mit Trachten aus allen Landesteilen und Tausende von Zuschauern gehörten am Vorabend des Zweiten Weltkriegs zum Programm der «Landi».

Bemerkenswert ist dabei, dass die Trachtenleute sich als Vorbilder für alle Schweizerinnen und Schweizer verstanden, die sich ihrer Heimat verbunden fühlten und diese Verbundenheit mit ihrer Kleidung zum Ausdruck bringen wollten. Mit Nostalgie wollte man nichts zu tun haben – sondern mit Fortschritt und Zukunft.

Eine Form der wortlosen Verständigung

Heute ist das Trachtenfest politisch nicht mehr so aufgeladen wie noch in den dreissiger Jahren. Eine Idee hat sich aber bis heute erhalten: Das Fest soll Tänzerinnen und Tänzer mit unterschiedlichem Hintergrund zusammenbringen. Sogar solche, die unterschiedliche Sprachen sprechen.

Annegret Walder hat keine Sorge, dass es zu einem Clash der Kulturen kommt – im Gegenteil. Sie ist überzeugt, dass der Tanz eine Form der Kommunikation ist, die über die kulturellen Grenzen hinweg funktioniert.

Kyoko Ginsig sieht es genauso. Sie sagt: «Wenn wir uns bewegen, kommen wir uns näher und verstehen uns – egal, wer wir sind. Das ist doch etwas Schönes.»

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