Offener Streit auf europäischer Bühne: Österreichs Bundeskanzler wirft seiner Umweltministerin Verfassungsbruch vor und will klagen
Die Umweltministerin Leonore Gewessler provoziert in Österreich ;eine Koalitionskrise. Martin Juen / Imago
Die Zustimmung zur umstrittenen EU-Renaturierungsverordnung hat in Österreich eine schwere Regierungskrise ausgelöst und bringt der zuständigen Umweltministerin sogar eine Anzeige wegen Amtsmissbrauchs vom Koalitionspartner ein. Die Vorlage ist Teil des europäischen Green Deals und sieht vor, dass ökologisch geschädigte Flächen und Meeresgebiete in den kommenden Jahrzehnten schrittweise wiederhergestellt werden müssen.
Nach der Verabschiedung durch das EU-Parlament stimmte am Montag auch der zuständige Rat der Umweltminister mit der erforderlichen qualifizierten Mehrheit zu – allerdings wurde diese nur ganz knapp erreicht. Ausschlaggebend war die Stimme Österreichs, das sich in den vorangegangenen Beratungen enthalten hatte. Die grüne Ministerin Leonore Gewessler bezeichnete den Beschluss nun als Sieg für die Natur. Bundeskanzler Karl Nehammer hält ihre Zustimmung aber für rechtswidrig. Man werde dagegen eine Nichtigkeitsklage vor dem Europäischen Gerichtshof anstrengen.
«Eine österreichische Kontroverse, die mich nichts angeht»
Bereits zuvor hatte der Regierungschef die belgische Ratspräsidentschaft mit einem Schreiben darauf hingewiesen, dass seine Ministerin wegen fehlenden innerstaatlichen Konsenses Österreich nicht verpflichten könne. Der grüne Vizekanzler Werner Kogler und Gewessler sandten daraufhin ihrerseits einen Brief an die Belgier, in dem sie die Darstellung des Kanzlers als rechtlich falsch zurückwiesen.
Der belgische Umweltminister Alain Maron reagierte verständlicherweise trocken auf den Streit, der auf europäischer Ebene wie eine Posse wirken muss: Der im Raum anwesende Minister stimme ab, so laufe das, erklärte er. Der Rest sei eine innerösterreichische Kontroverse, die ihn nichts angehe.
Hintergrund ist ein juristischer Konflikt: Weil die Renaturierungsverordnung auch Kompetenzen der österreichischen Bundesländer betrifft, ist Umweltministerin Gewessler an deren Stellungnahme gebunden. Eine frühere Fassung der Vorlage hatten die Länder einstimmig abgelehnt – ebenso wie die Koalitionspartnerin ÖVP, die darüber hinaus auch auf Einvernehmen mit ihrem Landwirtschaftsminister pocht. Allerdings scherten Kärnten und Wien kürzlich aus und sprachen sich für die Verordnung aus.
Juristisch umstritten ist nun, ob die einstige Stellungnahme der Länder noch Gültigkeit hat und Gewessler bindet. So sieht es der Verfassungsdienst des Bundeskanzleramts, der in einem Gutachten einen gegenteiligen förmlichen Beschluss der Länder für eine Zustimmung der Ministerin verlangt. Diese argumentiert dagegen mit vier anderslautenden Gutachten, wonach sie im EU-Rat nach ihrer eigenen Überzeugung stimmen dürfe, zumal der Text der Verordnung nach der Stellungnahme der Länder noch abgeändert worden war.
Kein Koalitionsbruch trotz «krassem Fehlverhalten»
Bundeskanzler Nehammer bezeichnete Gewesslers Zustimmung vor den Medien in Brüssel als Verfassungsbruch und kündigte neben der Nichtigkeitsklage auf EU-Ebene auch an, sie wegen Amtsmissbrauchs anzeigen zu wollen. Er sprach von einem schweren Vertrauensbruch und einem krassen Fehlverhalten seiner Ministerin. Normalerweise müsste dies zum Bruch der Koalition führen, so der Kanzler. Allerdings wird Ende September ohnehin regulär gewählt. Um Chaos in den nächsten drei Monaten zu vermeiden, sieht Nehammer von diesem Schritt ab, wie er erklärte.
Die anstehende Wahl dürfte auch der Grund für das Vorgehen der Umweltministerin sein. Sie bewegt sich juristisch auf sehr dünnem Eis, glaubt aber die Mehrheit der Bevölkerung hinter sich zu haben. Laut einer vom WWF in Auftrag gegebenen Umfrage sprechen sich 82 Prozent für eine Zustimmung Österreichs zum Renaturierungsgesetz aus.
Den Grünen wurde in den letzten Jahren von ihrer Basis immer wieder vorgeworfen, gegenüber der ÖVP zu viele Kompromisse zu machen. Sie haben laut Umfragen denn auch deutlich an Zustimmung verloren. Nun will Gewessler im Kernthema ihrer Partei punkten und zeigen, dass man den Konservativen durchaus die Stirn biete.
Gleichzeitig sind der ÖVP die Hände gebunden für ein noch schärferes Vorgehen etwa mit einer Aufkündigung des Bündnisses oder dem Ersuchen nach Entlassung Gewesslers. Die Partei hat selbst noch einige Anliegen bis zum Herbst, allen voran will sie wiederum einen eigenen Vertreter in die künftige EU-Kommission entsenden. Dafür ist sie auf die Stimmen der Grünen angewiesen.