«Alle gleich zu behandeln, wäre nicht korrekt»

Seit bald drei Jahren ist Murat Yakin Trainer der Schweizer Fussballnationalmannschaft. Letzten Herbst erfährt er, dass die Qualifikation für die Euro 2024 nicht reicht, um als Trainer gefeiert zu werden. Kurz vor Anpfiff der EM am 14. Juni spricht der Basler mit türkischen Wurzeln nun mit der Schweizer Illustrierten über das bevorstehende Turnier, Regeln und seine Kinder.

Kann dieser Mann je hässig werden? Murat Yakin (49) schaut irritiert. «Hässig?», fragt er sicherheitshalber nach, als höre er das Wort zum ersten Mal. Dann die Antwort: «Nein, eigentlich nicht.» Es war keine andere Replik zu erwarten: Der äussert höfliche Trainer des Schweizer Männerfussball-Nationalteams bewegt sich gleichermassen freundlich und zuvorkommend unter Fans wie unter Sponsoren und Medienvertretern. «Muri ist ein Phänomen. Wenn er in einen Raum kommt, füllt er diesen aus. Er hat eine Ausstrahlung, wie sie nur wenige haben. Sein Lächeln, sein schlendernder Gang, diese Ruhe. So war er eigentlich schon immer», beschrieb ihn sein Halbbruder Ertan im «Blick».

So merkte man dem 49-Jährigen auch im letzten Herbst nur wenig an, als er offen als Trainer in Frage gestellt wurde. Das war zwei Jahre und zwei Monate nach dem Antritt des Jobs – eine kurze Spanne, wenn man mit den langen Amtszeiten seiner drei Vorgänger, Köbi Kuhn (†73), Ottmar Hitzfeld (75) und Vladimir Petković (60), vergleicht. Aber eine lange Zeit, wenn man etwas weiter zurückblickt, als die Nati ihre Trainer schon mal nach zwei oder drei Monaten wieder entliess.

Die Angriffe scheinen nicht spurlos an ihm vorübergegangen zu sein, er erscheint vorsichtiger, zurückhaltender. Freiwillig hat Murat Yakin in der Zwischenzeit darauf verzichtet, eine Vertragsverlängerung bis 2026 zu unterschreiben. Sein Fokus gilt der EM, die am 14. Juni startet. Er, der selber bis 2004 für zehn Jahre im rot-weissen Dress als Abwehrchef auf dem Platz stand, muss nun die Mannschaft so vorbereiten, dass Höchstleistungen möglich sind.

Die Eishockeynati kam in den Final der WM! Haben Sie Ihrem Kollegen Patrick Fischer gratuliert, wollen Sie es noch besser machen?

Murat Yakin: Natürlich habe ich Patrick gratuliert. Wir stehen regelmässig im Austausch, und wir haben uns auch während des Turniers mehrmals geschrieben. Was Patrick, sein Staff und die Spieler geleistet haben, ist grossartig. Sie hätten Gold verdient. Sie haben gezeigt, was man als Einheit mit Solidarität und Leidenschaft, auch als kleines Land wie die Schweiz, erreichen kann. Die Eishockey-Nati ist Inspiration für die ganze Sportschweiz und natürlich auch für uns.

In die Nati werden nur die Besten berufen, alles Spieler, die in ihren Klubs Stars sind. Können Sie da alle gleich behandeln?

Alle gleich zu behandeln, wäre nicht korrekt, das geht nicht. Jeder hat unterschiedliche Voraussetzungen, Erfahrungen, einen eigenen Charakter und eine eigene Persönlichkeit. Als Trainer brauche ich das Gespür zu wissen, was jeder Einzelne braucht. Es ist sehr wichtig, dass ich zuhöre, die Leute ins Boot hole. Es gibt nicht nur den einen richtigen Weg, den der Trainer vorgibt, es ist auch entscheidend, wie es den Spielern geht.

Gibt es auch Regeln, die für alle gelten?

Was uns eint, ist das gemeinsame Ziel und dass in der Mannschaft Harmonie herrscht. Das ist auch nicht so schwierig, denn alle kommen extrem gerne in die Nati. Das ist noch genau so, wie ich es als Spieler auch erlebt habe. Wir wollen ihnen den Alltagsstress nehmen. Wenn sie ins Zimmer kommen, liegt das Trainingsmaterial auf dem Bett, alles ist parat. Sie wissen, okay, jetzt kann ich alles andere hinter mir lassen. Wir sehen uns nur alle zwei bis drei Monate, da gibt es auch freudige Begrüssungen, und die Atmosphäre ist locker. Aber klar, es gibt auch festgeschriebene Regeln. Zum Beispiel wann Bettruhe ist oder wann Besuche im Hotel erlaubt sind und wann nicht.

Was hat sich seit Ihrer Zeit als Spieler der Nati verändert?

Es war noch nicht so viel Geld im Spiel, und alles ist heute professioneller. Die heutigen Spieler sind auf Schritt und Tritt im Fokus, Social Media hat sehr viel verändert. Ich müsste das jetzt nicht unbedingt haben, aber das ist nun mal so. Auch haben wir eine ganz andere Intensität, viel mehr Spiele. Das habe ich auch in meinen 15 Jahren als Klubtrainer gesehen.

Was ist das Schöne am Job des Nationalmannschafts-Trainers?

Ich freue mich immer, wenn ich jungen Spielern in der kurzen Zeit, in der wir zusammen sind, etwas mitgeben kann. Ich darf mit den Besten arbeiten, das ist ein Privileg. Und ich darf Taktik und Mannschaft bestimmen, ja, das ehrt mich, und das mache ich wirklich gerne.

Besuchen Sie die Spieler zwischen den Nati-Einsätzen auch?

Nicht alle, das ist nicht möglich. Aber es ist wichtig, dass ich Spieler besuche, mit ihnen auch mal über etwas anderes als Fussball spreche. Wenn ich das mit einem Spiel verbinden kann, freut mich das.

Sie haben Ihren Töchtern, 9- und 11-jährig, das Schachspiel beigebracht und sich gefreut, wie schnell sie es begriffen haben. Wie viel hat Schach mit Fussball zu tun?

Eine Schachfigur hat keine Emotionen, deshalb kann man Spieler und Figuren nicht vergleichen. Aber bei der Taktik gibt es durchaus Parallelen: Ich habe den Töchtern einfache Züge erklärt, welche Schritte sie mit welcher Figur machen können, wie sie vorausschauen müssen und ihre Taktik absichern. Lege ich eine Strategie für die Mannschaft fest, muss ich auch einfach erklären können, was ich genau meine.

«alle gleich zu behandeln, wäre nicht korrekt»

UEFA via Getty Images /

Wie schwierig ist es, Spieler auf die Ersatzbank zu setzen oder sie aus dem Spiel zu nehmen?

Es ist ein wichtiger Teil des Trainings, dass man Ersatzspieler abholt und versucht, ihnen das begreiflich zu machen. Praktisch alle, die der Nationalmannschaft angehören, sind Stammspieler in ihren Teams. Im Gespräch muss man Verständnis schaffen, was für die Mannschaft das Beste ist. Besonders die Goalies kennen das Leben als Nummer 2 – obwohl sie selber zum Spitzenpersonal gehören! Trotzdem sitzen sie am Rand. Dabei müssen sie jederzeit fokussiert und bereit sein, innerhalb von zwei, drei Minuten ins Spiel zu kommen. Das braucht die richtige Einstellung, ohne die geht das gar nicht.

Bei einigen Wechseln sieht man den Betroffenen an, dass sie die Entscheidung des Trainers nicht richtig finden und frustriert sind.

Ich verstehe, dass das nicht einfach ist. Wir müssen uns aber jederzeit professionell verhalten. Nach dem Spiel können alle mit mir über meine Entscheidungen diskutieren. Unter vier Augen führt man andere Gespräche als in der Öffentlichkeit. Wenn man die Gemütsregung in den Kameras sieht, ist das nicht hilfreich, auch nicht gegenüber den Teamkollegen. Es nützt ja nichts, sich so bemerkbar zu machen. Da ist es wie im Leben – es verbreitet schlechte Stimmung, und damit tut man niemandem einen Gefallen.

An der WM 2022 gab es offene Unstimmigkeiten zwischen Ihnen und Captain Granit Xhaka, der Kritik an der Arbeit im Team äusserte. Müssen Sie das akzeptieren, weil Aggressivität dazugehört, will man ein Turnier erfolgreich bestreiten?

Der Sport lebt von Figuren, die Ecken und Kanten haben. Ein Nullachtfünfzehn-Typ würde die Medien und die Öffentlichkeit nicht interessieren. Von Spielern wie Granit erwartet man auf dem Platz das Spezielle, das Aussergewöhnliche. Ich bin froh über jeden extravaganten Spielertyp, da kann man dann nicht erwarten, dass er neben dem Rasen zur grauen Maus mutiert und sich unauffällig verhält. Da gibt es durchaus Spielraum. Die Grenze ist dort, wo es der Mannschaft schadet oder wo das Teamgefüge durcheinandergebracht wird. Ich verstehe aber auch, dass sich das natürlich in den Medien gut verkauft: Yakin gegen Xhaka, klar, das zieht. Aber wir haben ein hervorragendes Verhältnis und tauschen uns regelmässig aus. Aus meiner Sicht darf ich vielleicht auch mal sagen, dass auch Journalisten, genau wie Fussballer und Trainer, nicht immer ihre besten Tage haben.

«alle gleich zu behandeln, wäre nicht korrekt»

SRF/stories AG /

In der Zwischenzeit haben Yakin und Xhaka während des Trainingslagers in Spanien vor den Kameras des SRF Stellung bezogen. Sie hätten sich in Leverkusen getroffen, ein langer Abend sei es geworden, es sei mehr als Wasser geflossen, und am nächsten Tag habe Granit ein Tor geschossen. Nein, es gebe keinen Konflikt zwischen ihnen, das Verhältnis sei hervorragend, so Xhaka.

Die Schweiz schiesst zu wenig Tore, wie auch die Qualifikation gezeigt hat. Was tun Sie dagegen?

Hier darf man sich fragen, ob dafür die Nationalmannschaft verantwortlich ist. Wir haben, wie gesagt, normalerweise zwei Trainings und dann gleich ein wichtiges Spiel. 90 Prozent der Qualität werden im Klub trainiert. Wir können an Details schleifen. Vor allem bei jungen Spielern sind teilweise die Erwartungen zu hoch. Wenn einer in der Saison zwei, drei Tore macht, kann man nicht von ihm erwarten, dass er bei uns die Bude vollschiesst. Wir haben nicht die Goalgetter, die es früher vielleicht gab. Es braucht nicht fünf oder sechs Tore, um zu gewinnen. Eines im richtigen Moment reicht.

Wie optimistisch sind Sie für diese EM?

Wir haben geniale Spieler, aber es kommt darauf an, ob alle fit und im Rhythmus sind. Wir haben beispielsweise Spieler wie Manuel Akanji oder Granit Xhaka, die reihenweise Titel gewinnen. Die anderen Spieler sehen das, das motiviert sie, und das gibt Selbstvertrauen. Andere kleine Ländermannschaften wie Griechenland oder Belgien haben gezeigt, dass man auch als kleine Fussballnation Aussergewöhnliches schaffen kann. Ich habe keine Bedenken, dass es an der Motivation fehlen wird, und auch die Harmonie im Team, die war immer gut. Aber schlussendlich gibt es nur eines, das zählt: der Sieg. Das ist die einzige Medizin. Für die Mannschaft und für den Trainer.

Die Schweizer Illustrierte hat eine neue Podcast-Folge – hier reinhören!

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