Baumeister fordern Freigabe von zu grossen Wohnungen
Der Baumeisterverband bricht ein Tabu: Angesichts des Wohnungsmangels sollten Menschen nicht mehr benötigte Wohnflächen freigeben. Dies trifft vor allem Ältere.
Einfamilienhäuser sind beliebt: Nach dem Auszug der Kinder bleiben viele Eltern bis ins hohe Alter dort wohnen.
Der Baumeisterverband überrascht mit einem Vorschlag im Kampf gegen den Wohnungsmangel: Menschen in der Schweiz sollen nicht mehr benötigte Wohnfläche freigeben. Der bestehende Wohnraum müsse effizienter genutzt werden, so Verbandspräsident Gian-Luca Lardi. Damit bricht er ein Tabu, denn vor allem ältere Menschen leben nach dem Auszug der Kinder in zu grossen Einfamilienhäusern oder Wohnungen.
«Die Schmerzgrenze ist erreicht, wir sollten neben weiteren Massnahmen auch dieses Thema ansprechen», sagt Lardi dieser Redaktion. In seiner heutigen Rede am Tag der Bauwirtschaft in Zürich führt er aus, dass «Personen im dritten Lebensabschnitt durchschnittlich 71 Quadratmeter Wohnfläche bewohnen, während junge Generationen mit nur 41 Quadratmetern auskommen müssen».
Lardi fordert unter anderem die Umnutzung von Büro- in Wohnflächen und die Aufstockung von vierstöckigen Häusern um ein oder zwei Etagen. Aber er will auch, dass Wohneigent¨ümerinnen- und -eigentümer nach Quadratmetern besteuert werden.
Das bedeutet: Wer viel Fläche belegt, soll höhere Steuern zahlen. Vorstellbar sei auch, dass steuerlich belohnt werde, wer auf weniger Quadratmetern lebe. «Aus raumplanerischer Sicht braucht es finanzielle Anreize, um ungenutzte Flächen freizugeben», sagt Lardi.
Umziehen muss sich finanziell lohnen
Der Eigenmietwert steht nach jahrelanger Debatte kurz vor der Abschaffung. Lardi fordert nun eine neue, zielgerichtetere Form der Besteuerung.
«Ursprünglich sollte der Eigenmietwert genau dazu dienen, aber dessen Umsetzung wurde mit der Zeit verwässert», kritisiert Lardi. So können ungenutzte Zimmer von der Berechnung abgezogen werden. «Mit Blick auf den Wohnungsmangel muss es sich für ein älteres Ehepaar lohnen, von einem zu gross gewordenen Haus in eine kleinere Bleibe umzuziehen.»
«Die Bestandsmieten führen zu einer Zweiklassengesellschaft»: Gian-Luca Lardi, Zentralpräsident des Schweizerischen Baumeisterverbands.
Es gehe darum, die bebauten Flächen besser auszunutzen, bevor auf der grünen Wiese neu gebaut werde, argumentiert Lardi. Dies erscheint gegen die eigenen Interessen des Baumeisterverbands, der rund 2500 Betriebe des Bauhauptgewerbes vereint. Allerdings könnten sie letztlich auch davon profitieren. Denn Lardi räumt ein, dass er auf aufgeschobene energetische Sanierungen und Umbauten alter Einfamilienhäuser hofft. «Ältere Bewohnerinnen und Bewohner führen diese meist nicht mehr durch.»
Für Mieterinnen und Mieter von zu grossen Wohnungen fordert Lardi einen freieren Markt, damit sich das Umziehen lohnt: «Die Bestandsmieten führen zu einer Zweiklassengesellschaft: langjährige Mieter werden bevorzugt, während junge Mieter benachteiligt werden.» In der Schweiz sind Mietende vor Zinserhöhungen weitgehend geschützt, bei einem Umzug in eine andere Wohnung sind die Mieten deswegen oft höher, auch wenn sie eine kleinere Fläche haben.
«Zögen Menschen aus zu grossen Wohnungen aus, würde es mehr Wohnraum geben und die Marktmieten würden wegen des deutlich grösseren Angebots sinken», argumentiert Lardi.
Barrierefreie Wohnungen für Ältere
Im Aktionsplan gegen Wohnungsknappheit wurden diesen Frühling über 30 Massnahmen empfohlen. Die Frage einer übergrossen Wohnfläche bei älteren Menschen taucht darin auf. Aber das Thema wird andersherum angegangen: über die Förderung von altersgerechtem und hindernisfreiem Wohnraum.
An vielen Orten fehlt geeigneter und bezahlbarer Wohnraum für ältere Menschen, wie es im Aktionsplan heisst. «Dadurch verbleiben sie oft in zu grossen Wohnungen, was einer effizienten Flächennutzung widerspricht und wiederum den ebenso benötigten preisgünstigen Wohnraum beispielsweise für Familien blockiert.»
Der Baumeisterverband war Teil des runden Tischs, der den Aktionsplan erarbeitet hat. «Er ist gut, aber wir müssen uns nun auf die wenigen wesentlichen Punkte konzentrieren und sie angehen», sagt Gian-Luca Lardi.
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