Noch zwei Wochen bis zum «grossen Knall»: Die deutsche Regierung zerlegt sich im Streit übers Geld

noch zwei wochen bis zum «grossen knall»: die deutsche regierung zerlegt sich im streit übers geld

Haben sich verhakt: Kanzler Olaf Scholz, Finanzminister Christian Lindner und Wirtschaftsminister Robert Habeck. Liesa Johannssen / Reuters

Krise, welche Krise? Als Christian Lindner bei einem Pressegespräch in der vergangenen Woche auf die Geldnöte der Bundesregierung angesprochen wurde, schien er allerbester Laune zu sein: Er scherzte, schäkerte und lachte. Und er gab sich sichtlich Mühe, den Verdacht zu widerlegen, dass der Streit um den Haushalt die deutsche Regierungskoalition in eine Krise gestürzt hat, die sogar ihren Fortbestand gefährden könnte.

Hinter den Kulissen werde zwar hart verhandelt, im Grunde aber zögen Sozialdemokraten, Grüne und Liberale am selben Strang. Alles halb so schlimm also, das war die Botschaft, die der FDP-Politiker und Bundesfinanzminister nach aussen tragen wollte.

Woher Lindner seinen Optimismus nimmt, darüber kann man nur spekulieren. Die nackten Zahlen jedenfalls geben wenig Grund für Zuversicht. Im laufenden Jahr rechnet der Finanzminister mit Einnahmen in Höhe von 424 Milliarden Euro, der Grossteil davon sind Steuerzahlungen. Weitere 24 Milliarden Euro wird sich Lindner über neue Schulden beschaffen dürfen – das ist der maximale Betrag, den die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse ihm erlaubt.

Lindners Problem: Seine Kabinettskollegen haben deutlich höhere Kosten angemeldet, als er ihnen eigentlich zugestehen will. Die Energiewende, die Unterstützung der Ukraine im Krieg gegen Russland und soziale Reformen wie das Bürgergeld haben den Finanzbedarf der Regierung zusätzlich in die Höhe getrieben. Im Bundesbudget klafft deshalb eine Lücke von mindestens 30 Milliarden Euro. Wie sie geschlossen werden soll, darüber wird jetzt gestritten.

SPD auf Konfrontationskurs

Gegenwind bekommt Lindner vor allem aus der SPD. Die Sozialdemokraten haben sich – in ungewöhnlicher Einigkeit zwischen den drei unterschiedlichen Strömungen ihrer Bundestagsfraktion – darauf festgelegt, für den Haushalt 2025 auf einer Ausnahme von der Schuldenbremse zu bestehen.

Die Unterstützung der Ukraine gegen den Aggressor Russland führe zu irregulären Mehrausgaben, argumentieren sie. Das Gleiche gelte für die «Notsituation in den deutschen Flutgebieten». Das «Dogma der schwarzen Null» bedeute Stillstand und wirtschaftliche Unvernunft, heisst es in dem gemeinsamen Papier von den zentristischen Abgeordneten der «Netzwerk»-Fraktion, dem konservativen Seeheimer Kreis und der Parlamentarischen Linken.

Die Freien Demokraten haben sich ebenso klar dagegen positioniert: «Ohne Schuldenbremse, ohne uns», sagte Jens Teutrine, der Vorsitzende der Jungen Gruppe in der FDP-Bundestagsfraktion, kürzlich der «Bild»-Zeitung. Hört man sich in der Fraktion um, klingt es so, als stünden deutlich mehr Abgeordnete hinter diesem Diktum als nur die dreissig liberalen Mandatsträger der Jungen Gruppe.

Die Sozialdemokraten, heisst es, hätten möglicherweise ähnlich falsche Vorstellungen von der Entschlossenheit der FDP, wie Bundeskanzlerin Angela Merkel sie 2017 hatte, als die Freien Demokraten sich am Ende doch nicht auf eine Koalition mit CDU/CSU und Grünen einliessen.

Ein Mitglied des FDP-Vorstandes erinnert zudem daran, dass die Liberalen schon einmal auf Landesebene eine Regierung wegen Geldstreitigkeiten vorzeitig aus dem Amt gejagt haben. 2012 musste die Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen, Hannelore Kraft, zurücktreten und ihre Minderheitsregierung mit den Grünen auflösen. Die FDP hatte damals gegen den Haushaltsentwurf der Sozialdemokratin votiert. «Geschichte wiederholt sich manchmal», heisst es mit drohendem Unterton aus dem Parteivorstand.

Bis es zum «grossen Knall» komme, seien es vielleicht nur noch zwei oder drei Wochen. «Mir fehlt gegenwärtig die Phantasie, wie diese Koalition noch einen gemeinsamen Haushalt verabschieden soll», sagte der stellvertretende FDP-Vorsitzende und Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki der NZZ.

Auch der Kanzler steht unter Druck

In der SPD-Fraktion gibt man sich trotz derlei Kampfansagen betont gelassen. Ob man die Drohung der FDP – «ohne uns» – ernst nehmen müsse? «Nein», sagt der Vorsitzende einer grossen Landesgruppe. «Aus meiner Sicht ist da nix dran», sagt ein SPD-Landesvorsitzender. «Quatsch mit Sauce», sagt ein sozialdemokratisches Kabinettsmitglied.

Unter den Mitarbeitern der SPD-Fraktion ist die Unruhe allerdings grösser, von «steigender Anspannung» ist die Rede. Und aus dem Willy-Brandt-Haus, der Parteizentrale, ist zu erfahren, dort brenne «die Luft». Was auch damit zu erklären ist, dass die gemeinsame Forderung nach einer Aufhebung der Fiskalregeln nicht nur eine Kriegserklärung an die FDP war, sondern auch den eigenen Kanzler heftig unter Druck setzt.

Denn Olaf Scholz hat Lindners Haushaltskurs bislang mitgetragen. «Wir haben uns fest vorgenommen, dass wir einen Haushalt aufstellen, der sich entlang der Finanzplanung bewegt», versicherte Scholz noch am Wochenende im Interview mit der ARD. Das neue Kampfpapier aus den eigenen Reihen zwingt ihn jetzt, sich zu entscheiden, was ihm wichtiger ist: seine Zusagen an Lindner oder die Forderungen seiner Genossen.

Verhandlungsergebnis verspätet sich

Es gibt zudem Anzeichen dafür, dass die Verhandlungen, die derzeit in kleiner Runde zwischen Kanzler Scholz, Finanzminister Lindner und Wirtschaftsminister Robert Habeck geführt werden, weniger «konstruktiv» und «harmonisch» verlaufen, als es von den Parteispitzen dargestellt wird. Bislang war geplant, den Budgetstreit bis zum 3. Juli beizulegen und den Haushaltsentwurf dann vom Kabinett verabschieden zu lassen.

Doch daraus wird nichts. Aus Regierungskreisen heisst es jetzt, dass frühstens am 17. Juli mit einer Einigung zu rechnen sei. Zumindest erste Eckpunkte könnten zwar bereits in der kommenden Woche vorliegen, für die Ausarbeitung der Details bliebe den Ministerien dann aber nur wenig Zeit.

Es sei möglich, dass sich der Konflikt mit der FDP über die gesamte parlamentarische Sommerpause ziehe, glaubt ein altgedienter SPD-Abgeordneter. Ein Scheitern mag aber auch er sich nicht vorstellen: Am Ende reiche es ja, wenn der Haushaltsentwurf im September stehe.

SPD fürchtet den Dissens

Die sozialdemokratische Attacke auf Lindner, die jetzt sogar die Regierungskoalition ins Wanken bringt, steht im Kontext schmerzhafter Erfahrungen in der Vergangenheit. Weil die Sozialdemokraten lange unter Führungsstreitigkeiten und wechselseitiger Illoyalität litten, sechs Parteivorsitzende und drei Kanzlerkandidaten verschlissen hatten, setzte sich in der jüngeren Vergangenheit immer stärker das Dogma der Geschlossenheit durch.

Inzwischen droht es gelegentlich vernünftige und notwendige Diskussionen zu verhindern: Irgendeine Antwort auf die Fragen, wie man die FDP zum Einlenken bewegen könnte oder was geschehen soll, wenn sie auf ihrem Standpunkt beharrt, wäre sinnvoll. Aber darüber wollen die SPD-Abgeordneten nicht sprechen, jedenfalls nicht öffentlich.

Nur hinter vorgehaltener Hand äussert der eine oder andere ein wenig Verständnis für die Liberalen: Es müsse ja auch schwierig für sie sein, wenn Rot und Grün ständig versuchten, sich über die beiden liberalen Kernpunkte – keine Steuererhöhungen, Einhaltung der Schuldenbremse – hinwegzusetzen. Ganz Wagemutige sagen auch mit gedämpfter Stimme, sie hofften, der Kanzler habe diesmal, im Gegensatz zu der Haushaltspleite vor dem Verfassungsgericht im vergangenen Jahr, tatsächlich einen Plan B.

Unter Spitzenpolitikern der Grünen erklärt man sich die harte Opposition der Sozialdemokraten zum Lindner-Sparplan zudem mit dem schlechten Abschneiden bei der Europawahl. Für die SPD als amtierende Kanzler- und ehemalige Volkspartei sei das Ergebnis mit weniger als 14 Prozent ein schwerer Schlag gewesen. Deshalb versuche sie jetzt, sich mit Sozialpolitik zu profilieren – koste es, was es wolle.

Auch Grüne haben viel zu verlieren

Die Grünen selbst sind dabei gar nicht weit von den SPD-Forderungen entfernt. «Es zeichnet sich ab, dass die Haushaltslücke für das kommende Jahr eher bei 50 Milliarden als bei 30 Milliarden liegen dürfte», sagt der Grünen-Sozialpolitiker Frank Bsirske der NZZ. «Aus unserer Sicht macht das die Inanspruchnahme der Notlagenklausel erforderlich und notwendig – denn alles andere würde eine Haushaltspolitik des Kahlschlags bedeuten.» Die Schuldenbremse aber allen notwendigen Investitionen überzuordnen und selbst eine Wirtschaftskrise und massive Sozialkürzungen hinzunehmen, das könnten und würden die Grünen nicht mitmachen.

Das sei «eine Frage der ökonomischen Vernunft wie der sozialen Verantwortung». Diese Überzeugung reiche tief in die Klientel von Union und FDP hinein und sollte nicht ohne Wirkung bleiben, glaubt Bsirske. Dass der Haushaltsstreit sich noch derart zuspitzen könnte, dass die Koalition als Ganzes infrage steht, schliesst man also auch bei den Grünen nicht aus. Dennoch verzichten die Grünen bislang auf Formulierungen, die als allzu klare Provokation oder Bevormundung der FDP wahrgenommen werden könnten.

Was ebenfalls auf die Ergebnisse der Europawahl zurückzuführen ist. Ihr Abschneiden mit 12 Prozent lag zwar weit unter den Erwartungen, lässt sich allerdings als verschmerzbar darstellen. «Deshalb bleiben wir auch ganz staatstragend als Letzte auf der ‹Titanic› stehen und machen die Durchsagen», scherzt ein ranghoher Grüner.

Die Gefahr, dass die Koalition tatsächlich zerbreche, liege bei 15 zu 85, sagt er. Allenfalls verschiebe sich die Einigung im Haushaltsstreit ein wenig in den Sommer hinein. Wenn es vor 2025 zum Bruch komme, dann frühestens nach den ostdeutschen Landtagswahlen im September. Ganz ausschliessen will das Koalitions-Aus offenbar niemand mehr. Das allein sagt schon viel aus.

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