Nemo ist der Superstar der Pride – aber für queere Menschen bleibt Zürich eine Stadt mit Schattenseiten

nemo ist der superstar der pride – aber für queere menschen bleibt zürich eine stadt mit schattenseiten

Nemo am Freitagabend auf der Landiwiese. Der Sieger des Eurovision Song Contest ist der Superstar des diesjährigen Pride-Festivals in Zürich. Christian Merz / Keystone

Nemo, der Superstar der diesjährigen Ausgabe der Zurich Pride, hat die Lösung gefunden. Zumindest auf der Bühne; zumindest mit dem Song «The Code», mit dem der Bieler im Mai den Eurovision Song Contest gewann – als erste Person überhaupt, die weder Mann noch Frau sein will, sondern nonbinär.

I, I went to Hell and back

To find myself on track

I broke the code, whoa-oh-oh

singt Nemo am späten Freitagabend bei seinem Auftritt auf der Landiwiese. Und Tausende jubeln ihm zu und singen mit: schwule Männer, lesbische Frauen, Bisexuelle, Transmenschen, queere Personen wie Nemo – und viele Konzertbesucher, die selber nicht zur Regenbogen-Community gehören und an dem Festival der vielen Lebensweisen trotzdem mitfeiern.

I just gave it some time

Now I found paradise

I broke the code, whoa-oh-oh, whoa-oh-o.

Sein Paradies gefunden hat Nemo in nur drei Minuten: So schnell verwandelt sich der 23-Jährige im Video seines Sieger-Songs vom verunsicherten Kondukteur zum selbstbewussten Musiker im Tutu. Die Rapperfigur in dem Zug ist von androgyner Schönheit. Sie lässt sich auch von Turbulenzen auf offener Strecke nicht aus dem Konzept bringen.

Allein, so leicht wie Nemo in «The Code» fällt es wohl keinem queeren Menschen, sich selbst zu finden. Die schöne farbige Welt der Mainstream-Pop-Kultur ist nicht mit der Realität zu verwechseln, auch nach dreissig Jahren nicht, seit die Pride beziehungsweise der frühere Christopher Street Day in Zürich stattfinden. Ignoriert, missverstanden, diskriminiert, bedroht und tätlich angegriffen werden Homosexuelle und weitere Angehörige der LGBTQ-Gemeinschaft weiterhin, auch in Zürich, der grössten Stadt des Landes, die sich gerne weltoffen, modern und «gay-friendly» gibt.

Auch wenn sich seit dem ersten Umzug unter der Regenbogenfahne viel verändert hat.

nemo ist der superstar der pride – aber für queere menschen bleibt zürich eine stadt mit schattenseiten

Viele Farben, viele Lebensformen auf der Landiwiese. Tausende Zuschauer ;warten gebannt auf den Auftritt des Eurovision-Siegers. Christian Merz / Keystone

Als die Schweiz über einen «Sexskandal im Fussballklub» diskutierte

Über die Premiere 1994 in der Limmatstadt finden sich im Internet kaum Spuren. Ein Jahr später berichtet die NZZ in einer knappen Agenturmeldung über einen «farbenfrohen Umzug» der «Gay-Pride-Parade» durch die Innenstadt, an der rund tausend Schwule und Lesben für ihre Rechte demonstrierten. Gefordert wurde unter anderem, dass gleichgeschlechtliche Paare heiraten dürfen: ein Anliegen, das erst 26 Jahre später mit dem Ja zur Ehe für alle in Erfüllung gehen sollte.

Im April 1994 sorgte der FC Wettswil-Bonstetten schweizweit für Schlagzeilen, als der Vorstand des Fussballvereins kurzerhand beschloss, die erste Mannschaft der Damen aufzulösen. Mehrere Spielerinnen waren lesbisch. Für den «Blick» war das ein gefundenes Fressen. «Sex-Skandal im Fussballklub», schrieb die Boulevardzeitung auf ihrer Titelseite – obwohl der eigentliche Skandal mit Sex gar nichts zu tun hatte, sondern mit dem Hinauswurf der Fussballerinnen durch ihren eigenen Klub.

Der Vorstand des Fussballklubs begründete sein Vorgehen folgendermassen: «Der Verein wird ausgenützt für das Ausleben von ‹abnormalen Veranlagungen› (lesbisch).» Und: «Der Vorstand ist verpflichtet einzuschreiten, sobald die Gefahr besteht, dass Minderjährige gefährdet sind.»

Im «Club» des Schweizer Fernsehens wurde das Ereignis kontrovers diskutiert. Drei Gäste im Studio hatten Verständnis für die Entscheidung des Fussballklubs im Säuliamt. Einer von ihnen war der frühere Präsident des Stadtzürcher Fussballverbands. Er sagte in die Kamera: «Eine Frau ist ein zartes Geschöpf.» Frauenfussball lehne er ab, nur schon aus «ästhetischen Gründen».

In Bonstetten seien auch Briefe besorgter Eltern eingetroffen. Viele Mädchen seien nach einem Match nicht mehr duschen gegangen, habe er gehört. Warum, könne er nicht sagen. Doch das brauchte er gar nicht. Das Bild, dass sich lesbische Frauen womöglich an Juniorinnen vergriffen, war auch so bedient – wenngleich der Mann für seine Unterstellungen in der Fernsehrunde sofort kritisiert wurde.

Auch da hat sich viel getan in den vergangenen dreissig Jahren. Die Fussball-Europameisterschaft der Frauen findet 2025 in der Schweiz statt. Das Turnier verfügt über ein Budget von 120 Millionen Franken, die Organisatoren wollen 715 000 Tickets verkaufen. Dass Alisha Lehmann, der Star des Schweizer Teams, bisexuell ist und offen dazu steht, dürfte hingegen die wenigsten Zuschauer interessieren.

Aber auch diese Entwicklung sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass queere Menschen in Zürich und der Schweiz immer noch Gefahr laufen, abgelehnt, angefeindet sowie schlimmstenfalls auf offener Strasse attackiert zu werden.

Die Mehrheit schaut zu

Marco Uhlig ist Geschäftsführer des Klubs Heaven an der Spitalgasse im Niederdorf, eines beliebten Treffpunkts der LGBTQ-Community. Seit zwanzig Jahren arbeitet Uhlig auch im Verein mit, der die Zurich Pride organisiert. Der gebürtige Berliner sagt: «Ich mache mir Sorgen: Der Rest der Gesellschaft gewöhnt sich daran, dass hier wieder ein schwules Pärchen nachts verprügelt oder da eine Dragqueen bespuckt wird.»

Man schaue zu und tue nichts, wenn queere Menschen im Tram beleidigt würden. «Es gibt keinen Aufschrei.» Und ja, natürlich brauche es die Pride, um darauf aufmerksam zu machen.

nemo ist der superstar der pride – aber für queere menschen bleibt zürich eine stadt mit schattenseiten

Der gebürtige Berliner und Klubbetreiber Marco Uhlig sagt: «Ich mache mir Sorgen. Es gibt keinen Aufschrei, wenn ein schwules Pärchen verprügelt wird.» Annick Ramp / NZZ

Uhlig versteht den Umzug denn auch vor allem als Demonstration, an der es bei aller Fröhlichkeit um ernste Anliegen gehe. «Wir nehmen niemanden was weg, wir lieben das Leben genauso wie alle anderen.» Daher seien auch nichtqueere Menschen willkommen, an dem Festival teilzunehmen, sagt er.

Auch wenn eines der Grundübel auf Zürichs Strassen und Plätzen damit kaum aus der Welt zu schaffen sein dürfte: Laut dem jüngsten Bericht der nationalen LGBTIQ-Helpline gingen im vergangenen Jahr über 300 Meldungen wegen Gewalt und verbaler Attacken gegen queere Personen ein. Fast die Hälfte stammt aus dem Kanton Zürich. 70 Prozent der Anrufenden berichteten von Beleidigungen und Beschimpfungen, 21 Prozent erlitten nach eigenen Angaben körperliche Gewalt. 15 Prozent der gemeldeten Fälle wurden zur Anzeige gebracht.

Gefahr in lauen Sommernächten

Für den Heaven-Betreiber Uhlig bringen diese Zahlen das Ausmass des Problems nur unzureichend zum Ausdruck. «Mein Eindruck ist, dass in der Stadt Zürich allein mehr queere Menschen angepöbelt werden. Es gibt eine hohe Dunkelziffer.» Die Situation beim Zähringerplatz habe sich in den vergangenen Jahren zwar etwas entschärft, sagt Uhlig. Auch, weil seine Mitarbeiter und er mehr Präsenz auf den Strassen markierten als früher. Aber in lauen Sommernächten müssten Klubbesucher weiterhin damit rechnen, von betrunkenen Jugendlichen angepöbelt oder sogar mit Steinen beworfen zu werden.

Doch solche Erfahrungen sollen bei der Pride am Samstag nicht im Zentrum stehen. Das Motto der Jubiläumsparade lautet: «Frei in jeder Beziehung». Nemo dürfte sich als Zugpferd erweisen für den Grossanlass. 2023 zogen 55 000 Menschen durch die Zürcher Innenstadt, allerdings bei Sonnenschein. Die Wetterprognosen für Samstag sind nicht ganz so gut.

nemo ist der superstar der pride – aber für queere menschen bleibt zürich eine stadt mit schattenseiten

«Wir sind gekommen, um zu bleiben!» Nemo bedankt sich bei seinen Fans an der Zurich Pride. Christian Merz / Keystone

OTHER NEWS

6 hrs ago

Zucchini-Cremesuppe: frische Feierabendküche

6 hrs ago

Afghane (16) festgenommen: 14-Jähriger in St. Gallen mit Messer bedroht und ausgeraubt

7 hrs ago

In Richtung Norden: Autos stauen sich auf zehn Kilometern vor dem Gotthard-Südportal

7 hrs ago

Das Milliardengeschäft mit der EM: In der Kommerzialisierung schlägt die Uefa sogar die Fifa – und ist trotzdem beliebter

7 hrs ago

102-Jährige trägt das Olympische Feuer

7 hrs ago

«Zwei Pässe, ein Tor»

7 hrs ago

Debora Baumann (23) hatte bei der WG-Zimmersuche doppeltes Glück: Wohngemeinschaft auf zwei Etagen

8 hrs ago

Suchaktion im Misox GR ist am Sonntagmorgen wieder angelaufen

8 hrs ago

Autos stauen sich auf zehn Kilometern vor dem Gotthard-Südportal

8 hrs ago

Zu viele Kälber werden geboren – wir entsorgen sie wie Müll

8 hrs ago

Ukrainisches Militär will russisches Drohnenlager vernichtet haben

8 hrs ago

Nach den Fluten kommt in Zermatt die Zerstörung ans Licht

8 hrs ago

Die Schweiz fiebert auf ein Spiel hin: Warum der Deutschland-Match unser Spiel des Jahres ist

8 hrs ago

Melanie Oesch über Trachten und Heimat: «Tradition ist unser Fundament»

9 hrs ago

Marc Surer: Briatore "macht die Chancen für Mick nicht schlechter"

9 hrs ago

Georgien holt schmeichelhaften Punkt gegen Tschechien

9 hrs ago

Behörden verhindern Schweizer Fanmarsch

10 hrs ago

Verkehr Richtung Süden wird über den Gotthard umgeleitet

10 hrs ago

Die Migros will sich Richtung Aldi und Lidl entwickeln

10 hrs ago

Smart-TV-Besitzer müssen wegen neuer Betrugsmasche aufpassen

10 hrs ago

Kein Egoismus und viel Geduld – das neue Gesicht des Cristiano Ronaldo

10 hrs ago

SVP-Aeschi und Fedpol: Das grosse Schweigen

10 hrs ago

Bund entsendet Verbindungsperson für Gespräche mit Eritrea

10 hrs ago

Asyl-Gewalt: Jetzt reagieren die Behörden: Bund will runden Tisch mit verfeindeten Eritreer-Gruppen

11 hrs ago

«Werde religiöse Freiheit aggressiv verteidigen»

11 hrs ago

Dessous-Verkäuferin schildert Horror-Erlebnisse bei der Arbeit

12 hrs ago

Selenskyj fordert nach Bombenangriff rasche Hilfe - Nacht im Überblick

12 hrs ago

Kultkomiker René Rindlisbacher: «Der Tod meiner Schwester hat mich geprägt»

12 hrs ago

Was bleibt, was kommt weg? Der grosse Migros-Umbau im Überblick

12 hrs ago

«Ich sehe den Himmel»: Verschüttete Frau konnte Polizei anrufen

12 hrs ago

Norris: 2. Pole nach Feuerschock: Peter Sauber als Punkte-Maskottchen? Flavio Briatore als Alpine-Hexenmeister

13 hrs ago

Horner zufrieden: Tolle Leistung von Verstappen, und Perez hat es in Q3 geschafft".

13 hrs ago

Neuromyelitis Optica: Was Ist Es, Und Welche Behandlung Gibt Es

14 hrs ago

«Dieser Film ist mein Liebesbrief an euch alle»

14 hrs ago

In Richtung Süden: Sieben Kilometer Stau vor dem Gotthard

14 hrs ago

Kniescheibe im Abseits – Lukaku ist bislang der grosse Pechvogel dieser EM

14 hrs ago

Wanderst du gerne? Dann ab in diese 8 charmanten Bergunterkünfte

14 hrs ago

Man sollte nicht neue Klumpenrisiken schaffen, um Buchverluste zu kompensieren

14 hrs ago

Den Deutschen bereitet einzig der Rasen Sorgen

14 hrs ago

Wachsender Männeranteil kann zum Problem werden – muss aber nicht