INTERVIEW - Nach der Schlegel-Wahl regt sich Kritik: «Die SNB darf nicht zum Staat im Staat werden»

interview - nach der schlegel-wahl regt sich kritik: «die snb darf nicht zum staat im staat werden»

Die Nummer 2 wird zur Nummer 1: Martin Schlegel (links) beerbt Thomas Jordan als Präsident der Schweizerischen Nationalbank (SNB). Beide sind Eigengewächse der Notenbank. Michael Buholzer / Keystone

Sie haben verschiedentlich gefordert, dass Personen von ausserhalb der Notenbank ins Direktorium gewählt werden. Der neue SNB-Präsident Martin Schlegel hat seine ganze Karriere bei der SNB verbracht. Aus Ihrer Sicht muss er die schlechteste Wahl sein.

Ich bin vor allem überrascht, dass der Bundesrat nicht den PUK-Bericht abgewartet hat. Martin Schlegel hat in der CS-Krise eine wichtige Rolle gespielt. Als Entscheidungsträger würde ich mehr Transparenz haben wollen, bevor ich eine derartig wichtige Position besetze.

Haben Sie ein Problem mit Herrn Schlegel?

Überhaupt nicht. Ich suggeriere nicht, dass er einen Fehler gemacht hat. Aber die Untersuchung läuft noch. Der Entscheid ist jedoch bereits gefallen. Einen Internen verträgt es problemlos im Direktorium der SNB. Die anderen beiden Mitglieder sollten aber von aussen kommen. Mit Petra Tschudin wurde eine weitere interne Kandidatin ins Direktorium gewählt. Damit hat der Bundesrat eine Chance vertan.

Petra Tschudin ist die frühere Frau von Stefan Gerlach, der mit Ihnen dem SNB Observatory angehört. Mit ihr wäre die einzige Frau im Direktorium verhindert worden.

Es geht hier nicht um einzelne Personen, sondern um Strukturen. Auch die Beziehung von Frau Tschudin zu Herrn Gerlach spielt keine Rolle. Es hätte mehrere qualifizierte Kandidatinnen ausserhalb der SNB gegeben.

Wen hätten Sie bevorzugt?

Im Nachhinein ist es müssig, über Personen zu sprechen, die nicht gewählt wurden.

Der Bundesrat entschied auf Vorschlag des Bankrates. Wie schätzen Sie seine Rolle ein?

Laut Artikel 42 des Nationalbankgesetzes «beaufsichtigt und kontrolliert der Bankrat die Geschäftsführung der Nationalbank». Er sollte der verlängerte Arm von Bundesrat und Kantonen sein. Tatsächlich scheint er eher als verlängerter Arm des Direktoriums zu agieren.

Warum sollen externe Kandidaten besser sein als interne?

Leute, die ihre gesamte Karriere in der Nationalbank verbracht haben, verfügen alle über denselben Erfahrungshorizont. Die Gefahr von Gruppendenken ist zu gross. Deshalb ist es wichtig, dass das SNB-Direktorium vielfältig zusammengesetzt ist. Wir haben keine Person im Direktorium mit Bankerfahrung, keine Person mit einem beruflichen Hintergrund in der Vermögensverwaltung, niemand war früher in der Finanzmarktaufsicht tätig, wir haben keine Vertretung der realen Wirtschaft, niemanden, der Industrie und Gewerbe versteht. Wir haben ein Gremium, das von Akademikern dominiert wird, die nichts anderes als die SNB von innen kennen.

Die SNB war mit den Eigengewächsen Jordan und Schlegel an der Spitze äusserst erfolgreich. Sie hielt die Inflation tief und verhinderte eine Rezession. Auch während der Finanzkrise 2008 standen mit Jean-Pierre Roth und Jordan zwei Interne an der Spitze. Trotzdem gelang die UBS-Rettung mustergültig.

Das bestreite ich nicht. Aber ich kritisiere, dass der Bundesrat mit einer Tradition bricht, die sich bewährt hat. Wenn Sie in die Geschichte der SNB zurückschauen, war es mit wenigen Ausnahmen üblich, höchstens ein internes Mitglied zu haben. Bis in die späten Sechzigerjahre gab es gar Phasen, in der alle Mitglieder des Direktoriums von aussen kamen, was beispielsweise in den USA noch heute die Regel ist.

Sie verlangen mehr Einfluss von aussen. Die SNB ist aber per Gesetz verpflichtet, eine unabhängige Geldpolitik zu betreiben. Sie darf sich nicht äusseren Einflüssen unterwerfen.

Ihre Unabhängigkeit ist im Nationalbankgesetz umschrieben. Dieses besagt, dass die SNB bezüglich Geldpolitik und ihrem Beitrag zur Finanzstabilität keine Weisungen von Regierung oder Parlament entgegennehmen darf. Damit will man verhindern, dass es einen politischen Zyklus in der Geldpolitik gibt, was sinnvoll ist. Aber die SNB ist eine öffentliche Institution. Sie darf kein Staat im Staat sein.

Sie sehen die SNB als Staat im Staat?

Die SNB wird von manchen als unantastbar betrachtet. Sobald man kritische Fragen zur Struktur stellt, heisst es, die Unabhängigkeit sei in Gefahr. Das ist die Joker-Karte, mit der alle Diskussionen beendet werden. Dabei gilt die Unabhängigkeit nicht absolut, sondern sie ist auf gewisse Aufgaben beschränkt.

Die Erfahrung zeigt, dass eine unabhängige Notenbank entscheidend ist für den langfristigen Wohlstand eines Landes.

Auch das stelle ich nicht infrage. Aber Unabhängigkeit kann nicht bedeuten, dass nur Personen mit einer internen Karriere an die Spitze der Notenbank gelangen können. Die SNB führt gemäss Gesetz «die Geld- und Währungspolitik im Gesamtinteresse des Landes». Das ist besser gewährleistet, wenn die massgeblichen Leute über einen Horizont verfügen, der über die eigene Institution hinausgeht. Die SNB-Führung würde damit robuster.

Niemand deckt sämtliche Interessen der Gesellschaft ab. Auch Personen von aussen verfügen über beschränkte Erfahrungen und spezifische Interessen.

Das ist klar, und genau hier kommt ein weiteres Problem der SNB ins Spiel: Ihr Direktorium ist mit nur drei Personen zu klein. Die Nationalbank macht nicht nur Geldpolitik. Sie verwaltet den grössten Finanzfonds des Landes, sie ist beteiligt an der Aufsicht über die systemrelevanten Banken, und sie muss den Zahlungsverkehr sicherstellen. Mit drei Leuten an der Spitze ist sie zu schmal aufgestellt.

In der Vergangenheit erledigte das Direktorium diese Aufgaben aber mit Bravour. Arbeiten heute Übermenschen bei der SNB?

In der Geldpolitik hat die SNB tatsächlich einen guten Job gemacht. Bei Governance-Fragen hat sie sich aber rückwärts entwickelt.

Woran machen Sie das fest?

Ein Beispiel ist die mangelhafte Rechenschaft der SNB. Andere Notenbanken lassen sich selber regelmässig unabhängig evaluieren, und diese Berichte sind öffentlich. Ich vermisse dies in der Schweiz, auch Bundesrat und Parlament könnten solche Evaluationen durchführen lassen, wenn die SNB das nicht selber tut. Zudem verwehrt die SNB Einblicke in ihre geldpolitischen Erwägungen. Weshalb wird der Zinssatz angehoben oder gesenkt oder am Devisenmarkt interveniert? Welche Alternativen wurden betrachtet? Andere Notenbanken sind hier deutlich offener. Ein weiteres Beispiel ist die Gewinnausschüttung an Bund und Kantone. Es gibt zwar ein Memorandum of Understanding zwischen der SNB und dem Finanzdepartement in dieser Frage. Die SNB kann die Ausschüttung aber effektiv allein festlegen, indem sie Geld von der Ausschüttungsreserve in die Währungsreserve verschiebt.

Politiker von links und rechts versuchen die SNB als Geldquelle anzuzapfen. Dass sich die SNB dem widersetzt ist, zu begrüssen. Länder, die Staatsausgaben mit der Notenpresse finanzieren, geraten in eine Spirale von Schulden und Inflation.

Tatsache ist, dass die Nationalbank heute ihre Reserven jährlich um 10 Prozent aufstockt, ohne offenzulegen, wann sie genug hat. Das Kapital gehört nicht der SNB, sondern dem Staat. Gemäss Nationalbankgesetz muss sie die Gewinne ausschütten.

Die SNB hat ihre Ausschüttungen in den letzten Jahren auf 6 Milliarden Franken erhöht. Nach einem Verlust von 132 Milliarden Franken hat sie dieses Jahr aber darauf verzichtet. Wollen Sie ihr das vorwerfen?

Gleichzeitig hat sie per Ende Mai über 127 Milliarden Franken Eigenkapital. Eine Führung mit mehr Musikgehör hätte einen Teil ihrer Währungsreserven verwendet, um die Verluste aufzufangen. Dann hätte sie auch etwas ausschütten können.

Sie haben letztes Jahr im Auftrag des Bundesrates eine Untersuchung über den Untergang der CS durchgeführt. Wo sehen Sie die Versäumnisse der Notenbank?

Die SNB hat in der akuten Phase der Krise Liquidität in grossem Umfang zur Verfügung gestellt. Das war eine absolute Ausnahme und richtig so. Vor der Krise war die SNB aber sehr restriktiv in der Gestaltung ihrer Notliquiditätsstrategie. Sie hat hier bereits Reformanstrengungen unternommen, aber sie sollte das Universum von Sicherheiten, das sie in diesem Bereich akzeptiert, deutlich ausweiten. Ich glaube nicht, dass sie ihre Hausaufgaben im Hinblick auf eine künftige Abwicklung der UBS bereits geleistet hat.

Der UBS-Präsident Colm Kelleher hat sich dafür ausgesprochen, dass die Notenbank wie in anderen Ländern die Aufsicht über die systemrelevanten Banken übernimmt. Unterstützen Sie das?

Das Mandat der SNB würde massiv erweitert, sie würde noch mächtiger. Da habe ich staatspolitische Bedenken. Die Nationalbank müsste massiv umgebaut werden. Sie stünde viel mehr im Schaufenster und liefe Gefahr, dass die Unabhängigkeit der Geldpolitik tangiert würde. Ein Vorteil wäre, dass in Krisen die Abwicklung der Liquiditätsversorgung erleichtert würde, weil die Koordination mit der Finma entfällt. Unter dem Strich überwiegen meines Erachtens die Nachteile deutlich.

Was erwarten Sie vom neuen Direktorium unter Martin Schlegel?

Das neu konstituierte Gremium hat die Gelegenheit, Reformen anzustossen. Die SNB könnte eine Amtszeitbeschränkung für Direktoriums­mitglieder ins Spiel bringen. Zudem könnte das Direktorium den Fokus auf das Präsidium reduzieren und die Bedeutung des Gremiums stärken, indem es das Präsidium jährlich rotieren lässt.

Sie vergleichen die SNB mit anderen Notenbanken und fordern Best-Practice-Regeln. Ein rotierendes Präsidium kennt aber keine erfolgreiche Zentralbank.

Laut Artikel 18 des Organisationsreglementes der SNB ist «das Direktorium eine Kollegialbehörde». In der Ära von Thomas Jordan hatte man zu oft den Eindruck einer One-Man-Show. Das neue Gremium hat die Gelegenheit, diese Fehlentwicklung zu korrigieren.

Sie haben geschrieben, es sei unwahrscheinlich, dass der nächste SNB-Präsident ebenso geschickt ist wie Jordan. Hatte er Ihrer Meinung nach einfach Glück?

Thomas Jordan war ein sehr guter Geldpolitiker. Einen solchen Run zu wiederholen, ist anspruchsvoll. Gleichzeitig ist Geldpolitik nicht Rocket-Science. Man muss nicht mit der Lupe arbeiten; es genügt, grosse Fehler zu vermeiden. Ich bin zuversichtlich, dass die SNB auch in Zukunft die Preisstabilität gewährleisten kann.

Yvan Lengwiler

«Geldpolitik ist wichtig, denn sie geht uns alle an», lautet das Credo des Basler Wirtschaftsprofessors. Zusammen mit den beiden Ökonomen Charles Wyplosz und Stefan Gerlach bildet er das SNB Observatory, das der Notenbank auf die Finger schaut. Im Auftrag des Bundesrates verfasste Lengwiler im vergangenen Herbst als Kopf einer Expertengruppe einen Bericht über den Reformbedarf nach dem Kollaps der Credit Suisse.

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