Die zwei Gesichter des Julian Assange
Nach seiner Freilassung wird der Wikileaks-Gründer als Vorkämpfer des freien Journalismus gefeiert. Es gibt auch Gründe, ihn als hochproblematische Figur zu sehen.
Ein Assange-Mural ausserhalb Moskaus.
Julian Assange ist frei. Weltweit feiert das nicht nur seine Anhängerschaft. Menschenrechtler und viele Medien zeigen sich erleichtert über den Deal mit der US-Justiz und preisen das Werk des unerschrockenen Australiers. Wofür? «For speaking truth to power», wie es prägnant auf Englisch heisst, weil er also «der Macht die Wahrheit entgegenhält».
Auch nicht autoritäre Regierungen haben Leichen im Keller, die sie – oft mit dem Label «geheim» versehen – gern in den Tiefen ihrer Apparate verbergen. Assange hat solche unbequemen Tatsachen, darunter wohl auch Kriegsverbrechen und Korruption während der US-Interventionen in Afghanistan und im Irak, unter Einsatz seiner eigenen Freiheit ans Licht gebracht. Diese Transparenz herzustellen, die im öffentlichen Interesse liegt, das ist sein grosses Verdienst, egal, ob man das Journalismus oder Aktivismus nennt.
Was vielen Beobachtern Assanges in den Würdigungen fehlt oder allenfalls einen Halbsatz erhielt, ist seine andere, dunkle Seite (lesen Sie hier, wie Assange auch in seiner Heimat Australien umstritten ist). Gemeint ist weniger seine umstrittene, ans Diktatorische grenzende Art, mit anderen umzugehen, und dass er selten bereit war, über mögliche Fehler auch nur nachzudenken. Das belegen Aussagen ehemaliger Mitarbeiter. Auch fühlte er sich bei der Veröffentlichung von Dokumenten, die potenziell Hunderte unschuldige Menschen in Todesgefahr brachten, an keinerlei Sorgfaltspflicht gebunden, wie der frühere «Guardian»-Chefredaktor Alan Rusbridger beklagte. Diese Persönlichkeitszüge haben Wikileaks geschadet.
Keine Distanz zu autoritären Regierungen
Relevanter für die Beurteilung der komplexen Person Assange ist seine oft konstatierte Distanzlosigkeit gegenüber autoritären Regierungen im Allgemeinen und besonders Russland unter der Herrschaft von Wladimir Putin. Sie lässt sich aus seinem Verhältnis zu den USA erklären. Auf sie richtete Assange seinen Fokus schon als begabter junger Hacker. In seinem Weltbild, von 1996 an massgeblich mitgeprägt vom aktivistischen Vater John Shipton, wurde dieses Land zum Feind, den es vorrangig zu bekämpfen galt. Er sieht die USA als böswilliges Imperium, das sich überall einmischt und weltweit Menschen umbringt. Es lag daher nahe, dass sich die 2006 gegründete Organisation Wikileaks auf die Verfehlungen der von Neokonservativen in immer neue Kriege getriebenen Weltmacht konzentrierte.
Dem Kreml kamen die spektakulären Wikileaks-Veröffentlichungen des Jahres 2010 zupass, Putin zeigte sich erfreut. In den folgenden Jahren begannen sich seine und Assanges Interessen zunehmend zu überschneiden, schliesslich ging es gegen denselben Gegner. In der russischsprachigen Welt liess sich Assange auf eine Zusammenarbeit mit dem notorischen Antisemiten Israel Schamir ein, einem Fan des weissrussischen Diktators und engen Putin-Verbündeten Alexander Lukaschenko. Gemäss einer staatlichen weissrussischen Zeitung half Wikileaks dessen Regime 2010, die «Organisatoren, Anstifter und Aufrührer» von Protesten gegen manipulierte Wahlen zu identifizieren.
Talk-Sendung auf dem Propagandasender
2012 übernahm Assange eine Talksendung bei Russia Today (heute RT), schon damals nichts anderes als ein Propagandakanal der russischen Regierung, der durch Falschnachrichten Unruhe und Verwirrung in westlichen Gesellschaften stiften sollte. Erster Interviewpartner des Australiers war Hassan Nasrallah, Chef der vom Iran finanzierten Hizbollah-Miliz, der unwidersprochen gegen Israel agitieren durfte.
Mit welcher Einstellung Assange auf die Welt schaut, zeigte sich, als die Panama Papers bekannt wurden, die geheime Finanzströme von Potentaten weltweit aufdeckten. Wikileaks bezeichnete sie als Versuch der USA und des Milliardärs George Soros, Putin zu schaden. Dabei waren sie das Werk investigativer Journalisten weltweit, unter anderem dieser Redaktion. Wikileaks hat wenig veröffentlicht, was Putin belasten könnte, obwohl der Gruppe entsprechendes Material angeboten worden sein soll.
Er wollte Hillary Clinton bewusst schaden
Als De-facto-Gehilfen des Kreml sahen Kritiker Assange und Wikileaks 2016, als die Organisation Tausende E-Mails veröffentlichte, die die US-Demokraten und deren Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton in Misskredit brachten. Erklärte Absicht war es, der früheren Aussenministerin zu schaden, die der Australier für besonders kriegslüstern und gefährlich hielt. Politisch ordnet sich Assange beim libertären Flügel der US-Republikaner ein, dem selbst Donald Trump nicht radikal genug ist. Wie unter anderem der Mueller-Bericht im Auftrag des US-Justizministeriums feststellte, war ein Grossteil der veröffentlichten E-Mails von Hackern gestohlen worden, die in enger Verbindung mit dem russischen Geheimdienst standen. Assange bestreitet, das gewusst zu haben.
Trump bejubelte Wikileaks für die Aktion, scharfe Rechtspopulisten wie Tucker Carlson sehen Assange noch heute auf ihrer Seite. Dass sich die weltweite Unterstützerszene des Aktivisten politisch wohl eher als «links» einstufen würde, ist kein Widerspruch; es zeigt nur, wie sich die politischen Extreme angenähert haben in ihrem Widerstand gegen die liberale westliche Demokratie, der mit einem vehementen, unversöhnlichen Antiamerikanismus einhergeht.
Es ist diese politische Verwirrung, die aus dem Drehbuch des Kreml stammen könnte. Zu den Zielen im Informationskrieg, den Russland gegen den Westen führt, gehört es, die demokratische Debatte abzuwürgen. So bleibt ein janusköpfiges Bild von Assange. Für manche ist er ein Aufklärer demokratisch-imperialer Willkür und Hybris, für andere ein willfähriger Helfer oder gar nützlicher Idiot einer autoritären Macht, die für das genaue Gegenteil jener Transparenz und Freiheit steht, die Wikileaks eigentlich befördern möchte.
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