Der beste Tag im Leben der Georgier

Auf den Strassen zuhause protestieren die Menschen, auf dem Rasen in Deutschland schenken die Fussballer ihrem Land einen Achtelfinal gegen Spanien.

der beste tag im leben der georgier

Gruppenbild im Moment der grössten Sensation dieser Gruppenphase: Georgien hat gerade Portugal bezwungen und sich einen Achtelfinal gegen Spanien geschenkt.

Kurz vor Mitternacht erzählte Georgiens Nationaltrainer Willy Sagnol, wie er seine Spieler auf die Partie gegen Portugal eingestimmt hat: «Einigen habe ich gesagt, erinnert euch daran, wie es war, als ihr mit 16, 17 gespielt habt. Ohne Angst. Und genau so haben sie gegen Portugal gespielt.»

92 Sekunden brauchten die Georgier in Gelsenkirchen, um 1:0 in Führung zu gehen. Die Portugiesen spielten einen Fehlpass im Mittelfeld, Georges Mikautadze, aufmerksam und schnell, übernahm den Ball, lief, spielte ihn weiter zu Chwitscha Kwarazchelia, und dieser traf. Einen Pass und einen Schuss und neun Sekunden brauchten sie für dieses Tor.

Diese Szene beinhaltete alles, was der Franzose Sagnol seinen Spielern auch noch mit auf den Weg gegeben hatte: «Wenn ihr den Ball nicht habt, seid diszipliniert. Wenn ihr den Ball habt, spielt.»

Ein Kader so wertvoll wie ein einziger Engländer

Früher hatten die Georgier Giorgi Kinkladse, der in den Neunzigern bei Manchester City zum Kult wurde, der in einem Hotel wohnte und kaum Englisch konnte, und wenn er zu spät zum Training kam, dann begründete er das damit, dass er Mühe habe, auf der linken Strassenseite zu fahren. Oder sie hatten Kacha Kaladse, der mit der AC Milan zweimal die Champions League gewann und heute Bürgermeister von Tiflis ist.

Heute überstrahlt das Duo Mikautadze/Kwarazchelia alles, das Duo, das Georgien gegen Portugal in Führung schoss. Kwarazchelia war als Zwölfjähriger in einer Fussballakademie, die Portugals Cristiano Ronaldo als damaliger Real-Spieler eröffnet hatte. Heute spielt er bei Napoli, hat gerade Ronaldo besiegt und sagte nach dem Spiel: «Der Scudetto mit Napoli war ein unglaublicher Moment. Aber heute bin ich glücklicher. Das ist der beste Tag im Leben der Georgier.»

Zehn Minuten nach der Pause traf Kwarazchelias Sturmpartner Mikautadze per Elfmeter zum 2:0. Es war sein drittes Tor an dieser EM, keiner hat öfter getroffen als der 23-Jährige. Und es war sein 20. verwandelter Penalty in Folge.

der beste tag im leben der georgier

Das Duo, das Georgien Träumen lässt: Kwarazchelia (links) und Mikautadze, hier nach dem 1:0 gegen Portugal.

Vor allem aber ermöglichte das Tor den Sieg gegen Portugal. Den ersten Sieg einer georgischen Mannschaft an einer Endrunde. An der ersten Endrunde der Verbandsgeschichte. Als Nummer 74 der Weltrangliste, hinter Kap Verde, Jordanien oder Burkina Faso. Mit einem Kader, dessen Wert ungefähr so hoch eingeschätzt wird wie jener von Englands Phil Foden alleine.

Ablenkung in einem politisch schwierigen Jahr

Seit Monaten protestieren die Menschen auf Georgiens Strassen gegen ein Gesetz, das alle nur das «russische Gesetz» nennen. Dieses Gesetz will, dass Nichtregierungsorganisationen, die mit mehr als 20 Prozent ausländischem Geld finanziert sind, sich als «Organisationen unter ausländischem Einfluss» registrieren.

Weil im Oktober auch noch Parlamentswahlen stattfinden, steht ganz Georgien in einem politisch schwierigen Jahr. Da macht sich Ablenkung besonders gut, und für genau diese Ablenkung sorgen die Fussballer an der EM in Deutschland. Oder wie es die georgische Zeitung «Kviris Palitra» formuliert: «Die Freude, die diese Mannschaft der ganzen Nation schenkt, ist unbeschreiblich.»

Neben dem Sturmduo Mikautadze/Kwarazchelia gründet der Erfolg der Georgier auch auf dem Goalie. Giorgi Mamardaschwili heisst der Mann, zwei Meter ist er gross und angestellt in Spanien beim FC Valencia. Das Statistikportal Sofascore bewertet seine Leistungen mit 8,17 von 10 Punkten, dem zweitbesten Wert aller Spieler an dieser EM und dem mit Abstand besten Wert aller Torhüter.

«Warum machst du das?», fragten sie Trainer Sagnol bei Amtsantritt

Dass Georgien an diesem Turnier ist, hat auch damit zu tun, dass die Uefa die Qualifikationswege geändert hat. Die Georgier hatten die Qualifikation als Vierter ihrer Gruppe verpasst. Weil sie aber ihre Nations-League-Gruppe C gewannen, kamen sie in die Playoff-Spiele. Dort qualifizierten sie sich im Penaltyschiessen gegen Griechenland für die Endrunde.

Trainer Sagnol sagt: «Ich dachte, mit der Qualifikation für das Turnier hätten wir das Maximum erreicht.» Sagnol hat das Team 2021 übernommen. In einem Interview mit «The Athletic» sagte er einmal, das ihn alle gefragt hätten: «Warum machst du das?»

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«Warum machst du das», fragten ihn die Freunde, als er das Amt des georgischen Nationaltrainers annahm. Heute weiss der Franzose, warum er das macht.

Sagnol hatte vier Jahre vor dem Start in sein Georgien-Abenteuer keinen Trainer-Job mehr. Die letzte Erfahrung war ein Spiel als Interimstrainer mit Bayern München, wo er als Spieler alles gewann, was es zu gewinnen gibt. Vorher hatte er Bordeaux während 88 Partien angeleitet.

Und jetzt ist er mit Georgien zur grössten Sensation dieser EM-Gruppenphase avanciert. Nach dem Sieg gegen Portugal tanzten die Spieler durch die Interviewzone. Als würde der Tanz mehr aussagen als alles, was sie mit Worten in die Mikrofone der Medienschaffenden je würden ausdrücken können.

Am 30. Juni treffen die Georgier im Achtelfinal auf Spanien, das bisher beste Team des Turniers. Gut möglich, dass dann die Reise endet. Ausser Georgiens Goalie wehrt alles ab, was auf ihn zufliegt. Auch das ist ihm zuzutrauen. Er kennt die allermeisten Gegenspieler aus der spanischen Liga.

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