Boeing soll sich wegen 737-Max-Abstürzen schuldig bekennen – sonst droht die US-Justiz mit einem Prozess
Die tödlichen Flugzeugabstürze von zwei 737-Max-Flugzeugen 2018 und 2019 könnten für den amerikanischen Hersteller Boeing nun doch strafrechtliche Konsequenzen haben. Paul Christian Gordon / Imago
Das amerikanische Justizministerium will Boeing wegen Betrugs anklagen. Der Flugzeugbauer steht nun vor der Wahl, sich im Rahmen eines Vergleichs schuldig zu bekennen oder das Risiko eines Prozesses auf sich zu nehmen. Hintergrund sind die Abstürze von zwei 737-Max-Flugzeugen 2018 und 2019, bei denen 346 Personen gestorben sind.
Boeing habe nun bis Ende der Woche Zeit, zu entscheiden, ob es auf den Vergleich eingehe, teilte das Justizministerium den Hinterbliebenen der Opfer und ihren Anwälten am Sonntag mit. Zusätzlich zum Schuldbekenntnis soll Boeing dabei eine Strafe von 243,6 Millionen Dollar zahlen und einen unabhängigen Aufseher akzeptieren, wie mehrere Medien übereinstimmend berichteten. Sowohl Boeing als auch das Justizministerium nahmen zu den Berichten keine Stellung.
Ein Schuldeingeständnis könnte den Status von Boeing als Auftragnehmer der amerikanischen Regierung gefährden. Solche Verträge, etwa mit dem Militär oder der Nasa, machen einen erheblichen Teil des Konzernumsatzes aus. Die Sparte ist für Boeing wichtig, da der Flugzeugbauer wegen Qualitätsmängeln bei seinen kommerziellen Flugzeugen seit Anfang Jahr stark unter Druck steht.
Anwälte der Hinterbliebenen kritisieren Angebot
Die zu zahlende Strafe käme zu den 243,6 Millionen Dollar hinzu, die Boeing bereits 2021 bezahlt hatte. Damals hatten sich Boeing und das amerikanische Justizministerium auf eine Vereinbarung – ein sogenanntes Deferred Prosecution Agreement – geeinigt, die den Flugzeugbauer in den Vereinigten Staaten vor Strafverfolgung wegen der tödlichen Abstürze schützte. Im Mai kam das Justizministerium jedoch zu dem Schluss, dass Boeing gegen die Vereinbarung verstossen habe und strafrechtlich nun doch belangt werden könne. Boeing bestreitet die Vorwürfe.
Die Abstürze der beiden Flugzeuge des Typs 737 Max 9 ereigneten sich innerhalb von sechs Monaten. Im Oktober 2018 stürzte ein Flugzeug der indonesischen Lion Air ab, im März 2019 dann eine Maschine der Ethiopian Airlines. Ursache war laut Ermittlungen unter anderem eine Software, die Piloten im Flug unterstützen sollte, aber stärker als von ihnen erwartet in die Steuerung eingriff. Boeing geriet in die Kritik, weil der Flugzeugbauer bei der Zertifizierung des Typs durch die amerikanische Luftfahrtbehörde FAA spezielle Schulungen für die Software für unnötig erklärt hatte.
Paul Cassell, der als Anwalt die Hinterbliebenen der tödlichen Abstürze vertritt, bezeichnete das geplante Angebot des Justizdepartements an Boeing als «sweetheart deal», was sich am besten mit Vetternwirtschaft übersetzen lässt. «Das Andenken an 346 Unschuldige, die von Boeing getötet wurden, verlangt mehr Gerechtigkeit als das», sagte Cassell der BBC. Die Hinterbliebenen würden den Deal mit Nachdruck ablehnen, fügte er hinzu. Die zu zahlende Strafe liegt deutlich unter den 25 Milliarden Dollar, die von den Hinterbliebenen der Opfer gefordert wird.
Boeing kauft Zulieferer Spirit Aerosystems zurück
Boeing befindet sich seit Anfang Jahr wegen eines Rumpfteils, das eine so gut wie neue 737 Max 9 von Alaska Airlines während eines Fluges verloren hat, in einer kritischen Lage. Der Vorfall brachte Qualitätsmängel unter anderem beim Zulieferer Spirit Aerosystems zum Vorschein, der den Rumpf für die 737-Max-Flugzeuge baut. Laut den nach dem Vorfall aufgenommen Ermittlungen hatte Spirit Aerosystems das Rumpfteil mit fehlenden Befestigungsbolzen an Boeing geliefert.
Am Montag gab Boeing bekannt, Spirit in einer 4,7 Milliarden Dollar schweren Transaktion zu übernehmen. Boeing zahlt den Kaufpreis in Form von Aktien. Spirit war 2005 von Boeing ausgegliedert worden. Der Flugzeugbauer folgte damals dem Trend, den Konzern zu verschlanken und durch die Verlagerung von Aktivitäten an Zulieferer Geld zu sparen. Die Trennung führte laut Kritikern zu Qualitätsproblemen. Nun hat Boeing Spirit wieder unter das Konzerndach geholt. Der Boeing-Chef Dave Calhoun betonte, der Deal sei im Interesse der Flugpassagiere, der Flugzeugbauer, der Airlines «und des Landes insgesamt».
Neben Boeing beliefert Spirit Aerosystems auch den europäischen Konkurrenten Airbus mit Teilen von Tragflächen und Rumpf-Fragmenten. Airbus übernimmt nun jene Werke, die Teile für die eigenen Flugzeuge herstellen. Anders als Boeing zahlt Airbus für die Werke nichts. Der Konzern bekommt von Spirit Aerosystems gar eine Zahlung über 559 Millionen Dollar als Entschädigung dafür, dass er die verlustbringenden Werke übernimmt.