Rhone tritt über ihre Ufer – nachdem die Walliser Regierung den Hochwasserschutz sistierte
Die Rhone trat am Samstag bei Chippis über die Ufer und flutete das Industriequartier der Stadt.
Heftige Unwetter am Wochenende sorgten für die grösste Hochwasserkatastrophe im Walliser Rhonegebiet seit dem Jahrhunderthochwasser im Oktober 2000. Dennoch wurde das grösste Hochwasserschutzprojekt der Schweiz vom Walliser Staatsrat vorläufig sistiert.
Die Rhone im Wallis hat eine lange Geschichte extremer Überschwemmungen. Bereits 1863 wurde aufgrund der Überschwemmungsgefahr die erste Rhonekorrektion beschlossen. Mitte des 20. Jahrhunderts wurde dann mit der zweiten Rhonenkorrektion weitere Massnahmen ergriffen, um die Überschwemmungsgefahr zu senken.
Bereits nach der Überschwemmung 1987 stellte eine Untersuchung der ETH fest, dass der Fluss ein grösseres Wasserbauprojekt benötigt und Unterhaltsmassnahmen die Sicherheit nicht mehr gewährleisten können. Die Überschwemmungen 1993 und 2000 bestätigten die Beurteilung der Hochschule. Im September 2000 hiess der Grosse Rat eine dreistufige Zielplanung für die dritte Rhonenkorrektion gut.
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Die dritte Rhonekorrektion
2009 sprach das eidgenössische Parlament einen ersten Verpflichtungskredit, mit welchem dringend notwendige Massnahmen finanziert werden sollten. Zudem hat das Walliser Stimmvolk 60 Millionen für Sicherungsarbeiten gesprochen.
2019 beschlossen National- und Ständerat einen Kredit über mehr als eine Milliarde Franken. Damit sollte die dritte Rhonenkorrektion definitiv in Angriff genommen und umgesetzt werden. Durch das Projekt sollten insgesamt 100'000 Menschen vor Hochwassern geschützt sowie Sachschäden von bis zu 10 Milliarden Franken verhindert werden.
Das Projekt ist aber nun bis auf Weiteres sistiert. Der Grund: Ein Gutachten, das vom Walliser Staatsrat Franz Rappen (SVP) vorgelegt wurde.
Das Gutachten
«Unsere Analyse zeigt, dass das Projekt überdimensioniert ist. Die Hochwasserrisiken wurden zu hoch eingeschätzt», so erklärte Franz Ruppen, der zuständige Walliser Umweltminister, die Revision des Projekts.
Zusätzlich erklärte Franz Ruppen die Sistierung des Projektes mit der Notwendigkeit einer neuen Interessenabwägung zwischen Naturschutz, Hochwasserschutz und Landwirtschaft. Denn sollte die dritte Rhonenkorrektion so umgesetzt werden wie geplant, würden etwa 300 Hektar landwirtschaftlich wertvolle Fruchtfolgefläche renaturiert werden. Das ist auch der Grund, weshalb sich die Unterwalliser Landwirte sowie die SVP seit Beginn gegen das Projekt gestellt hatten.
Das Vorgehen von Ruppen wird heftig kritisiert. So geht Daniel Heusser von WWF Schweiz mit der Kantonsregierung hart ins Gericht: «Mit einem 69-seitigen Pseudogutachten beerdigt man 20 Jahre wissenschaftlich fundierte Arbeit.» Laut Heusser, könne man das Projekt aus ökologischer Sicht nicht mehr abspecken. Er bemängelt zudem, dass die neue Studie von einem Immobilienbüro ohne Erfahrung mit Hochwasserschutzprojekten an grossen Gewässern verfasst wurde. Zudem habe der Gutachter viele vorhandene Unterlagen für seine Analyse überhaupt nicht berücksichtigt.
Auch der ausgewiesene Experte für Hochwasserschutz und ehemalige Berater des Projekts Jean-Pierre Jordan kritisiert die Kantonsregierung. So erklärt er, dass er die Sistierung für eine reines politisches Manöver halte und er aus wasserbaulicher Sicht keine Alternativen zur dritten Rhonenkorrektion sehe.
Diese Orte sind aktuell von den Unwettern betroffen.
Auch der Bund streicht Stellen
Das Bundesamt für Umwelt zeigt sich ebenfalls irritiert. So hat der Bund laut Franz Ruppen per Ende 2023 1,8 Millionen Franken sistiert. Damit hatte der Bund sieben Vollzeitstellen subventioniert, die am Projekt tätig waren. Das Bafu bestätigte dies gegenüber der «NZZ am Sonntag»: «Im Dezember 2022 teilte das Bafu dem Kanton Wallis mit, dass die Zahlungen von Subventionen für bestimmte Leistungen […] ausgesetzt würden.»
Bisher wurden im Zuge der dritten Rhonekorrektion Arbeiten im Industriegebiet Visps sowie in Aproz, Sion (Ronquoz) und mehreren Ortschaften in der Nähe des Port-Valais vorgenommen. Alles Gebiete, die am vergangenen Wochenende nicht von Überschwemmungen betroffen waren.