Sie verhandelten bis tief in die Nacht – die Bilanz des Friedensgipfels

80 Länder stellen sich hinter die «Bürgenstock-Erklärung» und bauen Druck auf Russland auf. Entscheidende Staaten fehlen aber. Frieden bleibt in weiter Ferne.

sie verhandelten bis tief in die nacht – die bilanz des friedensgipfels

Der ukrainische Präsident zeigte sich dankbar: Wolodimir Selenski schüttelt zum Ende der Bürgenstock-Konferenz Bundespräsidentin Viola Amherd die Hand.

Indien fehlt. Saudiarabien fehlt. Mexiko ebenfalls. Südafrika auch.

Die Einheit und Solidarität wurde zu Beginn der Bürgenstock-Konferenz noch beschworen – doch beim entscheidenden Abschlussdokument scheren ausgerechnet jene Länder aus, auf die man so viel Hoffnung gesetzt hat. Weil sie vermitteln sollten zwischen den Positionen von Russland und der Ukraine.

«Wir haben erreicht, was zu erreichen war», sagt Bundespräsidentin Viola Amherd auf der letzten von vielen Pressekonferenzen an diesem Wochenende. Was das konkret bedeutet? 84 von 100 angereisten Staaten und Organisationen haben ein Schriftstück unterzeichnet, das den Titel «Bürgenstock Communiqué» erhalten hat.

Das Papier ist aus zwei Gründen bemerkenswert: erstens, weil es ausdrücklich Russland die Verantwortung für den Ukraine-Krieg zuweist. «Der anhaltende Krieg der Russischen Föderation gegen die Ukraine verursacht weiter grosses menschliches Leid und Zerstörung und schafft Risiken und Krisen mit globalen Auswirkungen», lautet der erste Satz. Es ist zugleich der schärfste.

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Viel Prominenz auf einer Bühne – von links nach rechts: EU-Kommissions-Präsidentin Ursula von der Leyen, Bundespräsidentin Viola Amherd, der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski, der chilenische Präsident Gabriel Boric und der kanadische Premier Justin Trudeau.

Zweitens ruft das Dokument dazu auf, die Souveränität aller Staaten nicht durch Drohungen oder Gewalt zu verletzen – die Ukraine ausdrücklich inbegriffen. Auch das ist eine Spitze gegen Russland. Vielleicht liegt hier die Begründung verborgen, weshalb einige Staaten, die sich irgendwo zwischen den beiden Seiten sehen, ihre Unterschrift nicht unter das Dokument setzen wollten. (Lesen Sie hier das ganze Communiqué).

Lockere Runde zwischen Macron und Sunak

Dass es so kommen wird, ist bis ganz zum Schluss der Konferenz offen. Diplomatinnen und Sicherheitsberater, Staatschefinnen und Premiers verhandeln im innersten Bereich des Luxusresorts während 24 Stunden intensiv um den Wortlaut des Dokuments. In der speziell gesicherten «dunkelroten Zone», zu der die Medien nur mit Aufpassern Zutritt haben, können sich die Machthaber frei bewegen und miteinander sprechen.

Anekdoten kursieren, von einer lockeren Runde zwischen Emmanuel Macron und Rishi Sunak – und von Schweizer Unterhändlern, welche die Nacht durcharbeiteten, um einen Kompromiss zu finden.

Viola Amherd gibt sich am Sonntag sichtlich Mühe, dem Ergebnis einen positiven Spin zu geben: Man habe eine grosse Zahl von Staaten für eine Unterschrift gewinnen können. Und zum ersten Mal habe die Welt auf höchster Stufe über Frieden statt über Krieg gesprochen.

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Das Schlüsselbild, das Druck auf Russland macht: Rund 100 Vertreter von Staaten und Organisationen posieren für das traditionelle «Familienfoto», das alle Teilnehmer der Bürgenstock-Konferenz vereint.

Selenskis Tirade

Aber in einem zentralen Punkt hat Amherd keine Antwort. Das ganze Wochenende über war die Frage immer wieder zu hören: Wie soll es Friedensverhandlungen geben, wenn Russland daran nicht teilnimmt? Wenn Wladimir Putin stattdessen Forderungen stellt, die Ukraine müsse weite Teile ihres Staatsgebiets an Russland abtreten? Die Bundespräsidentin sagt am Sonntag dazu maximal diplomatisch, es habe in dieser Frage «unterschiedliche Ansichten» gegeben.

Für Wolodimir Selenski dagegen ist die Sache eindeutig. An seiner eigenen sonntäglichen Pressekonferenz geisselt er auf Englisch und Ukrainisch «Putins Attacke» und warnt Europa vor einer Eskalation des Kriegs, wenn Russland nicht gestoppt werde. Es werde bald nicht nur in der Ukraine ums pure Überleben gehen, sondern auch weiter westlich.

Manche Staatsvertreter sehen das anders. So sagt zum Beispiel der südafrikanische Gesandte Sydney Mufamadi in einem Interview mit dieser Redaktion: «Frieden kann es nur geben, wenn beide Seiten bereit sind, Verhandlungen aufzunehmen.» Tatsächlich wird Südafrika am Ende zu jenen Ländern gehören, die das Communiqué nicht unterzeichnen.

Wie man es auch dreht und wendet – Frieden in der Ukraine bleibt auf dem Bürgenstock in weiter Ferne.

Gegen Drohungen mit Kernwaffen

Einige konkrete diplomatische Forderungen gibt es aber. So haben sich achtzig Länder und vier internationale Organisationen darauf geeinigt, dass sämtliche ukrainische Kernkraftwerke «gesichert und bewacht» sein müssen. Explizit erwähnt wird das Kraftwerk Saporischschja in der Südostukraine, das unter der «souveränen Kontrolle der Ukraine sicher und geschützt» betrieben werden solle. Diese Anlage ist derzeit unter russischer Kontrolle.

Ebenso seien Angriffe auf Handelsrouten und Häfen «nicht hinnehmbar». Die Ernährungssicherheit dürfe «in keiner Weise zur Waffe werden». Und noch ein Satz fällt auf, der sich direkt an Wladimir Putin richtet: «Jede Androhung oder jeder Einsatz von Kernwaffen im laufenden Krieg gegen die Ukraine ist unzulässig», heisst es im Communiqué.

Am stärksten gehen die Emotionen an diesem Wochenende hoch, als die Sprache auf die deportierten ukrainischen Kinder kommt. An die 20’000 Mädchen und Buben habe Russland aus der Ukraine weggebracht. «Manche dieser Kinder sind auf russischen Adoptionsplattformen aufgetaucht», sagt der kanadische Premier Justin Trudeau vor den Medien. «Bringen Sie diese Kinder zurück», sagt EU-Kommissions-Präsidentin Ursula von der Leyen – an Putin gewandt.

Wie weiter?

So konkret diese Forderungen sind, so verschwommen sind die nächsten Schritte. Kommt es zu einem zweiten Friedensgipfel? Und wenn ja: Wo und wann? Darauf weiss am Sonntag niemand eine Antwort, Wolodimir Selenski nicht, Ursula von der Leyen nicht, Viola Amherd nicht. Und US-Vizepräsidentin Kamala Harris oder den französischen Präsidenten Emmanuel Macron kann man nicht fragen – die beiden sind bereits am Vorabend abgereist.

Ein paar Sätze kommen dann doch. Es gebe gute Gespräche mit verschiedenen Ländern, sagt Selenski. Es sei grundsätzlich möglich, einen weiteren Friedensgipfel vor den US-Wahlen im November zu organisieren, sagt Ignazio Cassis. Aber das hänge von den Absichten der beteiligten Staaten ab.

sie verhandelten bis tief in die nacht – die bilanz des friedensgipfels

Aussenminister Ignazio Cassis leitete die Plenarversammlungen während der Konferenz.

Es gebe auch Länder, die konkretes Interesse an der Durchführung einer Folgekonferenz signalisiert hätten. Und ja, es sei auch möglich, die Friedenspläne von Brasilien und China mit den Diskussionen zu verschmelzen, die an diesem Wochenende geführt worden sind.

Aber dazu brauche es nun zuerst Debriefings und jede Menge neue Gespräche, auf Ebene der nationalen Sicherheitsberater und der Minister, sagt Cassis: «Wir werden unsere Kontakte wieder aufnehmen.» Viola Amherd hat schon zuvor gesagt, die Schweiz wolle im Friedensprozess weiterhin eine «aktive Rolle» spielen.

Dann verschwinden die Bundespräsidentin und der Aussenminister durch eine Seitentür. Draussen heben die Hubschrauber ab, welche die Staatsgäste zurück an die Flughäfen bringen, Techniker bauen all die Bühnen ab, auf welche sich die Politiker in den letzten Tagen gestellt haben. Zurück bleibt ein Satz aus Viola Amherds Eröffnungsrede: Man habe «bescheidende Ziele».

Manchmal muss das reichen.

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