Ein früherer Präsident Taiwans reist nach China. Was bedeutet das?

Vor der Abreise nach China wird Taiwans früherer Präsident Ma Ying-jeou am Flughafen ;von Journalisten umringt. Seine Reise stösst in Taiwan auf grosses Interesse, obwohl Ma diese als Privatreise deklariert. Chiang Ying-Ying / AP

Taiwans ehemaliger Präsident Ma Ying-jeou ist zu einem zwölftägigen Besuch in China eingetroffen. Es ist das erste Mal, dass ein Präsident der Republik China, wie Taiwan offiziell heisst, die Volksrepublik China besucht, welche seit 1949 über das chinesische Festland herrscht. Dies ist möglich, weil Mas Partei Kuomintang (KMT) wie ihr einstiger Gegner im chinesischen Bürgerkrieg, die Kommunistische Partei Chinas, fest für das Ein-China-Prinzip einsteht.

Ma, der von 2008 bis 2016 Staatspräsident Taiwans war, bezeichnet die Reise als privat. Er besucht unter anderem die Gräber seiner Ahnen in der Stadt Changsha – in den Zeitraum seiner Reise fällt das Qingming-Fest, bei dem Chinesen ihrer Ahnen gedenken.

Mit dem Ex-Präsidenten reisen rund dreissig Personen, enge Mitstreiter und eine Gruppe von Studenten. Er hoffe, mithilfe dieser jungen Menschen die Beziehungen zwischen den beiden Seiten der Strasse von Taiwan zu verbessern, sagte Ma bei der Abreise in Taipeh, damit schneller Frieden einkehren könne.

Der gemeinsame Kampf gegen Japan wird hervorgehoben

Auf Mas Reiseprogramm stehen vor allem Orte, die im Zweiten Chinesisch-Japanischen Krieg zwischen 1937 und 1945 eine Rolle gespielt haben. Damals kämpften Truppen der KMT gemeinsam mit den Kommunisten gegen die japanischen Invasoren. Hier deckt sich die Geschichtsschreibung der beiden chinesischen Parteien.

Neben den Städten Wuchang und Chongqing will Ma auch Nanjing besuchen. Dort steht das Mausoleum für Sun Yat-sen, den Gründer der Republik China, der auch in der Volksrepublik geehrt wird. Ab 1928 war Nanjing die Hauptstadt Chinas. Als japanische Truppen 1937 die Stadt einnahmen, verübten sie schwerste Kriegsverbrechen. Historiker schätzen, dass zwischen 20 000 und 400 000 Chinesen von den Japanern ermordet wurden.

Kritiker in Taiwan monieren, dass Ex-Präsident Ma nur Orte besucht, die für den Kampf gegen Japan stehen. Die Schlachtorte des Bürgerkriegs – in dem sich die KMT und die Kommunisten gegenseitig bekämpften – werden ausgeblendet. Der Fokus auf den Kampf gegen Japan ist auch insofern problematisch, als Japan heute einer der wichtigsten Partner Taiwans ist.

Kein Treffen mit Xi Jinping auf dem Programm

Laut der Stiftung von Ma Ying-jeou sind keine Treffen mit hohen chinesischen Politikern angesagt. Allerdings liess sie vor einigen Tagen verlauten, dass es «Sache des Gastgebers» sei, wen Ma treffen werde. Wenig wahrscheinlich ist eine Wiederholung der Zusammenkunft mit dem chinesischen Partei- und Staatschef Xi Jinping. Sie trafen sich 2015 in Singapur, als Ma noch im Amt war. Für ein Treffen mit Xi in China müsste Ma wohl nach Peking reisen, doch die Hauptstadt steht nicht auf seinem Programm.

Für einige Verstimmung in Taiwan sorgt der Zeitpunkt von Mas Reise. Einerseits hat Peking Taipeh gerade einen diplomatischen Alliierten abgeworben: Honduras. Andererseits macht Präsidentin Tsai Ing-wen in den nächsten Tagen auf dem Weg nach Lateinamerika Zwischenstopps in New York und Los Angeles. Die Präsidentin muss nun mit ihrem Vorgänger um Aufmerksamkeit buhlen.

Ma steht für eine enge Anbindung ans chinesische Festland

Ma stand zweimal an der Spitze der KMT, doch heute hat er keine Führungsposition mehr in der Partei. Er kann also weder im Namen der Partei sprechen noch im Namen Taiwans. Offiziell steht die KMT hinter ihm, doch gleichzeitig versucht sie, als nicht allzu chinafreundlich gesehen zu werden. Eric Chu, der jetzige Parteivorsitzende, zeigt sich in den letzten Tagen demonstrativ mit Delegationen aus den USA und Japan, die in Taiwan zu Besuch waren.

In der Amtszeit von Ma Ying-jeou zwischen 2008 und 2016 waren die Beziehungen zwischen Taiwan und dem Festland so eng wie nie seit 1949, als die KMT auf die Insel floh. Ma setzte auf enge wirtschaftliche Verbindungen mit der Volksrepublik – ein geplantes Freihandelsabkommen führte 2014 dann aber zu grossen Protesten. Die Demonstranten befürchteten, zu stark abhängig von China und damit erpressbar zu werden. Als Mas Amtszeit zu Ende ging, war sein Annäherungskurs gegenüber Peking praktisch zum Erliegen gekommen.

Die kommunistische Regierung verweigerte jeglichen Kontakt mit Mas Nachfolgerin Tsai. Ihre Demokratisch-Progressive Partei (DPP) ist China gegenüber deutlich kritischer eingestellt als die KMT. Peking sieht die DPP als Sezessionisten. Darum setzt es auf den Kontakt zur KMT, selbst wenn diese in der Opposition ist. Im Februar besuchte eine KMT-Delegation China, gleichzeitig kamen chinesische Vertreter nach Taiwan.

Peking scheint darauf zu hoffen, dass bei den Wahlen im Januar die KMT das Präsidentenamt zurückerobern wird. Ob damit an Mas Politik angeknüpft werden könnte, ist allerdings fraglich. Seither ist Xis China deutlich autoritärer geworden, die Abwehrreflexe im demokratischen Taiwan sind gewachsen.