Erstmals gilt eine Klimaschutz-Gruppe als linksextremistischer Verdachtsfall
Der Verfassungsschutz warnt in seinem neuen Jahresbericht vor neuen terroristischen Gefahren von links und rechts. Befürchtet wird eine Radikalisierung in der Klimaschutz-Szene. Erstmals wird eine Gruppe als Verdachtsfall geführt. Das Gleiche gilt für die israelfeindliche Boykottbewegung BDS.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und Thomas Haldenwang (CDU), Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz picture alliance/dpa; picture alliance / Metodi Popow; Montage: Infografik WELT
Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) hat erstmals eine radikale Klimaschutzgruppe als extremistischen Verdachtsfall eingestuft. Dies geht aus dem Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2023 hervor, der am Dienstag vorgestellt wird und WELT vorab vorlag.
Die Einstufung betrifft das 2014 gegründete Bündnis „Ende Gelände“. Laut dem Inlandsnachrichtendienst hat sich das Projekt „als Kooperationspartner für Angehörige des autonomen und des dogmatischen Linksextremismus etabliert“. Zudem sei „eine zunehmende eigenständige Verschärfung von Aktionsformen bis hin zur Sabotage“ erkennbar. Grundsatzpapiere des Bündnisses ließen deutlich eine „Radikalisierung im Hinblick auf die vorherrschenden ideologischen Positionen der Gruppierung“ erkennen.
Im vergangenen Jahr hatte „Ende Gelände“ etwa die Freilassung der wegen mehrfacher gefährlicher Körperverletzung verurteilten Linksextremistin Lina E. gefordert. Im Jahr zuvor forderte das Bündnis die Abschaffung der Polizei.
Gelsenkirchen im April: Klimaschutzaktivisten der Gruppe „Ende Gelände“ blockieren die Schienenzufahrt des Kohlekraftwerks Scholven picture alliance/dpa
Die Verfassungsschützer beobachten auch außerhalb dieser Gruppe Einflussnahmeversuche von extremistischen Linken auf Klimaschutzbewegungen. Diese zielten darauf ab, „demokratische Diskurse zu verschieben, gesellschaftlichen Protest zu radikalisieren sowie den Staat und seine Institutionen zu delegitimieren“, heißt es in dem Bericht.
Weiter heißt es: „In Ablehnung des staatlichen Gewaltmonopols und vor dem Hintergrund vermeintlich ausbleibender klimapolitischer Erfolge bei gleichzeitigem Festhalten an apokalyptischen Endzeitnarrativen werden Begrifflichkeiten wie ‚ziviler Ungehorsam plus‘ und ‚friedliche Sabotage‘ diskutiert.“
Knapp 40 Prozent der als linksextremistisch eingestuften Straftaten richteten sich im vergangenen Jahr laut Verfassungsschutzbericht „gegen tatsächliche oder als solche ausgemachte Rechtsextremisten“. „Der Gewalt sind kaum Grenzen gesetzt und es ist eher dem Zufall geschuldet, dass bisher noch kein Todesfall eingetreten ist“, heißt es. Ziel seien auch Funktionsträger und Unterstützer der AfD. Gegen die Rechtsaußen-Partei komme es häufig zu Sachbeschädigungen und Brandstiftungen sowie in Einzelfällen zu körperlichen Angriffen.
Das BfV warnt in dem Bericht eindringlich vor dem Entstehen eines neuen Links- und Rechtsterrorismus. Zum erstgenannten Phänomenbereich heißt es, dass sich die Gefahr für schwere Gewalttaten gegen Personen nochmals erhöht habe. „Bei ungehindertem Fortgang der Radikalisierung einzelner Personen oder Strukturen, insbesondere der im Untergrund befindlichen Gewalttäter, könnte in Deutschland ein neuer Linksterrorismus entstehen, der sich insbesondere gegen als solche ausgemachte ‚Faschisten‘ richten dürfte, aber auch zu weiterer Gewalt gegen Staat und Polizei führen könnte.“
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Für rechtsextremistische Taten spiele vor allem eine „fremdenfeindliche Motivation“ eine herausragende Rolle, heißt es weiter. „Mit den seit 2021 wieder ansteigenden Zahlen irregulärer Migration nach Deutschland besitzt dieses Thema ein hohes, weiter wachsendes Mobilisierungspotenzial in der rechtsextremistischen Szene. Diese Entwicklung kann schließlich rechtsterroristische Taten nach sich ziehen.“
Einige Rechtsextremisten drohten explizit damit, „bei ausbleibenden Veränderungen in der Migrationspolitik selbst gegen die von ihnen behauptete ‚Überfremdung‘ vorzugehen“. Die „andauernde Agitation und Hetze“ von Rechtsextremisten gegen Migranten schlage sich „in einer Reihe von Fällen in Übergriffen auf Erstaufnahmeeinrichtungen und Körperverletzungsdelikte gegen als fremd wahrgenommene Personen nieder“.
Warnung vor islamistischen Einzeltätern
Im Bereich des islamistischen Terrorismus konstatiert die Sicherheitsbehörde eine weiterhin bestehende Gefährdungslage, die sich seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel und dem folgenden Krieg in Gaza nochmals erhöht habe. Die Bedrohung in Deutschland gehe nicht nur von dschihadistischen Gruppierungen, sondern vor allem von Einzeltätern mit einfach zu beschaffenden Tatmitteln aus, „deren Angriffe sich vornehmlich gegen ‚weiche‘ Ziele richten“. Die Verhinderung solcher Taten stellt die Behörden vor große Herausforderungen: Oftmals gibt es nur eine kurze Planungsphase, Kommunikationsstrukturen fehlen häufig.
Neben dem Nahost-Konflikt nennt der Verfassungsschutzbericht zwei zentrale Themen der islamistischen Propaganda: Koranverbrennungen in Europa und die Bewegung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transpersonen (LGBT). „Vor allem salafistische Geistliche haben sich ausdrücklich gegen die als ‚Unzuchtsverbrechen‘ gebrandmarkte, ausgelebte Homosexualität positioniert“, heißt es. Muslime, die sich gegenüber LGBT-Personen offen zeigten, seien massiven Anfeindungen von Islamisten ausgesetzt.
Im Bereich des auslandsbezogenen Extremismus wird erstmals die israelfeindliche Boykottbewegung BDS als extremistischer Verdachtsfall aufgeführt. Zentrale Forderung sei ein Ende der Besatzung „allen arabischen Landes“, was als Forderung nach einer „Beendigung der staatlichen Existenz Israels“ zu verstehen sei.
Die AfD wird weiterhin als Verdachtsfall im Bereich Rechtsextremismus geführt. In den Verlautbarungen der Partei komme „vielfach ein völkisch-abstammungsmäßig geprägtes Volksverständnis zum Ausdruck, das im Widerspruch zum Volksverständnis des Grundgesetzes steht“, heißt es zur Begründung. Insbesondere Asylbewerbern und Migranten aus islamisch geprägten Herkunftsländern würden außerdem oftmals „pauschal eine kulturelle Inkompatibilität und ein ausgeprägter Hang zur Kriminalität unterstellt“. Das nordrhein-westfälische Oberverwaltungsgericht hatte die Einstufung im Mai dieses Jahres als rechtmäßig bestätigt.
Das BfV hat im vergangenen Jahr darüber hinaus eine zunehmende Vernetzung der Neuen Rechten beobachtet. Dabei sei eine „arbeitsteilige Vorgehensweise zu beobachten, die von logistischer und finanzieller Unterstützung für die Szene über ideologische Grundsatz- und Strategiedebatten bis hin zum Aktionismus ein breites Aktivitätsspektrum abdeckt“. Akteure der Neuen Rechten sprechen selbst von einer „Mosaik-Rechten“.