Joe Biden hat die Macht seiner Stimme verloren. Das ist prekär für einen Politiker
Maximale Lautstärke bitte, sonst ist Joe Biden schwer zu verstehen. Evelyn Hockstein / Reuters
Was, wenn ein Präsident nicht mehr Herr seiner Stimme ist? Besser gesagt, seines Stimmchens? Wenn er bisweilen aussetzt oder fast röchelt, als ginge ihm die Luft aus?
Das fragte sich, wer in diesen Tagen das Fernsehduell der amerikanischen Präsidentschaftskandidaten verfolgte. Man war ja auf das Schlimmste vorbereitet: Alter Mann trifft auf ein Meer aus Lügen, Senilität auf Wahnsinn, Irrlicht auf Egomane. Aber es kam schlimmer. Insbesondere für Joe Biden.
Unerträglich waren seine üblichen Verwechslungen. Noch unerträglicher klang aber seine Stimme, leise, alt, schwach. Ganz so, als hätte er nicht mehr genug Kraft, um seine Stimmlippen in Schwingung zu bringen, als könnte man den Zerfall förmlich hören.
«Was ist mit Bidens Stimme los?», fragte Trumps Pressesprecherin auf X, dem neuen Twitter. Umgehend war zu vernehmen, der Präsident leide an einer Erkältung. Und wenn man bei alldem etwas gelernt hat, dann, dass die Macht der Stimme unterschätzt wird.
Eines müssen Politiker besonders gut können, und das ist reden, reden, reden. Wobei Argumente und Qualifikationen nur die halbe Miete sind nebst Charisma, Attraktivität oder eben einer guten Stimme, melodisch und im vollen Klang.
Näher als mit Schallwellen kann man Wählerinnen nicht kommen. «Es sind unsichtbare Berührungen, die physikalisch existieren», sagt die Stimmexpertin Ingrid Amon. Kommt dazu, dass Hörer dazu neigen, diese Schallwellen quasi zu imitieren und mit ihnen zu schwingen.
Wer kennt es nicht? Spricht jemand zu lange und zu monoton, meint man bald vom Stuhl zu kippen. Und so schnappte man bisweilen selbst nach Luft, als Biden vor sich hin irrlichterte.
Baritone bekommen mehr Wählerstimmen
Erwiesen ist, dass tiefere Stimmen mehr Wähler gewinnen – weil sie als kompetenter, vertrauenswürdiger und stärker wahrgenommen werden. Zum Nachteil aller Frauen, die naturgemäss in höheren Lagen unterwegs sind. So tat Margaret Thatcher gut daran, im Laufe ihrer Karriere ein paar Töne tiefer und langsamer zu schalten.
Vor ihrer Zeit als Premierministerin, wurde ihre Stimme mit einer Katze verglichen, die mit ausgefahrenen Krallen eine Wandtafel hinunterrutscht. Später ging das dunkle Timbre der «eisernen Lady» ebenso als Markenzeichen in die Geschichte ein wie ihre königsblauen Kleider.
Eine Frauenbewegung und ein paar Jahrzehnte später war die Welt nicht viel weiter: Hillary Clinton wurde im Wahlkampf 2016 «Shrillary» genannt und dafür kritisiert, «mit jedem Wort eine Oktave höher zu gehen». Ein Komiker entwickelte sogar eine fiktive App, um ihre Stimme tiefer zu machen.
Umgekehrt wurde Angela Merkels Beliebtheit, die sich erstaunlich lange gehalten hat, auch schon mit ihrer Stimme erklärt.
Die ehemalige Bundeskanzlerin hat mit den Jahren immer tiefer und ruhiger gesprochen, wie an der Technischen Universität Berlin (TU) beobachtet wurde. «Insgesamt ist Frau Merkels Sprechweise wenig emotional, sie wirkt unaufgeregt und in keiner Weise aggressiv, in ihrer gleichförmigen Art hat sie etwas Beruhigendes», schrieb der TU-Kommunikationsprofessor Walter Sendlmeier in der FAZ. So klangen auch Katastrophen aus ihrem Mund nicht wirklich dramatisch. Ach was, halb so wild, wir schaffen das.
Kein Wunder, haben grosse Redner ihr Stimmorgan gehegt und gepflegt. Ronald Reagan zum Beispiel soll vor Gesprächen im Oval Office immer ein Wasserglas bestellt haben, das in ein Handtuch gewickelt war. Denn das Wasser sollte warm bleiben und seine Stimmbänder entspannen.
Ronald Reagan holte bei seinem Freund Frank Sinatra Tipps für die Pflege seiner Stimme. EPA DPA / Keystone
Und was wären Hitlers Reden ohne seine Alarmstimme gewesen, die selbst in der Erinnerung durch Mark und Bein geht? Hätte er die Massen auch ohne sie mobilisieren können?
Der Führer zumindest schien nicht daran zu glauben. Nachdem er einen Polypen von den Stimmbändern hatte entfernen lassen, soll er in ständiger Angst gelebt haben, an Kehlkopfkrebs zu erkranken und die Macht seiner Stimme zu verlieren.
Was das bedeutet, hat Hans Peter Doskozil erfahren müssen. Der österreichische Politiker konnte wegen einer Erkrankung nur noch flüstern. Letztes Jahr wollte er Kanzler werden und ging ohne Stimme auf Stimmenfang. Jetzt ist er nach wie vor Landeshauptmann von Burgenland.