Mit der Qualifikation für den EM-Viertelfinal stellt sich Yakin mit seinem Vorgänger auf eine Stufe – nun steht für sein Team der Himmel offen
Murat Yakin dürfte Genugtuung verspüren. Nicolò Campo / Imago
Für den Schweizer Fussball ist der 29. Juni 2024 ein grosser Tag. Im sechsten Achtelfinal in Folge an einem grossen Turnier hat die Nationalmannschaft im Berliner Olympiastadion geschafft, was ihr noch nie gelungen ist: Ein Sieg in der regulären Spielzeit. Und die Art und Weise, wie die Schweizer diesen Sieg errungen haben, war beeindruckend: Stilsicher, dominant und in jeder Hinsicht überlegen. Der Gegner war nicht Polen wie 2016 oder Schweden 2018, als die Schweizer den Achtelfinal verloren. Es war Italien, eine Grösse im Weltfussball, der aktuelle Europameister.
England oder Slowakei?
Die Art und Weise des Sieges war imponierend. Die Squadra Azzurra enttäuschte zwar in allen Belangen, doch die Leistung der Schweizer überzeugte in jeder Hinsicht: Die Mannschaft von Trainer Murat Yakin geriet in keinem Moment des Spiels in Gefahr, den Sieg vielleicht doch noch aus der Hand zu geben. Nun ist der Weg offen in den Halbfinal.
Am Sonntagabend entscheidet sich zwischen England und Slowakei, welches Team sich am nächsten Samstag den Schweizern in den Weg stellen wird. Nach dem Sieg gegen Italien ist es den Schweizern zuzutrauen, dass sie ihr EM-Sommermärchen weiterschreiben.
Die Qualifikation für den Viertelfinal ist auch ein Sieg des Trainers Murat Yakin. Er stellt sich damit auf die gleiche Stufe wie sein Vorgänger Vladimir Petkovic, der vor drei Jahren bereits den Viertelfinal erreicht hatte. Doch im Match gegen den Weltmeister Frankreich war ein Kraftakt in die Verlängerung und ein gewonnenes Penaltyschiessen mit dem nötigen Glück verbunden. Im Berliner Olympiastadion waren die Schweizer ganz einfach die bessere Mannschaft.
Das war noch vor wenigen Monaten nicht abzusehen. Doch wer die Mannschaft, den Trainer und den Staff in den letzten Tagen beobachtete, sah eine Entwicklung, die nun in Berlin kulminierte. «Flow» könnte man den Zustand nennen, in den sich die Schweizer Auswahl in Deutschland hinein gearbeitet hat: Wir packen die Gelegenheit, wenn sie sich bietet. Das ist gelungen. Nun soll der «Flow» die Schweizer weitertragen. «Unsere Reise ist noch nicht zu Ende», sagte Yakin.
Vor dem Match hatte Yakin die Berliner Siegessäule auf seinem privaten Social-Media-Kanal gepostet. Wahrscheinlich gefiel es ihm als Motto für den Samstag, als er auf dem Weg ins Stadion aus dem Bus das symbolträchtige Denkmal der deutschen Hauptstadt erblickte. Es war Ausdruck für die Gewissheit des Trainers, dass es gut kommt für ihn und seine Spieler. Und es war auch Ausdruck seiner Genugtuung, der Sieg auch ihm gehört. Yakin ist im Juni ein ganz anderer Trainer als vor einem halben Jahr.
Damals wirkte er müde und abwesend, etwa beim 0:1 in Bukarest oder nach dem 1:1 gegen Israel. Vielleicht hatte ihn der Tod seiner Mutter mehr mitgenommen, als er zulassen wollte; vielleicht war die Mannschaft unzufrieden, wie Yakin seine Arbeit verrichtete. Die Spieler waren nach der Qualifikation mürrisch und übellaunig, als hätten sie lästige Pflichttermine absolvieren müssen. Es war klar, dass sich bei Yakin und in der Zusammenarbeit mit den Spielern sehr viel ändern musste, damit die Voraussetzungen für ein erfolgreiches Turnier geschaffen werden können. Auch das ist gelungen, wenn man nun der Mannschaft und ihrem Trainer zuschaut.
Der Anteil von Contini
Es soll viele Gespräche gegeben haben mit den Führungsspielern, allen voran mit dem Captain Granit Xhaka. Xhaka ritt mit Leverkusen auf einer Welle des Erfolges. Er holte am Ende unter dem Trainer Xabi Alonso den Titel, in 50 Spielen verlor er nur im Final der Europa League, den deutschen Cup-Final entschied er mit seinem Tor.
Granit Xhaka krönt seine starke Saison an der EM. Pawel Andrachiewicz / Imago
Ähnlich erfolgreich war Yann Sommer mit Inter Mailand oder Manuel Akanji mit Manchester City. Auch das Bologna-Trio Remo Freuler, Michel Aebischer und Dan Ndoye hat mit der Qualifikation für die Champions League einen grossen Erfolg gefeiert. Yakin spürte wohl, dass er neben eher technischen Fragen diese Energie des Erfolges nutzen muss für die Arbeit vor dem Turnier. Dazu gehörten die Veränderungen im Staff mit dem neuen Assistenten Giorgio Contini, mit dem sich Yakin optimal ergänzt. Nun steht der Himmel offen, alles ist möglich.