Julian Assange wird als Freiheitskämpfer gefeiert. Doch ethische Standards kümmerten ihn nicht, und seine Publikationen gefährdeten Leben
Frei, nach Jahren in Haft: Der Wikileaks-Gründer Julian Assange beim Verlassen des Gerichtsgebäudes in ;Saipan. Kyodo News / Imago
Julian Assange ist frei. In der Nacht auf Mittwoch hat der Wikileaks-Gründer vor einer amerikanischen Richterin ein sorgfältig abgewogenes Schuldgeständnis abgelegt. Kurz darauf durfte er das Gericht verlassen und zu seiner Familie nach Australien fliegen. In sozialen Netzwerken und vielen Medien wurde die Freilassung bejubelt. Das Urteil lautet fast einstimmig: «Julian Assange is a hero», wie auf der Plattform X zu lesen ist, oder: «A good man, finally free.»
Assange, so geht die Geschichte vom einsamen Kämpfer gegen den übermächtigen Staatsapparat, ist endlich den Fängen einer Justiz entronnen, die ihm nichts vorwerfen kann, als dass er sich für die Freiheit der Presse eingesetzt hat. Gegen Korruption und Machtmissbrauch, für Transparenz und Demokratie. «Ein Justizdrama nimmt ein humanes Ende» titelte SRF online larmoyant. Assange habe die Weltmacht USA blamiert und das in voller Härte zu spüren bekommen.
«Julian Assange kommt frei – die Bedrohung bleibt», warnt die linke «TAZ». Die Vereinbarung mit den Gerichten könne nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Fall Assange für die «Kriminalisierung von Journalismus» stehe. Assange habe man verfolgt. Die Täter der Menschenrechtsverletzungen, die er dokumentiert habe, nicht. Die Wochenzeitung «Die Zeit» macht bei aller Genugtuung über den Deal eine grosse Verliererin aus: die Pressefreiheit.
Assange gibt zu, sich der Beschaffung und Weitergabe von Informationen von nationaler Bedeutung schuldig gemacht zu haben. Das also, was das erklärte Ziel der 2005 von ihm gegründeten Plattform Wikileaks ist. Über dem Heldenepos des unerschrockenen Freiheitskämpfers, an dem er selbst kräftig mitdichtete, geht leicht vergessen, dass die Bilanz von Assanges Arbeit widersprüchlich ist.
«Wenn sie getötet werden, haben sie es verdient»
Kritiker werfen ihm schon lange vor, aus reinem Geltungsdrang zu handeln. Er sei noch immer «der Kleinstadtjunge aus Queensland», der verzweifelt versuche, die Welt auf sich aufmerksam zu machen, sagte ein ehemaliger Mitarbeiter dem «Guardian». Ein Angeber, der unter dem Vorwand, die Macht zur Rechenschaft zu ziehen, selbst in Machtgefühlen schwelge. Und sich dabei kaum für ethische Standards interessiere. Tatsächlich kümmerte es Assange nicht, welche Informationen er publizierte und welche Konsequenzen das hatte.
In der Dokumentation «Wikileaks: Inside Julian Assange’s War on Secrecy» berichten die britischen Journalisten David Leigh und Luke Harding von einem Treffen, bei dem Reporter Assange davon zu überzeugen versuchten, beim Veröffentlichen von geheimen militärischen Daten aus Afghanistan gewisse Vorsichtsmassnahmen zu beachten. Sie baten ihn, vor der Publikation die Namen von Afghanen zu entfernen, die mit den amerikanischen Streitkräften zusammengearbeitet hatten, weil diese sonst in Gefahr waren, von den Taliban getötet zu werden.
«Nun, sie sind Informanten», soll Assange darauf geantwortet haben. «Wenn sie getötet werden, dann haben sie es verdient.» Quellenschutz, eines der elementarsten Gebote im Journalismus, kümmerte ihn nicht. Es war ihm egal, welches Schicksal die Menschen erwartete, die in den umfangreichen, detaillierten Files namentlich erwähnt wurden. Vor allem dann, wenn der Schutz Informanten betroffen hätte, die mit den USA zusammenarbeiteten.
Assange war bereit, Daten zu Afghanistan und zum Irak zu veröffentlichen, auch wenn sie als «Todeslisten» von Regierungsgegnern gelesen werden konnten. Er publizierte die Files der US Army ungefiltert und kommentarlos. Ob die Veröffentlichung relevant war oder nicht, spielte für ihn keine Rolle. Damit verstiess er nicht nur gegen die journalistische Ethik und alle Sorgfaltspflichten, sondern leistete auch das nicht, was die Arbeit von Journalistinnen und Journalisten ausmacht: Fakten einzuordnen, Geschehnisse zu erklären, und darzulegen, welche Folgen Ereignisse haben könnten.
Eine Welt ohne Geheimnisse
Assange bezeichnet sich selbst als Journalist. Dabei bestand sein Geschäftsmodell lediglich darin, Texte und Dokumente zu publizieren, die andere ihm zugespielt hatten. Und er veröffentlichte sie ohne Rücksicht auf die Privatsphäre der erwähnten Personen. Im April 2015 publizierte Wikileaks mehr als zweihunderttausend E-Mails und Dokumente der Firma Sony Pictures Entertainment. Darin waren nicht nur Einzelheiten zum Geschäft von Sony zu lesen. Aus den E-Mails von über zweitausend Mitarbeitern konnte man auch erfahren, wessen Eltern krank waren und wer mit wem ein privates Date hatte.
Assange hielt das für Kollateralschäden. Die Publikation sei gerechtfertigt, sagte er. Sony sei ein «grosses, verschlossenes multinationales Unternehmen», das Verbindungen zum Weissen Haus, zur Demokratischen Partei und zur Rüstungsindustrie unterhalte. Zudem sei der Chef des Unternehmens Mitglied eines Think-Tanks, der das amerikanische Militär und die Geheimdienste berate. Transparenz sei alles, verkündete Assange, und inszenierte sich als Symbolfigur einer Welt, in der es keine Geheimnisse mehr geben soll. Wenigstens für Staaten, Regierungen und Armeen.
Allerdings nicht für alle. Assange legte sich wohlweislich nur mit Staaten an, bei denen er mit einem rechtsstaatlichen Verfahren rechnen konnte, falls es zu einem Prozess kommen würde. Und seine Aktionen zeigten immer eine klare Schlagseite gegen die USA. Dabei hat er, zumindest in den Anfängen, tatsächlich Fehlverhalten aufgedeckt: Folter, Menschenrechtsverletzungen. Später ging es ihm offensichtlich nur noch darum, politischen Gegnern in den USA zu schaden. Vor allem den Demokraten. Im Präsidentschaftswahlkampf 2016 veröffentlichte er gehackte E-Mails und Dokumente des Demokratischen Nationalkomitees, was Donald Trump zugutekam.
Im Dienst Russlands?
Wenn es um Russland ging, sah Julian Assange weg. 2016 erhielt Wikileaks ein umfangreiches Paket von Material über die russische Regierung. Daten, die der Öffentlichkeit zum grossen Teil noch nicht bekannt waren. Publiziert wurden sie nie. Sie seien unerheblich, liess Assange verlauten. Ein Argument, das er bisher nicht gelten liess. Um Kritiker zu beschwichtigen, veröffentlichte er ein Jahr darauf auf Wikileaks ein File mit Einzelheiten über das russische Online-Überwachungssystem Sorm.
Nur, das war schon längst aufgedeckt worden. Neue Informationen enthielt es nicht. Auf die Frage, welche Rolle Wikileaks als Whistleblower in Russland spielen könnte, sagte Assange einmal, in Russland gebe es bereits Leute wie Nawalny und Zeitungen wie die «Novaya Gazeta». Ob und wie weit Julian Assange mit der russischen Regierung kooperierte, ist nicht bekannt. Immerhin hatte ihm der Propagandasender «Russia Today» 2012 einen Job als Moderator einer TV-Show angeboten. Und Assange hatte ihn übernommen.