Pianist schwächelt
Schwächelte: Pianist Bruce Liu beim Rheingau Musik Festival
Klavier statt Violine, Kurhaus statt Basilika: Nachdem, wie berichtet, das hr-Sinfonieorchester und der Geiger Christian Tetzlaff in Kloster Eberbach das Rheingau Musik Festival eröffnet hatten, rückte am folgenden Abend im zweiten Eröffnungskonzert ein anderer Fokus-Künstler dieses Festivalsommers als Solist in den Mittelpunkt. Der kanadische Pianist Bruce Liu, vor drei Jahren erster Preisträger des renommierten Warschauer Chopin-Wettbewerbs, hatte zuletzt im vergangenen Januar im Rahmen der Wiesbadener Meisterkonzerte mit einem Klavierabend einen starken Eindruck im Friedrich-von-Thiersch-Saal des Kurhauses hinterlassen.
Davon blieb er nun, als er am selben Ort Ludwig van Beethovens fünftes Konzert für Klavier und Orchester Es-Dur op. 73 unter der Leitung von Alain Altinoglu interpretierte, irritierend weit entfernt. Seine Idee, das Passagenwerk des von Beethoven noch vor die eigentliche Orchestereinleitung gestellten frühen Klaviereinsatzes mehr lyrisch und nachdenklich als selbstbewusst und auftrumpfend auszulegen, fand sich zwar in der weiteren Interpretation des Werks fortgesetzt. Die Neigung zum wenig konturierten, nur schwach phrasierenden Spiel allerdings auch. Außerdem schien Liu an einer Stelle im ersten Satz, wiederholt sogar im Finale den Notentext nicht mehr sicher zu memorieren und wich für Momente ins Improvisieren aus – das immerhin versiert und mit dem hohen technischen Niveau, über das der 27 Jahre alte Solist fraglos verfügt. Alain Altinoglu und das Orchester, die ohnehin den sinfonischen Charakter des Konzerts verdeutlichten, reagierten flexibel und ließen, wie am Vorabend, im zweiten Programmteil die ersten vier Sinfonischen Dichtungen aus Bedřich Smetanas Zyklus „Mein Vaterland“ folgen. Zuvor hatte sich Bruce Liu noch mit Ethan Uslans Ragtime-Version von Beethovens Albumblatt „Für Elise“ für den starken Applaus bedankt.