Heftiges Gewitter verursacht in der Westschweiz Millionenschäden – und es droht schon der nächste Sturm
In Morges wurden durch den gleichnamigen Fluss zahlreiche Keller und Hauseingänge überflutet. Laurent Gillieron / Keystone
Der erste Schreck ist erst halb verdaut, da droht auch schon das nächste Unwetterdesaster: Auch für den Mittwochabend ist im Kanton Waadt viel Regen und Gewitter prognostiziert – wie schon für den Dienstagabend. Nur, dass am Dienstag niemand mit so einem Ausmass gerechnet hatte.
Innerhalb von weniger als zwei Stunden fielen in der Waadtländer Gemeinde Cossonnay 41 Millimeter und in Reverolle 53 Millimeter Regen. In L’Auberson wurde sogar ein Rekord von 98 Millimetern gemessen. Dieser plötzliche Starkregen sorgte dafür, dass der Fluss Morges, der vom Jurafussplateau durch das Waadtländer Mittelland bis in die gleichnamige Stadt am Genfersee fliesst, in kurzer Zeit erheblich anstieg und an mehreren Stellen über die Ufer trat.
Im historischen Kern der Stadt Morges sind die Auswirkungen besonders gut sichtbar: Zahlreiche Keller und Hauseingänge wurden überflutet, in einigen Restaurants und Geschäften an der zentralen Grand-Rue stand das Wasser bis zu 50 Zentimeter hoch. «Es war unglaublich, das hat hier noch niemand so erlebt», sagt Mélanie Zanatta. Sie arbeitete am Dienstagabend in einem Café in der belebten Einkaufs- und Flanierstrasse, als es begann, in Strömen zu regnen. «Auf einmal kamen riesige Wassermassen von Richtung Fluss die Strasse hinauf.»
Das geschah so schnell, dass kaum jemand Zeit hatte, zu reagieren. «Wir versuchten, das Gitter des Abwasserkanals vom vielen Schwemmholz zu befreien, damit das Wasser ablaufen konnte», sagt Zanatta. Doch vergeblich. Das Hochwasser trat in die Häuser ein. 20 Zentimeter hoch stand das Wasser im Café. «Ich begann, mit Eimern abzuschöpfen. Zum Glück halfen die Nachbarn sofort mit – diese Solidarität war sehr schön», sagt Zanatta.
Am stärksten betroffen sind Gebäude in unmittelbarer Ufernähe der Morges sowie das Parkhaus der Migros, das voller Wasser stand, wie auch die Unterführung beim Bahnhof. Doch auch in den ländlichen Gebieten kam es zu Überschwemmungen.
Genfer Luftraum gesperrt
Nicht nur im Kanton Waadt, auch in Genf hatte das Gewitter Schäden verursacht. Am Flughafen Genf schloss die Flugsicherung Skyguide den Luftraum am Dienstagabend vorübergehend. Grund dafür war eine Überschwemmung im Untergeschoss des Kontrollzentrums, was die Kühlung des Rechenzentrums beeinträchtigte, so dass für die Flugsicherungssysteme Überhitzungsgefahr bestand. «Clear the Sky», so lautete die Anordnung von Skyguide an alle Maschinen. Sie mussten den betroffenen Luftraum sofort verlassen.
Während in Genf kurz nach Mitternacht wieder die ersten Flugzeuge landen und starten konnten, waren im Waadtland die Einsatzkräfte die ganze Nacht beschäftigt. Über 200 Mal mussten die Einsatzkräfte ausrücken, darunter unter anderem die professionelle und freiwillige Feuerwehr, der Zivildienst und die Polizei.
So schnell, wie das Wasser gestiegen war, so schnell floss es auch wieder ab. Nur hinterliess es Schlamm, Schmutz und Schwemmholz. Am Mittwochmorgen sah man in der Stadt an jeder zweiten Ecke Fahrzeuge der Abwasserbeseitigung, die Wasser aus Kellern pumpten, oder Menschen in Gummistiefeln, die mit Wasserschlauch und Besen den Boden vor ihren Lokalen putzten.
«Ich bin sehr dankbar für die grossartige Leistung aller beteiligten Personen», sagte die Stadtpräsidentin von Morges, Mélanie Wyss, am Mittwochmorgen an einer Medienkonferenz. Durch die gute Koordination habe man es geschafft, dass die Stadt am nächsten Tag wieder in einem relativ funktionalen Zustand aufwachte. Das heisst, die Strassen waren grösstenteils wieder befahrbar, der öffentliche Verkehr zirkulierte, die Schulen waren offen.
Niemand sei verletzt worden, die Stadt sei mit Sachschäden davongekommen, so Wyss. Gemäss einer ersten Schätzung der kantonalen Gebäudeversicherung Waadt, ECA Vaud, dürften sich diese im ganzen Kanton auf rund 20 Millionen Franken belaufen.
Morges nicht im Risikosektor
Hätte der Schaden vermindert werden können? Seit mehreren Jahren wird über eine Renaturierung des Flusses Morges diskutiert, um Hochwasser vorzubeugen. «Die Arbeiten am Projekt laufen. Aber selbst, wenn dieses bereits umgesetzt wäre, so hätte dies die Situation nicht verändert», so Wyss.
Ein Notfallplan für ein solches Szenario habe nicht bestanden, so die Stadtpräsidentin. Auf kantonaler Ebene hingegen gebe es eine Notfallplanung für Hochwasser, sagte Florian Cuche, Leiter Brandschutz und Rettungseinsätze des Kantons Waadt. In gewissen Sektoren mit hohem Risiko seien sogar spezifische Notfallpläne vorhanden – nur gehörte Morges nicht zu einem Risikosektor.