Der Klimawandel stellt Saudi­arabien vor ein Dilemma

Mehr als 1300 Menschen sind in der Hitze von Mekka gestorben. Die Erderwärmung, zu dem der weltgrösste Ölexporteur stark beiträgt, könnte dem Land noch mehr zusetzen.

der klimawandel stellt saudi­arabien vor ein dilemma

Auf die Hitze nicht vorbereitet: Ein Pilger wird von saudiarabischen Sanitätskräften weggetragen.

Für Azza Hamid Brahim aus Ägypten war die islamische Pilgerfahrt in Saudiarabien, auch Hadsch genannt, eine furchtbare Erfahrung. «Wir dachten, wir müssen sterben. Meine Hände zitterten, mein Körper war kurz vor dem Kollaps. Ich konnte nicht mehr weitergehen», sagte sie in einem Videointerview der Nachrichtenagentur AFP.

Auch Haddar Saila aus Marokko erzählt dort, dass sie Leichen auf der Strasse gesehen habe, die mit weissen Tüchern abgedeckt gewesen seien. «Die Temperaturen waren viel zu hoch! Ich rede nicht nur über alte Menschen, junge Leute sind auch gestorben», sagt sie. Insgesamt wurden mehr als 1300 Todesopfer gezählt.

Jährlich pilgern zwischen zwei und drei Millionen Muslime aus mehr als 180 Ländern nach Mekka und Medina. Viele von den Besuchern sind nicht an das Wüstenklima der Region gewohnt – Temperaturen von mehr als 50 Grad Celsius. Zudem ist man während des Hadsch viel in Bewegung, ob beim Gang um die würfelförmige Kaaba oder beim Besuch des Bergs Arafat. Eine enorme Kraftanstrengung und besonders für ältere Menschen mit Herzproblemen nicht ungefährlich.

der klimawandel stellt saudi­arabien vor ein dilemma

Enorme Kraftanstrengung, vor allem für ältere Gläubige: Pilger auf dem Berg Arafat.

Einer Schnellstudie des Forschungskonsortiums ClimaMeter zufolge ist die Hitzewelle dieses Jahr aussergewöhnlich gewesen. Demnach seien die extremen Temperaturen, denen nun so viele Menschen zum Opfer gefallen sind, auf den menschengemachten Klimawandel zurückzuführen.

Jüngst erst hatte das «Journal of Travel Medicine» vor den Risiken von Hitzewellen für die Gesundheit der Pilger gewarnt, denn der Hadsch fällt häufig mit Hitzeperioden in einer Wüstenumgebung zusammen. Dieses Problem ist nicht neu. So kam es in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder zu Hitzetoten, Massenpaniken, Bränden und Unfällen, bei denen viele Pilger umgekommen sind. Zudem weisen Studien darauf hin, dass extreme Hitze aggressives menschliches Verhalten verstärken kann.

Deshalb haben saudische Behörden diverse Schutzmassnahmen eingeführt: U-Bahn-Linien und klimatisierte Busse fahren zum Ziel, die Umgebung wurde begrünt, es stehen klimatisierte Zelte, Zugang zu Trinkwasser und Schirme zur Verfügung. Medizinisches Personal steht vor Ort bereit, zudem gibt es 16 Spitäler und 128 Gesundheitszentren mit mehr als 13’000 Mitarbeitern. Eingeführt wurden ein Frühwarnsystem und seit 2016 aktualisierte Notfallpläne zum Schutz der Gesundheit vor Hitze.

Die Saudis kümmern sich also um die gläubigen Besucher – schliesslich sind diese auch ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Umso grösser ist nun der Imageschaden durch die Todesfälle. Um die Massnahmen in Anspruch nehmen zu können, ist allerdings auch ein spezielles Visum notwendig – das sich nicht alle leisten können. Es gibt Hinweise darauf, dass dies auf einen grossen Teil der Todesopfer zutraf.

Modelle sagen Saudiarabien eine Verschlimmerung voraus

Die Zukunft des Klimas ist aber natürlich unabhängig von den finanziellen Mitteln der Pilger – verschiedene Klimamodelle sagen eine noch grössere Hitze in Mekka voraus. Im schlimmsten Fall, das zeigt eine Studie der King Abdullah University of Science and Technology, könnten die Temperaturen auf der arabischen Halbinsel bis zum Ende des Jahrhunderts um 5,6 Grad steigen. Die Studie macht deutlich, dass der Klimawandel in Saudiarabien im Vergleich zu anderen Regionen schneller voranschreitet.

Dawud Ansari, Wissenschaftler mit Fokus auf die arabischen Golfstaaten, Energie und Klima bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin, sagt: «Wenn die mediale Berichterstattung über die Hitzetoten international nun hohe Wellen schlägt, dann wird Saudiarabien etwas dagegen unternehmen, weil es das Image schädigt.» Die Frage sei, welche wirksamen Massnahmen die saudische Regierung für die nächsten Jahre überhaupt ergreifen könne. Denn die Möglichkeiten seien begrenzt.

Zur Extremhitze könnten Regenfluten kommen

Erstens könnte man die Kontingente der Besucher senken, um den Überblick zu behalten und mehr Notfallversorgung zu ermöglichen. Zweitens die Aussenbereiche ausreichend klimatisieren – ob dies innerhalb eines Jahres erfolgen kann, bleibe fraglich.

Drittens müssten die Einrichtungen wetterfest gemacht werden – und hier sieht Ansari die grössere Gefahr des Misslingens. Insbesondere zunehmende Regenfälle könnten auf Dauer eine grössere Gefahr sein als die Hitzewellen. «Das ist ein Thema für die nächsten Jahre», sagt er.

Für Sebastian Sons, Islam- und Politikwissenschaftler am Carpo-Institut in Bonn, einer Denkfabrik mit Schwerpunkt auf dem Orient, ist klar: «Durch die Flutkatastrophen, Sandstürme und die Hitze ist das Leben der Menschen unmittelbar betroffen.» Deshalb spiele die Bedeutung des Klimawandels in der arabischen Welt auf gesellschaftlicher und politischer Ebene eine immer grössere Rolle.

Umweltthemen sollen salonfähig werden

Der Kampf gegen den Klimawandel ist für Saudiarabien paradox. Als grösster Rohölexporteur der Welt hat das Land eigentlich wenig Interesse an einer Abkehr von fossilen Energien, die auch im Lande selbst in grossen Mengen genutzt werden – zum Beispiel für Klimaanlagen und die Wasserversorgung.

Dennoch wolle sich das Land als Green Champion positionieren. «Eine eindeutige Strategie in der Klimapolitik gibt es noch nicht. Es bleibt ein Spagat, ein Balanceakt», stellt Sons fest. Darum sind Netzwerke, Partnerschaften und Personen mit Prominenz genauso wichtig wie die finanziellen Mittel. Es gehe darum, «Umweltthemen stärker salonfähig und sexy zu machen». Für die Saudis sei Umweltschutz etwas, womit man seine soziale Reputation, seine Sichtbarkeit stärken und Geld verdienen könne, erklärt Sons.

Wie gross die Gefahr durch den Klimawandel ist, hat die diesjährige Pilgerfahrt gezeigt. Ob nun tatsächlich konkrete Schritte zu dessen Eindämmung folgen, bleibt fraglich. Es wäre im Interesse der Region und vor allem der Pilger. Viel Zeit bleibt nicht.

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