Date in der Grabkapelle
Der bekannte Schweizer Literaturkritiker Charles Linsmayer rezensiert für 20 Minuten regelmässig Neuerscheinungen und Klassiker.
In seiner Literaturkolumne rezensiert Charles Linsmayer für 20 Minuten Neuerscheinungen und Klassiker. Dieses Mal: «Vielleicht die letzte Liebe» von Rainer Moritz.
Im Pariser «Père Lachaise», dem berühmtesten Friedhof der Welt, ist Ruhe eingekehrt. Die Tore sind verschlossen, ab und zu streunt eine Katze leise den langen Wegen entlang, an denen Balzac, Chopin, die Piaf, die Callas und Proust die letzte Ruhe gefunden haben. Doch halt: aus der gotischen Grabkapelle der Caillebottes sind Stimmen zu hören. Da flackern Kerzen auf und prosten sich zwei warm eingehüllte Gestalten mit Rotwein zu. Bernard Vautrout, Weinhändler im Ruhestand, seit den Anschlägen auf die Charlie-Hebdo-Redaktion zum Friedhofsfreak verkommen, dem Tode näher als dem Leben stehend und mit der verewigten Prominenz freundschaftlichen Umgang pflegend, feiert, für ihn selbst überraschend, mit der 20 Jahre jüngeren kess-aufmüpfigen Fotografin Aurélie «Vielleicht die letzte Liebe», wie der kürzlich erschienene Roman von Rainer Moritz heisst.
Rainer Moritz: «Vielleicht die letzte Liebe», Oktopus bei Kampa, Fr. 24.– bei Ex Libris
Er muss zwischen Montmartre und Eifelturm aufgewachsen sein, der deutsche Kritiker und Erzähler, erweckt er doch nicht nur die Strassen und Quartiere der Seinestadt zu vitalem Leben, sondern macht aus der Präsentation des Prominentenfriedhofs ein hinreissendes weltliterarisches Lehrstück. Vor allem aber weiss er zu erzählen, führt einen schön langsam an die versprochene Liebesgeschichte heran und schafft es scheinbar ohne jede Anstrengung, den morbiden Coup de Foudre zwischen dem exzentrischen Friedhofsvagabund und der ebenso coolen wie unwiderstehlichen Zufallsgeliebten zu einem literarisch-sinnlichen Vergnügen ersten Ranges zu machen.