«Fördergeld-Affäre» sorgt in Deutschland für rote Köpfe – darum geht es
Steht unter Druck: Die deutsche Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger.
Das deutsche Bildungsministerium gab Namenslisten von kritischen Wissenschaftlern in Auftrag. Sollten ihnen Fördermittel gekürzt werden, weil sie einen offenen Brief unterzeichnet hatten?
Alles begann, als Anfang Mai eine Besetzung der Freien Universität Berlin durch propalästinensische Studierende polizeilich geräumt wurde und sich Hochschullehrende in einem offenen Brief gegen die Räumung aussprachen.
Im Brief kritisierten sie das polizeiliche Vorgehen gegen die Studierenden:
«Unabhängig davon, ob wir mit den konkreten Forderungen des Protestcamps einverstanden sind, stellen wir uns vor unsere Studierenden und verteidigen ihr Recht auf friedlichen Protest, das auch die Besetzung von Uni-Gelände einschliesst. Die Versammlungs- und Meinungsfreiheit sind grundlegende demokratische Rechte, die auch und gerade an Universitäten zu schützen sind.»
- Statement von Lehrenden an Berliner Universitäten -
Der offene Brief wurde in der Folge heftig debattiert. So zeigte sich die deutsche Bundesministerin für Bildung, Bettina Stark-Watzinger (FDP), «fassungslos» ab dem offenen Brief der Lehrenden und kritisierte diesen öffentlich.
Die «Bild»-Zeitung druckte unter dem Titel «Die UniversiTÄTER» Fotos und Namen einzelner Universitätsangehörigen ab, die den Brief unterzeichnet hatten. Die Freie Universität Berlin legte daraufhin Beschwerde beim Deutschen Presserat ein.
Studierende an einem propalästinensischen Protest an der Freien Universität Berlin, 7. Mai 2024.
Keine Fördermittel mehr für kritische Uni-Angehörige?
Der offene Brief zog allerdings noch weitere Kreise. Das Bildungsministerium gab intern eine Prüfung in Auftrag, ob es eine rechtliche Grundlage gebe, den Unterzeichnenden des Briefes bereits zugesagte Fördermittel für ihre Forschung zu entziehen. Das machte eine Recherche des Magazins «Panorama» des Norddeutschen Rundfunks Mitte Juni publik.
Später wurden weitere Mailverläufe öffentlich, aus denen hervorgeht, dass das Bildungsministerium Mitarbeitende beauftragte, zu überprüfen, ob sich unter den Unterzeichnenden des offenen Briefs Zuwendungsempfänger oder Gutachter des Bildungsministeriums befinden. Die Namen sollten in einer Liste markiert werden.
Im Mailverkehr, der dem Rechercheteam zugänglich gemacht wurde, werden Bedenken von Mitarbeitenden des Ministeriums gegen diese Prüfung ersichtlich. So heisst es dort zum Beispiel:
«Ich möchte Ihnen nicht verhehlen, dass es unter den Kolleginnen und Kollegen grosses Unwohlsein ausgelöst hat, Namen in Listen zu markieren.»
- Auszug aus dem publik gemachten Mailverlauf -
Das Ministerium ging auf diese Bedenken nicht ein und bat um eine Ausführung des Auftrages, so ist es in der Abschrift des Mailverlaufs nachzulesen.
Bildungsministerin Stark-Watzinger unter Druck
Die Erstellung von Namenslisten politisch unliebsamer Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen zum möglichen Entzug von Fördermitteln wurde bundesweit diskutiert.
Nach der «Panorama»-Recherche liess die Bildungsministerin Stark-Watzinger die Staatssekretärin Sabine Döring, die sie als Verantwortliche für den Prüfauftrag erklärte, in den Ruhestand versetzen. In einer Stellungnahme des Bildungsministeriums liess Stark-Watzinger verlauten, selbst nichts von dem Vorgang gewusst zu haben.
Recherchen des Spiegels liessen an dieser Darstellung jüngst aber Zweifel aufkommen. Die Bildungsministerin habe womöglich bereits früher über die Vorgänge Bescheid gewusst als angegeben.
Politik und Wissenschaft wollen Antworten
Am Mittwoch musste sich Stark-Watzinger dem Bildungsausschuss im Bundestag für eine Befragung zu den Vorgängen stellen. Die Bildungsministerin wies dort die Vorwürfe, man habe die Liste der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Auftrag gegeben, um Fördergelder zu kürzen, zurück.
Die Wissenschaftscommunity ist derweil empört und sieht die Wissenschaftsfreiheit in Gefahr. Der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz, Walter Rosenthal, äusserte sich in einer Mitteilung besorgt:
«Eine Verknüpfung einer nicht strafbewehrten Meinungsäusserung mit der Frage einer weiteren Förderwürdigkeit der wissenschaftlichen Arbeit würde eine Verletzung der Wissenschaftsfreiheit darstellen.»
Über 3200 Personen aus der Wissenschaft unterzeichneten ausserdem einen offenen Brief, in dem der Rücktritt der Bildungsministerin gefordert wird.
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