Supreme Court erteilt Trump Persilschein
Der US-Präsident ist weitgehend vor Strafklagen geschützt, urteilt das Oberste Gericht. Die unterlegenen Richterinnen warnen, es habe ihn damit zum König erhoben.
In Manhattan musste der ehemalige Präsident Donald Trump im Mai 2024 vor dem Strafgericht erscheinen. Eine weitere Anklage in der Hauptstadt Washington wird jetzt durch den Supreme Court ausgebremst.
Sie kann gar nicht überschätzt werden, die Bedeutung des jüngsten Urteils aus dem Supreme Court in Washington. Zunächst einmal für Donald Trump, den mutmasslichen Straftäter, beschuldigt als Kopf einer Verschwörung, die das Resultat der Präsidentschaftswahl 2020 umzustossen versuchte, um ihn an der Macht zu lassen. Dann aber auch für denselben Donald Trump, den designierten Präsidentschaftskandidaten der Republikaner und aktuellen Favoriten für die Wahl am 5. November. Und schliesslich für die Vereinigten Staaten, eine der ältesten Demokratien der Welt.
Über diesen Donald Trump hat die konservative Mehrheit der Richter am Obersten Gericht am Montag ein Urteil gefällt, das ihn davor bewahren dürfte, strafrechtlich zur Verantwortung gezogen zu werden. Im Mindesten wird der Richterspruch dazu führen, dass der Prozess wegen Trumps Versuch eines Staatsstreichs am 6. Januar 2021 nicht mehr vor dem Wahltermin vom 5. November stattfinden wird. Sollte er wiedergewählt werden, könnte er dem Justizministerium befehlen, die Anklage einzustellen. Für diesen Fall gibt ihm dasselbe Urteil «eine geladene Waffe» in die Hand, wie es in einer scharfen Kritik der Minderheit heisst, bestehend aus den drei von Demokraten ernannten Richterinnen.
Die Mehrheit will einen furchtlosen Präsidenten
Das Gericht hat mit 6 zu 3 Stimmen das einstimmige Urteil eines Berufungsgerichts in Washington verworfen und entschieden, dass der Präsident der Vereinigten Staaten weitreichende Immunität für seine Amtshandlungen besitzt. Für sämtliche offiziellen Handlungen kann er von der Strafjustiz in aller Regel nicht angeklagt werden. Bisher war diese Frage in den USA nicht geregelt, anders als in vielen europäischen Ländern, etwa in Frankreich und in Italien, wo der Präsident Schutz vor Strafverfolgung geniesst.
Als Vertreter der Exekutivgewalt im Staat müsse der Präsident «mutig und ohne zu zögern handeln» können, schreibt Chief Justice John Roberts als Verfasser des Urteils. Die Angst vor einer Anklage könne den Präsidenten daran hindern, die Strafverfolgung stelle eine grosse Gefahr für die «Autorität und die Funktion der Exekutive dar». Das Oberste Gericht unterscheidet darum drei Arten von Handlungen des Präsidenten. Keine Immunität besteht für das, was der Präsident als Privatperson tut.
Der Prozess wird weiter verzögert
Für die Kernfunktionen des Amts, etwa das Recht zur Begnadigung, ist die Immunität laut Urteil absolut. Für offizielle Handlungen als Präsident geniesst der Präsident schliesslich eine relative oder, in den Worten des Gerichts, «mutmassliche Immunität». Dabei hat das Gericht derart strenge Kriterien festgelegt, dass eine Anklage gegen einen künftigen Präsidenten höchst unwahrscheinlich geworden ist. Zum einen gehen die konservativen Richter davon aus, dass alles, was ein Präsident tut, von der Immunität gedeckt ist, solange es «nicht offensichtlich jenseits seiner Kompetenzen» ist. Zum anderen muss die Anklagebehörde in solchen Fällen detailliert belegen, dass die Strafverfolgung die Autorität und die Funktion der Exekutive nicht beeinträchtigen würde.
Was das für Trumps Fall konkret bedeutet, muss nun Bundesrichterin Tanya Chutkan entscheiden. Zu erwarten sind weitere Anhörungen, die der Beschuldigte verzögern und wiederum vor ein Berufungsgericht und vor den Supreme Court zerren kann. Angesichts der Tatsache, dass sich das Oberste Gericht schon mit dem aktuellen Urteil sechs Monate Zeit gelassen hat, ist es nahezu ausgeschlossen, dass der Hauptprozess noch vor dem Wahltermin stattfinden wird. Zudem hat der Supreme Court einigen Anklagepunkten bereits die Zähne gezogen.
Immunität geniesst Trump etwa für jene Episode 2020, als er Jeff Clark zum Justizminister machen wollte, weil dieser bereit war, seine Lügen über Wahlfälschungen weiterzuverbreiten. Und für andere mutmassliche Straftaten, etwa Trumps Rede vor dem Weissen Haus am 6. Januar, bei der er die Menge aufforderte, zum US-Capitol zu marschieren, hat das Oberste Gericht den Handlungsspielraum von Sonderermittler Jack Smith stark beschnitten. Unter anderem dürfen das Motiv und die private Kommunikation des Präsidenten nicht berücksichtigt werden. Möglicherweise implodiert mit diesem Urteil auch die Anklage in Georgia wegen Verschwörung im Zusammenhang mit der Wahl 2020. Nicht betroffen ist hingegen die Strafklage in Florida, weil Trump Geheimdokumente aus dem Weissen Haus mitnahm, ebenso wenig der Schuldspruch in Manhattan wegen 34-facher Buchhaltungsfälschung.
«Gesetzlose Zone um den Präsidenten»
Scharf kritisiert Richterin Sonia Sotomayor die Argumentation ihrer Kollegen. «Das Gericht schafft eine gesetzlose Zone um den Präsidenten», schreibt sie in einem Kommentar der Minderheit. «Bei allen Amtshandlungen ist der Präsident jetzt ein König, der über dem Gesetz steht.» Das Urteil komme «einer geladenen Waffe gleich», bereit für jeden Präsidenten, der sein eigenes Interesse, politisches Überleben und finanzielle Vorteile über die Bedürfnisse der Nation stelle. «In Sorge um unsere Demokratie stimme ich dem Urteil nicht zu», schliesst sie.
Donald Trump begrüsste das Urteil. Er hat seinen Anhängern versprochen, er werde als ihr Racheengel ins Weisse Haus zurückkehren. Er hat Pläne schmieden lassen, wie er Hürden für den Präsidenten aus dem Weg räumen könnte, wie er etwa unliebsame Beamte entlassen könnte. Er werde wie ein Diktator regieren, aber nur am Tag eins, sagte er. Nach dem Richterspruch aus dem Supreme Court wäre er ein Diktator mit geladener Waffe. Trump sagte dazu: «Das ist ein grosser Sieg für unsere Verfassung und unsere Demokratie.»
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