Wenn der Gesprächspartner nachträglich alles umschreibt: Massakrierte Interviews sind der wiederkehrende Albtraum des Journalisten

wenn der gesprächspartner nachträglich alles umschreibt: massakrierte interviews sind der wiederkehrende albtraum des journalisten

Man lasse sich von den Mächtigen nicht gängeln, gibt die «Bild»-Zeitung vor. Hanno Bode / Imago

Jeder Journalist kennt es. Es ist der Moment der Wahrheit. Das Interview ist geführt, es lief gut, vielleicht sogar sehr gut. Man konnte dem Gegenüber knackige Aussagen entlocken, die Sache hat Brisanz. Ja, mit Sicherheit geht das Interview durch die Decke, freut sich der Journalist. Einziger Haken: Die Gegenseite hat die Antworten noch nicht abgesegnet. Das Interview muss erst autorisiert werden.

Das ist die Praxis: Man schickt das Gesagte zum Gegenlesen. Und bekommt nicht selten eine Absage zurück. Der wiederkehrende Albtraum des Journalisten: Das Word-File ist komplett zerschossen. Überall blutrot. Es wurde rabiat reingepfuscht, ganze Passagen sind umgeschrieben, Fragen gestrichen, Aussagen geglättet. Alles platt.

Passiert regelmässig, egal in welchem Kontext. Deutsche Schauspieler, zum Beispiel, sind erfahrungsgemäss besonders kompliziert. Als Filmjournalist mache ich fast grundsätzlich einen Bogen um sie. Altes Anke-Engelke-Trauma. Til Schweiger ist sowieso ein Thema für sich. Schauspieler in Deutschland haben nicht eigentlich PR-Agenturen, eher sind es Schnellreinigungen: Es wird verwässert und ausgebügelt.

Politiker sind Kontrollfreaks

Spassbremsen gibt es aber nicht nur im Unterhaltungsbereich. So erzählt man sich im Haus heute noch Geschichten über ein Neujahrsinterview mit einem Alt-Bundesrat, an dem so lange laboriert wurde, dass gefühlt bald Ostern war. Politiker sind oft Kontrollfreaks und zudem inhaltlich flexibel. Sie halten sich an ihren Adenauer: «Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern?»

Schon vor gut zwanzig Jahren haben grosse deutsche Tageszeitungen gemeinsam gegen «eine Fehlentwicklung im politisch-publizistischen Geschehen der deutschen Hauptstadt» protestiert, wie die NZZ im November 2003 berichtete: Auf ihrer Frontseite hatte die «TAZ» ein Interview mit dem damaligen SPD-Generalsekretär Olaf Scholz veröffentlicht, das der NZZ «wie moderne Kunst» vorkam. Scholz, der immer schon Scholz war, hatte offenbar alles Aussagekräftige zurückgezogen, worauf die «TAZ» zum Zeichen des Protests seine Antworten fett durchstrich, und nur die Fragen waren noch lesbar.

Das hatte aber wohl keinen nachhaltigen Effekt. Denn unlängst hat die «Bild»-Zeitung nun verkündet, Politikerinterviews nicht mehr autorisieren zu lassen. Die Chefredakteurin Marion Horn hat genug: «Wenn wir Interviews zurückbekommen, in denen fast alles noch einmal verändert wurde, trägt das garantiert nicht zur Glaubwürdigkeit bei», sagte sie auf dem Kongress eines Medienverbandes. Es gehe nicht darum, «Politiker hinter die Fichte zu führen». Aber bei «Bild» gelte fortan «das gesprochene Wort». Nur die «Ähs» und «Ohs» kämen raus.

Das macht das Abtippen einfacher. Prinzipiell ist auch nichts dagegen einzuwenden. Anders als viele Journalisten und auch Interviewte glauben, gibt es weder in Deutschland noch in der Schweiz eine rechtliche Grundlage, Interviews zum Gegenlesen schicken zu müssen. Bloss besagt der selbstverpflichtende Journalistenkodex, dass «im Normalfall» Interviews zum Autorisieren gegeben werden müssten, was sich entsprechend eingebürgert hat. In dem Kodex steht aber auch, dass die interviewte Person bei der Autorisierung «keine wesentlichen Änderungen» vornehmen dürfe.

Nun kann der Interviewte sich zwar auf sein «Recht am eigenen Wort» berufen. Aber der Jurist entgegnet dann, was er meistens entgegnet: «Es kommt darauf an.»

Die Medien sind im Vorteil

In Art. 28 des ZGB sind die persönlichkeitsrechtlichen Schutzansprüche definiert. Doch der Passus ist schwammig. Eine Verletzung der Persönlichkeit ist nicht zwingend widerrechtlich. Denn mit einem Interview gibt man sein Einverständnis zu einer möglichen Persönlichkeitsverletzung. Wer also für ein Interview zusagt, kommt aus der Nummer nur schwer wieder raus. Wer A sagt, muss auch B sagen.

Schliesslich sollte aber auch jedem, der mit einem Journalisten spricht, klar sein, dass das Gesagte öffentlich wird. Fälle, in denen ein Medienhaus für eine unautorisierte Veröffentlichung belangt wurde, gibt es kaum. Superprovisorische Publikationsverbote sind unwahrscheinlich, rechtliche Schritte können sich die meisten Menschen nicht leisten. Und sobald das Interview gedruckt ist, ist aus Sicht des Geschädigten der Schaden ohnehin angerichtet.

Die Medien sitzen am längeren Hebel. Ganz besonders die «Bild»-Zeitung, immerhin die auflagenstärkste Tageszeitung Deutschlands. Das Boulevardblatt ist bisher noch nicht durch übermässige Vorsicht im Umgang mit seinen Protagonisten aufgefallen. Um unliebsame Eingriffe in Interviews könnte es sich auch einfach foutieren. Weshalb also kommt gerade von der «Bild» die kategorische Absage an die Autorisierung?

Es ist vor allem Windmacherei. Eigenwerbung. «Wir lassen uns von den Mächtigen nicht gängeln», so gibt die Redaktion scheinbar den Tarif durch. Man rühmt sich: Was gedruckt wird, wurde genau so gesagt.

Eine gute Idee?

Werden sich aber die Politiker darauf einlassen? Gibt es einfach Absprachen hintenrum? Oder gehen der «Bild» bald die Gesprächspartner aus? Letztgenanntes ist nicht zu befürchten. Da bei «Bild» die Interviews häufig zunächst online in einer Videofassung veröffentlicht werden, dürfte sich nicht viel ändern.

Politiker präferieren Videointerviews, weil sich der eigene Auftritt besser kontrollieren lässt. Und das Boulevardmedium bevorzugt die filmische Form wegen der Unmittelbarkeit. Die Abschrift ist oft nur eine Zweitverwertung.

Für Medien, die auf verschriftlichte Interviews setzen, ist die Verweigerung der Autorisierung hingegen nicht zu empfehlen. Denn der Gesprächspartner geht ganz anders in ein Gespräch hinein, wenn er weiss, dass er notfalls noch etwas geraderücken kann. Sonst ist er von Anfang an gehemmt. Fehler können bereinigt, Unklarheiten präzisiert werden.

Im besten Fall kommt der Moment der Wahrheit auch der Wahrheit zugute. Und im schlechteren Fall gibt es ein ganz einfaches Argument, das immer sticht: Ein weichgespültes Interview wird weniger gelesen. Und weniger gelesen werden, das möchte nun wirklich niemand.

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