Ein Dorf ist in heller Aufregung, ein «Sheriff» will aufräumen: Über eine Lokalposse der besonderen Art

ein dorf ist in heller aufregung, ein «sheriff» will aufräumen: über eine lokalposse der besonderen art

High Noon in Erlenbach: Hinter der malerischen Fassade tobt der Volkszorn. Wirestock / Imago

Normalerweise, wenn gerade kein Politskandal die Gemeinde erschüttert, diskutiert Erlenbach über das Dimmen der Strassenbeleuchtung oder den Steuerfuss, wenn es hoch kommt, die Fällung einer Rosskastanie.

Nun aber geht es in der Goldküstengemeinde plötzlich um ganz anderes: um «Bashing» und «Schlamperei», Anzeigen und Kampfansagen. Und um öffentliche Aufträge in der Höhe von fast zwei Millionen Franken, die auf umstrittene Art vergeben wurden.

Der ehemalige Gemeindepräsident nennt Äusserungen seines Nachfolgers «unnötig, respektlos und Erlenbach schlicht unwürdig». Der wiederum findet die Angriffe gegen ihn «antidemokratisch». Und eine ganze Gemeinde fragt sich: Wie konnte es so weit kommen?

Die Geschichte der Erlenbacher Dorffehde beginnt mit einem kleinen politischen Erdbeben und endet – vorläufig – mit einem seltsamen Youtube-Video. Dazwischen einen Auftritt haben auch: eine umstrittene Badi-Beiz und ein unerwünschter Stadtzürcher.

«Neuer Wind» und «Paukenschlag»

Im Sommer 2022 weht ein Hauch von Revolution durch Erlenbach am Zürichsee. Die Stimmbevölkerung wählt ihre Exekutive neu – und tauscht sie fast komplett aus. Einen «Linksrutsch» nennt es ein Mitte-Politiker. «Die Zeichen stehen auf Wandel», schreibt die «Zürichsee-Zeitung».

Von sechs Sitzen im Gemeinderat sind nach den Wahlen nur noch zwei von Bisherigen besetzt. Auch der FDP-Gemeindepräsident ist weg – ersetzt durch einen parteilosen Konkurrenten. Philippe Zehnder ist 60 Jahre alt, Banker bei der UBS und mit dem Versprechen angetreten, mehr Transparenz in die Gemeinde zu bringen.

Damals weiss er noch nicht, dass ihm genau das zwei Jahre später um die Ohren fliegen wird.

Die neue Führung packt gleich die umstrittensten Geschäfte an. In Erlenbach heisst das zum Beispiel: die Pachtvergabe im Strandbad Winkel. Die Streitereien darüber dauern seit Jahren an. Mehr Rasen oder mehr Restaurantplätze? Ein Steg oder doch lieber ein Durchstoss zum nahe gelegenen Winkelpark?

Bei solchen Fragen will die Bevölkerung mitreden. Petitionen, Leserbriefe, Rekurse gab es schon. Und einen Vorwurf an die alten Gemeindebehörden: Ohne die Bevölkerung zu informieren, ohne auf sie zu hören, werde hier drauflosgeplant.

«Nun weht ein neuer Wind», sagt Zehnder im Juli 2022 der «Zürichsee-Zeitung». Und stellt den Ausbau des Gastro-Angebots per sofort ein – weil seine Vorgänger es versäumt haben sollen, die dafür nötige Bewilligung beim Kanton einzuholen. Der Zeitungsbericht darüber spricht von einem «Paukenschlag».

Der «Sheriff» greift durch

Damit ist der Ton gesetzt. Der «Sheriff von Erlenbach», wie ihn ein Online-Portal später nennen wird, greift zusammen mit seinen Mit-Gemeinderäten durch. So lautet zumindest der Tenor in der Lokalpresse.

Auch ein halbes Jahr später, als es zum ultimativen lokalpatriotischen Akt kommt: Der «Sheriff» und seine Gemeinderäte verhindern, dass ein Erlenbacher gegenüber einem Stadtzürcher den Kürzeren zieht.

Es geht um einen jungen Gastronomen, der das Schiffwartehäuschen der Gemeinde mit einem Bistro beleben wollte. Die Gemeinde gab ihm 2020 den Zuschlag, obwohl sich auch der Betreiber des örtlichen «Fischstüblis» dafür interessiert hatte. Ein Skandal in den Augen mehrerer hundert Petenten, die einen Pächter aus Erlenbach forderten.

Anfang 2023 beschliesst der neu zusammengesetzte Gemeinderat dann, dem Projekt des Stadtzürchers den Stecker zu ziehen. Der lokale Wirt ist wieder in der Pole-Position – und die Volksseele besänftigt.

Die Ruhe währt allerdings nicht lange. Diesen Frühling ist Erlenbach schon wieder in heller Aufregung.

Aus «Unwissenheit» falsch vergebene Millionen

Auslöser ist der trockene Bericht einer Anwaltskanzlei, den Gemeindepräsident Zehnder aufgrund von Hinweisen besorgter Bürger bestellt, wie er später sagen wird. Diesmal geht es nicht um eine Badi-Beiz, sondern um etwas Ernsteres: die Vergabe öffentlicher Aufträge der Gemeinde von 2000 bis 2023, für technische Arbeit im Bereich der Ortsplanung. Tempo 30, Strassenraumgestaltung, Erarbeitung von Quartierplänen. Kostenpunkt: total 1,87 Millionen Franken.

Den Zuschlag erhielt grösstenteils dasselbe Planungsbüro, und zwar meist freihändig, das heisst ohne öffentliche Ausschreibung. «Unzulässig» sei das aus rechtlicher Sicht gewesen, befindet nun der Expertenbericht. Und dieses eine Wort löst eine Lawine aus.

«Jahrzehntelang wurden Aufträge fehlerhaft vergeben», titelt die «Zürichsee-Zeitung». «Hier sind Fehler passiert, die wir jetzt korrigieren wollen», sagt Zehnder der Zeitung. Mehrkosten für den Steuerzahler habe es keine gegeben, versichert er. Die Fehler seien auch nicht aus Böswilligkeit entstanden.

Sondern? «Aus Unwissenheit oder Bequemlichkeit».

Zwei weitere bedeutungsschwangere Worte – die nächste Lawine. Ehemalige Gemeindeobere, unter ihnen Zehnders Vorgänger Sascha Patak, reagieren erbost. «Respektlos», «unwürdig», «ungeheuerlich» seien die Aussagen Zehnders, «haltlos, nachweislich falsch und diskreditierend». Als «dumm und faul» würden ehemalige und derzeitige Behördenvertreter und Gemeindeangestellte betitelt, moniert der freisinnige Patak.

Dann, am 14. Juni, die Eskalation. Die «Zürichsee-Zeitung» macht auf ihrer Frontseite publik: «Gemeindepräsident der üblen Nachrede bezichtigt». Wegen Rufschädigung haben Zehnders Gegner ihn angeklagt. Laut der zuständigen Staatsanwaltschaft wird derzeit noch geprüft, «ob die Voraussetzungen zur Eröffnung einer Strafuntersuchung gegeben sind».

«The heat is on»

Als wäre das alles nicht genug, mischt sich nun auch noch ein bissiges Online-Medium in die Geschichte ein. Auf seinem Youtube-Kanal veröffentlicht «Inside Paradeplatz» – sonst eher mit Finanzthemen beschäftigt – am vergangenen Montag ein halbstündiges Interview mit dem angegriffenen Präsidenten. Darin erhält er auch seinen neuen Titel: «Sheriff von Erlenbach».

Zunächst plaudern Zehnder und der «Inside Paradeplatz»-Betreiber Lukas Hässig im Video entspannt über ihre gemeinsame Studienzeit (Hässig: «Du konntest dir damals immer die schönen Sandwiches leisten»), während im Hintergrund Angestellte ungerührt auf ihre Bildschirme blicken.

Dann geht es ans Eingemachte.

Was mit ihm geschehe, sagt Zehnder, sei eine «mediale Vorverurteilung». Er sei ein «tiefgläubiger Demokrat». Doch dass gewählte Politiker mit einer Anzeige angegriffen und diese auch noch öffentlich verbreitet werde, gehe zu weit. «So kann man jeden ausschalten», sagt Zehnder. «Ich finde das antidemokratisch.»

«The heat is on», freut sich der Journalist Hässig. High Noon in Erlenbach.

Wird hier ein umtriebiger Reformer von der alten Garde ausgebremst, weil er Missstände aufdeckt und benennt? Oder lernt hier schlicht ein neuer Präsident die ewige Lektion der Lokalpolitik, nämlich dass immer jemand unzufrieden ist – einmal wegen zu wenig, einmal wegen zu viel «neuen Winds»?

Das grosse Politikum in Erlenbach – die Gastro-Situation am See – bleibt jedenfalls ungelöst. Beim Bistrobetrieb im Schiffwartehäuschen ist mittlerweile selbst der einheimische Anwärter abgesprungen. Und auch die Badi-Beiz Winkel hat inzwischen ganz geschlossen – wegen «Hindernissen seitens der Gemeinde», wie es auf der Website heisst.

Auch dagegen gab es übrigens bereits eine Petition. Mit über 500 Unterschriften.

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