Politische Instabilität und ein antieuropäischer Kurs: Die Aussichten für das deutsch-französische Verhältnis sind nicht gut
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Kanzler Olaf Scholz am Deutsch-Französischen Ministerrat in Meseberg. Frederic Kern / Imago
Als vor rund einem Monat Kanzler Olaf Scholz und der französische Präsident Emmanuel Macron gemeinsam im Schlosspark im brandenburgischen Meseberg vor die Presse traten, fiel ein denkwürdiger Satz. «Wir einigen uns immer», sagte Scholz zum deutsch-französischen Verhältnis. Das sei auch die Prognose für die Zukunft.
Nach dem Sieg des Rassemblement national (RN) bei der ersten Wahlrunde und einer möglichen Regierungsbeteiligung der Rechtsnationalisten wird der Kanzler dieses Versprechen wohl so nicht mehr geben. Die Bundesregierung möchte die erste Runde der Parlamentswahlen in Frankreich nicht kommentieren, stellt sich aber auf deutlich schwierigere Beziehungen mit Paris ein.
Deutschland arbeite eng und vertrauensvoll mit Frankreich zusammen, sagt der Regierungssprecher Steffen Hebestreit. «So soll es nach unseren Vorstellungen auch bleiben.» Dennoch sind die Sorgen in den deutschen Ministerien gross. Schon jetzt werden Communiqués ausgearbeitet, die an die europäische Einheit und das enge Bündnis der beiden Staaten appellieren. Beides steht auf dem Spiel, egal, ob die Rechtsnationalisten oder das linke Wahlbündnis die Stichwahl am 7. Juli für sich entscheiden.
Die Gründerin des RN, Marine Le Pen, machte noch vor wenigen Wochen mit heftigen antideutschen Aussagen im Wahlkampf Stimmung. So sollten die Rüstungskooperationen mit Deutschland beendet werden. Stattdessen würden eigene Projekte verfolgt. Aufgekündigt hat sie auch den Einsatz Frankreichs für einen ständigen Sitz von Deutschland im Uno-Sicherheitsrat. Die breite militärische Unterstützung der Ukraine steht auf dem Spiel. Eine Zusammenarbeit mit Deutschland konnte sich Le Pen im Wahlkampf allenfalls im Kulturbereich vorstellen.
Frankreich-Expertin befürchtet neue Schuldenkrise
«Die Machtverhältnisse werden sich ändern. Deutschland und die gesamte EU müssen sich darauf einstellen, dass Frankreich deutlich weniger verlässlich wird», sagt Ronja Kempin von der Stiftung Wissenschaft und Politik der NZZ. Auf politischer Ebene werde die Verständigung sehr viel schwieriger. «Wenn das RN oder die linke Volksfront an der Regierung beteiligt sind, brauchen sie Erfolge gegen Deutschland.» Denn beide Parteien schürten antideutsche Ressentiments.
Wie sich die Zusammenarbeit mit Deutschland nach der Stichwahl gestaltet, weiss auch in Berlin noch keiner. Kempin weist aber darauf hin, dass es den Rechtspopulisten auch um ein Machtkalkül gehe. Das RN schaue bereits in Richtung der Präsidentschaftswahlen 2027, die Marine Le Pen in den Élysée-Palast bringen sollen. Die Frankreich-Expertin erwartet deshalb ein pragmatisches Vorgehen, ähnlich wie das von Giorgia Meloni in Italien.
«Klar ist schon jetzt, dass sich die finanzielle Lage des Staatshaushalts in Frankreich deutlich verschlechtern wird», sagt Kempin. Denn das RN und auch die linke Volksfront haben im Wahlkampf Mehrausgaben versprochen. Frankreich hat bereits die EU-Schuldenbremse gerissen, ein EU-Defizitverfahren wird vorbereitet. «Möglicherweise steuern wir dann auf eine Staatsschuldenkrise zu», sagt Kempin. Fraglich sei, ob beide Parteien in Kauf nähmen, die Euro-Zone zu zerstören. «Das ist die grosse Unbekannte für Berlin.»
Berlin muss sich auf politische Instabilität einstellen
Von einem Frexit, dem Austritt Frankreichs aus der Euro-Zone, ist Le Pen bereits abgerückt. Auch in der Nato soll Frankreich bleiben. Bei der Energieversorgung verteidigt Le Pen den Ausbau der Atomkraft und machte im Wahlkampf Deutschland mit seiner «gescheiterten Energiewende» für die hohen Energiepreise in Frankreich verantwortlich.
Jacob Ross von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) befürchtet eine zunehmende politische Instabilität in Frankreich. Das wahrscheinlichste Szenario sei, dass es keine absolute Mehrheit für einen der politischen Blöcke gebe, sagt er gegenüber der NZZ. Ross verweist auf die Verschwörungstheorien und antideutschen Klischees, die Le Pen noch 2019 bei der Erneuerung der Élysée-Verträge verbreitet habe. Auch von einem Ausverkauf von Elsass-Lothringen habe sie gesprochen.
Ross hält es deshalb für wichtig, dass die gewachsenen Partnerschaften und institutionellen Verbindungen mit Frankreich ausgebaut werden. Auch Kempin meint, dass diesen Initiativen wie Städtepartnerschaften und dem Jugendaustausch bei einem Sieg der Rechtsnationalisten noch mehr Bedeutung zukomme.
«Macron zieht ganz Europa in die Krise»
Das persönliche Verhältnis zwischen Kanzler Scholz und Präsident Macron gilt als schwierig. Bei der Ukraine-Unterstützung wurden mangelnde Absprachen deutlich. Scholz war verärgert, als Macron die Entsendung von Nato-Bodentruppen in die Ukraine nicht ausschloss. Mit seinen europapolitischen Visionen stiess Macron dagegen in Berlin auf wenig Resonanz.
Der sozialdemokratische Aussenpolitiker Michael Roth sieht deshalb eine Mitverantwortung der Bundesregierung für den Sieg antieuropäischer Parteien. «Wir haben uns zu wenig gefragt, wie wir den proeuropäischen, liberalen Präsidenten Macron besser unterstützen können», sagt der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses gegenüber dem Nachrichtenportal «Politico». «Wir nehmen zu wenig Rücksicht auf politische Debatten und Probleme in anderen Ländern.»
Der CDU-Aussenexperte Johann Wadephul befürchtet, dass Frankreich auch nach der Stichwahl keine stabile Regierung bekommen werde. «Frankreich droht auf Jahre die Handlungsunfähigkeit und Zerrissenheit. Damit zieht Macron ganz Europa in eine Krise», sagt der Christlichdemokrat gegenüber der «Süddeutschen Zeitung».