Villers-Cotterêts: Hier regiert schon die Le-Pen-Partei

Es ist wie in der Fabel vom Hirtenjungen und dem Wolf. So oft, vor allen Wahlen, hatten verantwortungsvolle Politiker mit besorgten Mienen die Bürger vor der Gefahr von Rechtsaussen gewarnt, dass diese am Ende sich nicht mehr erschrecken lassen. Auf jeden Fall nicht die Einwohner der französischen Kleinstadt Villers-Cotterêts in der Picardie. Dort ist der «Wolf» längst da, und er kommt auch nicht im Schafspelz daher, sondern im dunkelblauen Blazer. Nur ein winziges Abzeichen mit dem Flammenemblem seiner Partei auf dem Revers kann verraten, dass er dem rechtsextremen Rassemblement national (RN) von Marine Le Pen angehört.

Schon zehn Jahre regiert Briffaut im Rathaus dieses Marktfleckens zwischen Paris und Reims, bei den Kommunalwahlen 2020 hat er gar noch an Stimmen zugelegt und ist gleich im ersten Wahlgang im Amt bestätigt worden. Das kleine Flammenemblem fällt nicht mehr auf. Die etwas mehr als 10 000 Einwohner wissen sowieso von der Vergangenheit ihres Bürgermeisters, der seit dem Anfang, seit der Gründung des damaligen Front national (FN) durch Jean-Marie Le Pen in den siebziger Jahren, bei den Rechtsextremen ist.

Briffaut, mittlerweile 66, ist stolz darauf. Er hat die Gewissheit, «auf die richtige Karte gesetzt zu haben», wie er sagt. Jetzt, da der Sieg des RN bei den vorgezogenen Parlamentswahlen und die Bildung einer Rechtsregierung nach dem 7. Juli unter der Führung seines sehr jungen Parteikollegen Jordan Bardella als Ministerpräsident absehbar sind. Für Briffaut wäre es eine Genugtuung, die Krönung seiner politischen Laufbahn. Denn sein Städtchen ist ein Labor für Frankreichs Rechtsaussenpartei und Briffaut ihr geschickter Vorzeigepolitiker.

Ein Faible für Schweizer Züge

Eine halbe Stunde nimmt er sich im Rathaus Zeit für den Besucher. Er spricht, ganz anders als Bardella, nicht von Migranten, die Frankreich «überfluten», oder von einem «Big Bang der Autorität», der nun kommen soll. Briffaut schwärmt lieber vom Eisenbahnnetz in der Schweiz, und seine Augen leuchten, wenn er von der direkten Demokratie im Nachbarland spricht.

Diese sei natürlich nicht auf Frankreich übertragbar, wo der Zentralismus zu sehr die Mentalitäten geprägt habe, erklärt er mit Bedauern. Wohl wünscht er Änderungen in seinem Land, weil es in Frankreich so nicht weitergehen könne. Er hält sich aber sehr zurück, nichts in seinen Antworten lässt darauf schliessen, dass seine Partei mit der Forderung nach einer «nationalen Präferenz» in allen Bereichen eine aggressiv nationalistische Politik plant, die in Widerspruch zu Frankreichs Geschichte und demokratischer Tradition steht.

Man muss ein wenig bohren, um an den wahren Briffaut zu kommen, ihn mit der Frage reizen, warum er angesichts seiner massvollen Worte eigentlich beim RN und nicht bei einer bürgerlich-konservativen Partei wie Les Républicains sei. Dann erst lässt der Bürgermeister etwas von seiner Ideologie und von einer Familiengeschichte durchscheinen, in der Ressentiments aus der Zeit des Algerienkriegs und der Entkolonisierungspolitik von General de Gaulle deutlich werden.

Sein Vater sei als Offizier nach dem Algerienkrieg in seiner Karriere schikaniert worden, erzählt Briffaut. Dieser sei damals nicht mit der offiziellen Linie einverstanden gewesen und habe sich namentlich für die Harki eingesetzt, die auf französischer Seite kämpfenden algerischen Hilfssoldaten.

All das ist lange her – mehr als sechzig Jahre. Hat es wirklich noch Einfluss auf den Bürgermeister Briffaut, auf seine Politik in Villers-Cotterêts, eine von nur einem Dutzend Städten und Gemeinden in Frankreich, die der RN führt?

Seine Bewunderung für Jean-Marie Le Pen, der in Algerien gefoltert haben soll und der mehrfach wegen rassistischer und antisemitischer Äusserungen verurteilt wurde, ist jedenfalls intakt. Noch mehr aber zählt für ihn dessen Tochter Marine. Sie hat die Parteiführung 2011 geerbt. Mit ihrer Strategie der «dédiabolisation», der Entdämonisierung oder Verharmlosung, hat sie es verstanden, ihre Partei «salonfähig» zu machen oder im Minimum aus der rechtsextremen Ecke herauszubringen, in die diese von Ex-Waffen-SS-Mitgliedern und militanten Nostalgikern der Algérie française gegründete Partei Jahrzehnte hindurch verbannt war.

villers-cotterêts: hier regiert schon die le-pen-partei

Marine Le Pen übernahm 2011 die rechtsextreme Partei ihres Vaters, benannte sie um und steuert seither einen Kurs der Normalisierung. In drei Jahren kandidiert sie erneut für das Amt des Staatspräsidenten. Stephane De Sakutin / AFP

Briffaut personalisiert diese ideologische Banalisierung der Partei mit seinem persönlichen Auftreten und in seiner Kommunalpolitik. Andere RN-Politiker unterschreiben eine Charta mit dem Titel «Meine Kommune ohne Migranten» oder lassen in öffentlichen Kantinen nur Schweinefleisch servieren. Briffaut vermeidet die Konfrontation. Er will keine Angriffsflächen bieten. Als seine grösste Leistung in Villers-Cotterêts bezeichnet er: die Renovierung der Wasserversorgung.

«Das ist natürlich aus wahlpolitischer Sicht nicht sehr spektakulär», gibt er zu. Doch der rechte Bürgermeister hat auch ohne viel Aufhebens die Subventionen für die linke Gewerkschaft CGT und für die Menschenrechtsliga gestrichen. Auch verpflichtete er die Musiker, die bei der jährlichen Fête de la musique am 21. Juni in seiner Stadt auftreten wollten, zu einer «politischen Neutralität». Und um zu vermeiden, dass sich womöglich Einwandererfamilien aus der Pariser Banlieue in Villers-Cotterêts ansiedeln, hat Briffaut ein einfaches Rezept: Er hat den Sozialwohnungsbau drastisch verlangsamt und den Tarif für das Essen in den Schulkantinen um 80 Prozent erhöht.

Dank Briffauts unauffälliger und sehr sparsamer Verwaltung gilt Villers-Cotterêts über die Partei hinaus als Exempel. Seine politischen Gegner tun sich schwer.

Feindseligkeit der Wähler

Für das Bündnis der Linken, die Neue Volksfront, tritt bei den Parlamentswahlen, deren erster Durchgang an diesem Sonntag stattfindet, der Arzt Karim Belaïd von den Sozialisten an. Seit 30 Jahren hat er seine Praxis in einer Sozialwohnungssiedlung im benachbarten Château-Thierry. Längst sind Briffauts Gedankengut und das seiner Partei in die Bevölkerung eingesickert. Belaïd verhehlt nicht, dass er beim Verteilen von Flugblättern in der RN-Stadt Villers-Cotterêts auf eine gewisse Feindseligkeit stosse. Mit Bemerkungen wie «Karim Belaïd, das ist nicht ein französischer Name . . .». Manchmal würden ihm die Flugblätter aus der Hand gerissen. 48,86 Prozent hat die RN-Liste hier bei der Europawahl Anfang Juni erhalten.

Verständnis für dieses Wahlverhalten hat der sozialistische Arzt nicht, auch wenn er gewisse Hintergründe zu kennen glaubt: «Der Mangel an öffentlichen Diensten ist hier nicht unbedingt so drastisch sichtbar wie in anderen isolierten ländlichen Gebieten, wo es manchmal kein Postamt, keinen Laden oder Café mehr gibt. Aber das Gefühl, von Paris vernachlässigt zu werden, existiert auch hier, vor allem wegen der Gesundheitsversorgung oder auch wegen des Zustands der Bahnlinie.»

Tatsächlich scheint es in Villers-Cotterêts auf den ersten Blick an nichts zu fehlen: sechs Banken, vier Versicherungsagenturen und ebenso viele Apotheken, mehrere Restaurants und Cafés, Bäckereien, Coiffeursalons, sogar ein Blumenladen und zwei Shops für Cannabisprodukte.

Im Hof eines Gebäudes, wo früher einmal ein Spital war, weihen zwei junge Frauen, Jennifer und Laurence, gar ihren neuen Salon de thé «Les Favorites» ein. Sie hoffen auf Touristen, die das restaurierte Schloss, ein Lieblingsprojekt von Staatspräsident Emmanuel Macron, nun nach Villers-Cotterrêts bringt. Er liess hier ein Museum und Zentrum für die französische Sprache einrichten, die Cité internationale de la langue française. François I. hatte hier 1539 Französisch zur Amtssprache erklärt. «Château Macron» nennen es spöttisch manche Einwohner der Stadt.

Briffaut, der Bürgermeister, habe ihr nicht sonderlich geholfen mit der Eröffnung des Teesalons, sagt Jennifer. Ein Hinweisschild müsste angebracht werden auf dem ehemaligen Spital. Aber dann wiederum sei es ja auch nicht seine Sache, sagt die junge Frau, sondern die des Amtes für Denkmalschutz. Briffaut eckt nicht an.

Reicht es nach den Wahlen für eine Rechtsregierung in Paris, gilt Briffaut als Ministerkandidat. Transport und Verkehr könnte sein Ressort sein wegen seiner Erfahrung im öffentlichen Bauwesen und seines Interesses an Zügen. Darauf angesprochen, winkt Briffaut bescheiden und vorsichtig ab. Doch so viele Mandatsträger mit Verwaltungserfahrung gibt es im RN nicht. Briffaut gibt es zu. «Das ist effektiv ein Manko, das man uns entgegenhalten kann.»

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