Le Pens Partei immer beliebter: "Viele Franzosen finden Macron überheblich und belehrend"
Le Pens rechtspopulistische Partei RN erfreut sich größter Beliebtheit: Mehr als ein Drittel der Franzosen wollen sie wählen. Zugleich rutscht das liberale Lager um Präsident Macron in der Wählergunst ab. Macrons Arroganz wird in den Neuwahlen abgestraft, sagt Frankreich-Expertin Kempin.
Mit seinem Politikstil machte sich Macron einige Feinde unter den französischen Wählern.
Ronja Kempin: Der RN wurde in den 70er Jahren gegründet, als eine postfaschistische und antisemitische Partei. Sie dümpelte viele Jahre in den Umfragen zwischen acht und zehn Prozent. Damals wurde sie von Marine Le Pens Vater, Jean-Marie Le Pen, geleitet. 2011 hat er die Partei an seine Tochter übergeben, die einen anderen Kurs eingeschlagen hat: Sie wollte nicht weitermachen mit der Fundamentalopposition, sondern hatte das Ziel, Präsidentin zu werden. Deshalb hat sie die Partei "entteufelt" und umgekrempelt – auch mit Blick auf das Personal. Sie hat alle, die sich antisemitisch geäußert haben, aus der Partei ausgeschlossen. Der Prozess gipfelte im Ausschluss ihres eigenen Vaters 2015. Seitdem ist der rechtsextreme Markenkern in der Partei stark in den Hintergrund getreten. Der RN setzt sich inzwischen für wirtschaftspolitische und soziale Themen ein, allerdings aus einer nationalistischen Perspektive.
Es geht ungefähr in diese Richtung. Auf der einen Seite will die Partei möglichst wenig Ausländer im Land haben, auf der anderen Seite die Kaufkraft der Bevölkerung stärken. Damit geht der RN auf die Ängste der Menschen ein, die befürchten, am Ende des Monats kein Geld mehr im Portemonnaie zu haben. Durch ihren Imagewandel ist die Partei anschlussfähig geworden. Sie hat immer noch ihre stärksten Wahlerfolge in der Arbeiterklasse, in der sie bei Wahlen auf über 50 Prozent kommt. Aber sie wird inzwischen fast durch alle Altersgruppen und sozialen Schichten mit im Durchschnitt 30 Prozent gewählt.
Viele Deutsche empfinden Macron als vorbildlich, als modern und proeuropäisch. In Frankreich herrscht ein ganz anderes Bild vor: Viele Franzosen finden Macron überheblich und belehrend. Menschen, die demonstrieren, beschimpft er zum Beispiel als Irre. In Frankreich hat er mit seiner Politik die politische Mitte ausgehöhlt. Es gibt nur noch ihn als politische Mitte - und die extremen Ränder links und rechts. Es ist nicht so, dass alle Franzosen, die den RN wählen, rechtsextrem sind. Die Partei ist jetzt einfach im politischen Mainstream angekommen. Ein Grund dafür ist, dass sie sich in der Nationalversammlung konstruktiver verhalten hat als etwa die AfD im Bundestag. Sie hat immer wieder Kompromisse angeboten.
Macron will sogar bei einem Wahlsieg Le Pens profitieren
Es lag auch an seiner Gesetzgebung. Er hat das Kündigungsrecht gelockert, das in Frankreich stark war. Er hat das Arbeitslosengeld stark gekürzt. Er hat die Rentenreform durchgedrückt und das Renteneintrittsalter erhöht – obwohl viele Franzosen protestiert und teilweise sogar das Land lahmgelegt haben. Und er hat es versäumt, seine Politik zu erklären. Er sagte der Bevölkerung stattdessen: Jetzt hört mal auf zu protestieren, ihr habt keine Ahnung, ich mache hier schon das Richtige. Er hat oft niemanden konsultiert. Macron hat seinen Stiefel durchgezogen. Dabei hatte er auch Erfolg, die Arbeitslosigkeit ist zum Beispiel gesunken. Trotzdem fühlen sich die Franzosen durch Macron bevormundet.
Bardella zum Vorsitzenden zu ernennen, war ein genialer Schachzug von Le Pen. Er war zwar mit Le Pens Nichte zusammen, aber als erster Chef der Partei stammt er nicht aus dem Familienclan. Außerdem ist er in der Pariser Banlieue groß geworden, einem sozial schwachen Vorort der Hauptstadt. Bardella stammt aus ärmeren Verhältnissen und hat durch seine italienisch-algerischen Wurzeln einen Migrationshintergrund. Also kommt er authentisch rüber, wenn er sagt: Wer sich in Frankreich assimiliert, kann alles schaffen. Er ist extrem beliebt unter jungen Leuten durch seine Tiktok-Präsenz und hat durch sein verbindliches Auftreten für den RN zudem bürgerliche Wählerschichten erschlossen. Marine Le Pen betrachten die Franzosen noch immer argwöhnisch, weil sie ihre Familiengeschichte nicht komplett abschütteln konnte.
Die Staatsverschuldung in Frankreich ist bereits sehr hoch und die Kreditwürdigkeit wurde herabgestuft. Die Märkte werden sicherlich nervös auf einen Premierminister Bardella reagieren. Macron kann dann auf EU-Ebene zwar immer wieder schlaue Reformen vorschlagen, wird dabei aber von der wirtschaftlichen Realität seines Landes eingeholt. Das schwächt ihn. Und in den Räten der Fachminister in der EU würden wahrscheinlich Minister des RN sitzen. Außerdem kann Bardella in der EU die Hand nach Verbündeten ausstrecken, wie zum Beispiel Italiens Ministerpräsidentin Georgia Meloni. Dann ist die Frage, ob Meloni mit Bardella oder Macron zusammenarbeiten will. Und zu Hause ist Macron eine lame duck – also ein Präsident auf Abruf ohne politische Handlungsfähigkeit. Das wird sich auch in der Außenpolitik bemerkbar machen. Wird Frankreich noch weiterhin die Ukraine so unterstützen, wie es das bislang tut? Die Frage ist mit einem Premierminister Bardella wahrscheinlich mit Nein zu beantworten.
Noch mehr aktuelle Nachrichten finden Sie auf ntv.de