Die Ärzte sagten seinen Eltern, er werde nie mehr laufen können
Mit zwei wurde der Mittelfeldspieler angefahren und lag tagelang im Koma. Nun gehört er zu einer neuen Generation Belgiens. «Mein Sohn ist der Beweis, dass es Wunder gibt», sagt Vater Jean.
Jeden Tag als Geschenk: Orel Mangala freut sich mit Bekannten über den Sieg gegen Rumänien.
Schaut Orel Mangala in den Spiegel, wird er an den Tag erinnert, an dem er hätte sterben können. Der belgische Nationalspieler war zwei, als sich in Etterbeek, einem Stadtteil Brüssels, der tragische Vorfall ereignete. Er wollte gerade eine Strasse überqueren, um seinen Ball zurückzuholen, da brauste ein Auto heran. Mangala lag zwei Tage lang im künstlichen Koma.
Die Ärzte prognostizierten den Eltern, dass ihr Sohn nie wieder werde laufen können. Aber dieser läuft und läuft, mittlerweile 26-jährig, tut er das an der EM im Mittelfeld Belgiens. Heute erinnert nur noch die Narbe in seinem Gesicht an den Unfall. «Mein Sohn», sagt Vater Jean den belgischen Medien, «ist der Beweis, dass es Wunder gibt.»
17 Länderspiele hat Mangala für Belgien absolviert, nach der WM 2022 wurde er zu einem fixen Bestandteil des Kaders. Beim Turnier in Katar waren die Belgier über dem Zenit gewesen, sie scheiterten schon in der Gruppenphase. Im entscheidenden Spiel gegen Kroatien standen sieben Spieler zwischen 30 und 35 in der Startaufstellung. Und keiner war jünger als 27.
Vorbei ist die Zeit von Hazard und Mertens. Und Witsel steht zwar im EM-Aufgebot, er ist aber angeschlagen und kam bisher nicht zum Einsatz. So sind von der goldenen Generation, die an der WM 2018 Dritte wurde, vor allem noch Kevin De Bruyne und Romelu Lukaku übrig.
Die Eltern ermutigen ihn im Kinderspital
Mangala steht für den Umbruch, den Trainer Domenico Tedesco vollzogen hat – wie etwa auch Onana, Doku, Theate, Lukébakio oder Faes. Sie alle haben unter dem Deutschen eine tragende Rolle übernommen. Aber keiner von ihnen hat eine Geschichte wie Mangala.
Jeden Tag waren seine Eltern nach dem Unfall im Kinderspital. «Wir mussten ihn ermutigen, ermutigen, ermutigen», sagt Vater Jean. Und dann schiebt er den schönen Satz nach: «Jeder Schritt war wie ein Spiel.»
Laufen konnte Mangala bald wieder, dazu kam der Ball ins Spiel. Irgendwann ging er zum Vater und sagte ihm, er wolle sich einem Verein anschliessen. So erzählte er das dem «Hamburger Abendblatt». «Mein Vater war und ist mein wichtigster Coach und Begleiter in meinen Leben als Fussballer.» Noch immer schickt ihm Jean nach Spielen eine Whatsapp-Nachricht mit persönlicher Einzelkritik.
Sieben war er, als er von den Scouts des RSC Anderlecht entdeckt wurde. Vor dem ersten Training beim Grossclub aus der Hauptstadt weinte er im Auto. Aber er gewöhnte sich rasch an die grosse Welt, setzte sich durch, durchlief Nachwuchsstufe um Nachwuchsstufe, wurde Juniorennationalspieler.
Mit 18 wechselte er zu Borussia Dortmund, in Stuttgart reifte er dann zum Profi. Seither sind Hamburg und Nottingham als Stationen dazugekommen, zuletzt liehen ihn die Engländer für die Rückrunde an Olympique Lyon aus, für eine erstaunliche Gebühr von über 10 Millionen Euro.
Die Narbe an der linken Gesichtshälfte von Orel Mangala ist immer noch gut sichtbar.
Mangala und Kollegen sind Teil der neuen Generation Belgiens, einer, die wilder ist, schneller. Aber auch anfälliger. Zweimal waren die roten Teufel an dieser EM deutlich überlegen, sie holten aber nur insgesamt drei Punkte. So stehen sie im letzten Gruppenspiel am Mittwochabend gegen die Ukraine unter Zugzwang.
Mangala wird das nicht aus der Ruhe bringen. Sein Vater beschreibt ihn als starken Charakter, er gilt auch als Frohnatur. Was nicht erstaunt, bei seiner Geschichte. «Die Liebe zum Ball hat Orel fast das Leben gekostet», sagt Jean Mangala. Aber sie hat ihm auch ein neues Leben geschenkt.
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