Gewitter in Dortmund – darum forderten die Dänen so vehement einen Spielunterbruch
Blitze erhellen den stockdunklen Himmel über dem Dortmunder Westfalenstadion.
Als gestern ein Gewitter über das Dortmunder Westfalenstadion zog, forderten die dänischen Spieler und ihr Trainer mit Nachdruck einen Spielunterbruch. Grund ist ein traumatisches Erlebnis vor fast 15 Jahren.
Plötzlich wurde es immer dunkler. Wie von den Meteorologen vorhergesagt, zog während der ersten Halbzeit des EM-Achtelfinals zwischen Deutschland und Dänemark ein gewaltiges Gewitter in Richtung des Dortmunder Westfalenstadions. In der 30. Minute setzte der Regen ein, wenig später zuckten die Blitze direkt über dem Stadion.
Schiedsrichter Michael Oliver aus England schaute 'gen Himmel und liess das Spiel beim Stand von 0:0 aber zunächst weiterlaufen. Doch die Blitze wurden immer heftigen, der Donner hörte sich an wie im Stadion gezündete Böller. Die dänischen Spieler forderten deshalb vehement einen Spielunterbruch: Immer wieder hoben sie die Arme und suchten den Blickkontakt mit dem Schiedsrichter, während die Deutschen überhaupt keine Anstalten in diese Richtung machten.
Dänen fordern Spielabbruch:
In der 36. Minute reagierte Oliver schliesslich und schickte die Teams für 20 Minuten in die Kabine. Doch warum diese Angst der Dänen? Erst nach dem Spiel löste Trainer Kasper Hjulmand das Rätsel, als er erklärte, dass ein Blitz einst in einen seiner Spieler eingeschlagen hatte, als er als Co-Trainer beim FC Nordsjaelland tätig war.
Mit dem Leben davongekommen
Es handelt sich dabei um Jonathan Richter. Am 20. Juli 2009 wurde der damals 24-jährige Mittelfeldspieler während eines Trainings im Hvidovre Stadion in Kopenhagen so schwer vom Blitz getroffen, dass er zu Boden geschleudert wurde und einen Herzstillstand erlitt. Noch auf dem Platz musst er reanimiert werden, bevor er schliesslich ins Spital gebracht werden konnte.
Richter (r.) 2009 vor dem tragischen Vorfall im Zweikampf mit Oscar Wendt.
Dort verbesserte sich Richters Zustand aber kaum, obwohl er für zehn Tage in ein künstliches Koma versetzt und sein Körper auf 34 Grad heruntergekühlt wurde. Deshalb entschieden die Ärzte schliesslich, ihm den Unterschenkel des linken Beins, das beim Blitzschlag in Mitleidenschaft gezogen worden war, zu amputieren. In der Folge erholte sich der Mittelfeldspieler wieder komplett, seine Fussballer-Karriere war aber für immer vorbei. Der FC Nordsjaelland beschloss daraufhin, seine Trikotnummer 26 nie mehr zu vergeben.
«Wir wussten nicht, ob er überleben oder sterben würde, und für die Spieler war es schwer zu wissen, wie sie reagieren sollten. War es in Ordnung, ein Tor zu feiern? Dürfen wir lachen? Dürfen wir weinen?», beschrieb Hjulmand 2022 in «The Players Tribune» den Vorfall. Die Erfahrung habe ihm und seinen Spielern aber geholfen, als 2021 bei der EM Christian Eriksen mitten im Spiel gegen Finnland einen Herzstillstand erlitt.
2021 war Christian Eriksen «fünf Minuten tot» – heute kehrt er auf die EM-Bühne zurück
Buchautor und zweifacher Vater
Richter hat 2020 ein Buch über den tragischen Vorfall und sein Leben danach veröffentlicht. Er ist mittlerweile zweifacher Vater, hält Vorträge und ist Botschafter zweier Non-Profit-Organisationen in Dänemark.
Das Cover von Richters Buch «Vom Blitz getroffen».
Die dänischen Spieler sind anders als Richter gestern mit dem Schrecken davon gekommen. Das Aus im Achtelfinal gegen Deutschland konnten sie nach der Regenpause aber nicht verhindern. Auch wegen zwei strittiger VAR-Entscheidungen verloren sie gegen Deutschland mit 0:2 und müssen nun den Nachhauseweg antreten.