Europas größter Ökostrom-Produzent schmeißt Pläne für neue Windräder hin
Strom aus Windenergie in Norwegen: Warum werden die Ziele bei erneuerbaren Energien jetzt zurückgenommen?
Aufgrund niedrigerer Strompreise und höherer Kosten fährt Europas größter Erzeuger erneuerbarer Energie – Statkraft – seine Pläne zum Bau neuer Wind- und Solarkraftwerke zurück. Der staatliche norwegische Energiekonzern kündigte die Wachstumskürzungen am Donnerstag an.
Die Marktbedingungen für die gesamte Branche der erneuerbaren Energien sind laut der Unternehmenschefin Birgitte Vartdal anspruchsvoller geworden. Was bedeutet das?
Die Ziele waren hoch. Zu hoch? Eigentlich wollte das Unternehmen, das seinen Strom hauptsächlich über Wasserkraft produziert, ab 2025 jährlich zweieinhalb bis drei Gigawatt (GW) erneuerbare Energie erzeugen. Das entspricht laut Statkraft dem Bau einer neuen Wind-, Solar- oder Batterieanlage alle neun Tage. Ab 2030 will das Unternehmen diese Kapazität sogar auf vier GW pro Jahr erhöhen, hieß es noch im März auf der Website. Nun sieht das aber anders aus, wie die britische Tageszeitung Financial Times (FT) berichtet. Das neue Ziel: doch „nur“ zwei bis zweieinhalb GW jährlich ab 2026.
Im Bereich der Offshore-Windenergie strebe der Konzern bis 2040 eine Gesamtleistung von sechs bis acht GW an, heißt es. Zum Vergleich: Das vorherige Ziel soll bei zehn GW gelegen haben. „Wir glauben noch immer fest an die Offshore-Windenergie und würden dort gerne bleiben, aber wir schrauben unsere Ambitionen etwas zurück“, so Konzernchefin Vartdal.
Statkraft ist mit seinem Rückzug nicht allein. Mehrere europäische Energieversorger haben im vergangenen Jahr ihre Wachstumspläne gebremst. Beispielsweise hat der dänische Energiekonzern Orsted als weltgrößter Entwickler von Offshore-Windenergie seine Ziele für 2030 um mehr als zehn GW gesenkt. Das Unternehmen hat Ende 2023 zwei Offshore-Windprojekte in den USA gestrichen und kündigte Wertminderungen in Höhe von 28,4 Milliarden dänischen Kronen (umgerechnet 3,8 Milliarden Euro) an.
So weit, so windstill. Auch Energias de Portugal (EDP), Portugals größter Energieversorger, kürzte im Mai seinen Dreijahresinvestitionsplan mit der Begründung der sich verschlechternden Marktbedingungen. Genauer ging es darum, „niedrigere Strompreise und ein Umfeld höherer Zinsen über einen längeren Zeitraum zu ermöglichen“, sagte EDP-Geschäftsführer Miguel Stilwell de Andrade. Genauso hat laut dem Bericht der staatliche französische Energieversorger Engie sein Ziel verschoben, von 2030 bis 2035 Wasserstoffprojekte mit einer Leistung von vier GW zu entwickeln. Die Entwicklung und Strukturierung des Marktes schreite langsamer voran als noch vor einem Jahr prognostiziert.
Mit anderen Worten: „Die Projekte sind viel anspruchsvoller geworden und es gibt einfach keine relativen Renditen“, zitiert die FT Vegard Wiik Vollset, Vizepräsident und Leiter für erneuerbare Energien und Strom bei Rystad Energy – dem größten unabhängigen Energieberatungsunternehmen in Norwegen. Der Energieberater geht noch weiter, wird dramatischer: „Das ist nicht gut für die Energiewende“, sagt Vollset und stellt dabei die relative Geschwindigkeit der Energiewende infrage.
Die aktuell sinkende Nachfrage nach erneuerbaren Energien macht sich auch auf den öffentlichen Märkten bemerkbar. Der S&P Global Clean Energy Index, der Hersteller von Windturbinen und Solarmodulen umfasst, ist seit Juli vergangenen Jahres um 25 Prozent gefallen, heißt es im Bericht. Zudem hätten ESG-Aktienfonds – nachhaltige Fonds, die Kriterien aus den Bereichen Ökologie, Soziales und verantwortungsvolle Unternehmensführung mit einbeziehen – in diesem Jahr bis Ende Mai Abflüsse in Höhe von 38 Milliarden Dollar hinnehmen müssen. Ob es ein langfristiges Problem ist oder doch nur eine kurzfristige Marktschwäche, wird sich erst mit der Zeit zeigen.
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