Comeback eines Ex-Präsidenten: Ausgerechnet der glücklose Hollande will Frankreich retten
Der frühere französische Präsident François Hollande ;wähnt sich in einer wichtigen politischen Mission: Er will das Land vor dem Rassemblement national bewahren. Patrick Bernard / Imago
Die Walderdbeere (Fragaria vesca) hat jetzt ihre Blütezeit, wie der aufmerksame Spaziergänger festgestellt haben wird, wenn auch schon im Endstadium. Bald wird ihre kleine Frucht, die eigentlich eine Nuss ist, hier und da lichte Flecken am Waldboden bedecken, rundlich und rot.
Wer wollte die Ähnlichkeit zu jener Walderdbeere übersehen, die sich nun im französischen Département Corrèze auf Wochenmärkten tummelt, Hände schüttelt wie früher und ein Scherzchen macht in Tulle, Ussel, Brive-la-Gaillarde, weit weg von den Ränkespielen der Hauptstadt, wo die Welt noch in Ordnung ist oder es bis vor kurzem noch war. François Hollande, den ein garstiger Parteifreund einmal eine Walderdbeere nannte – ein politisches Leichtgewicht, nett und harmlos –, er weiss, dass Frankreich nun auf ihn wartet.
Revanche an Macron
Noch in der Nacht nach den Europawahlen, nach dem Debakel der Regierungspartei und dem überraschenden Entschluss des Staatspräsidenten Emmanuel Macron, das Parlament aufzulösen und Neuwahlen auszuschreiben, war für Hollande klar: Er muss noch einmal hinaus ins Gefecht. Er muss für einen Parlamentssitz kandidieren, für seine Partei, die Sozialisten. Muss die Kräfte der Republik hinter sich scharen, einen Damm errichten gegen die sich auftürmende Welle der Le-Pen-Partei. Er, der ehemalige glücklose Präsident (2012–2017), die Walderdbeere.
François Hollande auf einem Motorroller während einer Parteiveranstaltung: Jahre später wird eine geheime Fahrt vom Elysée-Palast zu seiner Geliebten zum Politikum. Bernard Patrick / Imago
Denn Macron hat es verpatzt. «In einem so schwierigen Moment macht man nicht das, was er gemacht hat», erklärt Hollande im Gespräch mit Wählern in seiner Heimat in Corrèze. «Das Land braucht Lösungen. Man kann es nicht einfach so lassen, mit der Bedrohung durch die extreme Rechte. Das ist nicht möglich.»
Man vermag sich vorzustellen, wie seine Wangen bei diesen Worten wieder rot werden vor Empörung und Begeisterung zugleich (Walderdbeere!). Hollande hat noch eine Rechnung offen mit dem amtierenden Staatspräsidenten. Schliesslich war Macron einmal sein Gehilfe im Élysée und später Wirtschaftsminister, bevor er die Chance witterte, den kolossal unpopulären Hollande zu überholen und selbst Präsident zu werden.
Auf 20 Prozent Zustimmung war Hollande im zweiten Amtsjahr abgesackt. Kein Präsident der Fünften Republik hatte es so tief geschafft, auch wenn Macron auf gutem Weg dahin ist – nur noch 28 Prozent der Französinnen und Franzosen halten grosse Stücke auf ihn. Aber Hollande – wer will den 69-Jährigen aus der Provinz wirklich noch sehen?
Auf dem Motorroller
Von seiner Präsidentschaft bleibt nicht viel in Erinnerung: die geheime Fahrt auf einem Motorroller zu seiner Geliebten 2014 und die islamistischen Terroranschläge 2015. Die Wirtschaft stagnierte in der kurzen Ära Hollande, der Linken war er zu unternehmerfreundlich. Was wird der alte Sozialist also auf der Abgeordnetenbank in der Nationalversammlung machen?
Denn gewinnen wird François Hollande wohl in seinem alten Wahlkreis in der Stadt Tulle. 22 Jahre lang hat das geklappt. Zumindest in der Corrèze mag man ihn immer noch.
Der Neuen Volksfront, wie das Bündnis der zerstrittenen Linken heisst, verschafft Hollande ein sicheres Mandat im Parlament. Nur das zählt. Dass man sonst wenig von Hollande hält, daraus macht vor allem La France insoumise (LFI), die stärkste Partei am linken Rand, kein Geheimnis: «Wir vergessen nichts von seiner Amtszeit, seiner Politik, die sich blind dem Neoliberalismus unterworfen hat», heisst es in der Wahlwerbung von LFI für den Kandidaten Hollande. Gleichviel: «Er führt den Kampf mit uns.»
Nach der Wahl kann die Walderdbeere gern wieder zurück ins Grüne. Sie bevorzugt halbschattige Standorte.