Nachtzug-Ärger: Warum der Nightjet Berlin–Paris bald monatelang ausfällt
Ein Nightjet der Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB). Kurzfristige Baustellen behindern immer wieder den Nachtzugbetrieb zwischen Berlin nach Paris. Jetzt zieht der Betreiber Konsequenzen.
Mit dem Nachtzug von Berlin nach Paris: Als die traditionsreiche Bahnverbindung vor etwas mehr als einem halben Jahr wieder ins Rollen kam, wurde groß gefeiert. Die Kundschaft honoriert das neue Angebot, die Züge sind gut gebucht, bestätigen die Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB). Trotzdem stellt das Unternehmen diese und andere Nightjet-Verbindungen erst einmal ein – bis zum Herbst dieses Jahres.
Es war ein großer Bahnhof – im wahrsten Sinne des Wortes. Minister, Abgeordnete, Nachtzugaktivisten und eine deutsch-französische Jugendgruppe zelebrierten am Abend des 11. Dezember 2023 im Berliner Hauptbahnhof die erste Abfahrt des neuen Nightjet.
Seitdem verbindet der Nachtzug, der laut Plan über jeweils zwei Schlaf-, Liege- und Sitzwagen verfügt, die deutsche und die französische Hauptstadt. Laut Plan geht es in rund 14 Stunden über Halle (Saale), Erfurt, Mannheim nach Paris. In Strasbourg (Straßburg) gibt es Anschluss nach Montpellier, von wo aus man Barcelona erreicht. Eine Wagengruppe wird unterwegs abgehängt, um über Köln nach Brüssel zu fahren. Tickets gibt es ab 74,90 Euro pro Weg. Wer liegend reisen will, zahlt allerdings deutlich mehr.
„Die Nachfrage auf der Strecke ab Berlin ist durchgehend positiv“, teilte Bernhard Rieder, Sprecher der ÖBB-Holding in Wien, am Mittwoch mit. Paris sei ein sehr gefragtes Ziel. Mit der Betriebsqualität sei das Unternehmen jedoch sehr unzufrieden, stellte der Nachtzugbetreiber ungewohnt deutlich klar. Erneut stünden baubedingte Einschränkungen an. Deshalb ziehe die ÖBB jetzt Konsequenzen, um ihre Fahrgäste auf der Strecke nicht immer wieder enttäuschen zu müssen, lautete die zentrale Botschaft.
Bei der Premierenfeier am 11. Dezember 2023 im Berliner Hauptbahnhof: Sophie Dutordoir von der NMBS/SNCB aus Belgien, ÖBB-Chef Andreas Matthä, Bahnchef Richard Lutz und der französische Verkehrsminister Clément Beaune (v. l.)
„Trotz intensiver Bemühungen der beteiligten Bahnen können aufgrund von umfangreichen Bauarbeiten in Deutschland und Frankreich einige Nightjet-Verbindungen im Zeitraum vom 12. August bis 25. Oktober 2024 nicht angeboten werden“, so Rieder. „Betroffen sind Wien–Paris, Berlin–Paris und Berlin–Brüssel.“ Ab 28. Oktober würden alle Verbindungen wieder planmäßig angeboten. Der Nightjet Wien–Brüssel sei dagegen nicht betroffen, er fahre weiterhin dreimal wöchentlich.
Die Nightjet Partner ÖBB, DB, SNCF (Frankreich) und NMBS/SNCB (Belgien) haben das Nightjet-Netz in den vergangenen Jahren konsequent ausgebaut, rief der Bahnsprecher in Erinnerung. „Umso bedauerlicher sind nun die temporären Auswirkungen von Baustellen in Frankreich und Deutschland. Um unerwartete Zugausfälle, Verspätungen und Unannehmlichkeiten für unsere Kund:innen zu vermeiden, müssen wir leider den Betrieb einiger Nightjet-Linien temporär aussetzen. Für die betroffenen Züge wurden noch keine Fahrkarten verkauft“, erklärte Bernhard Rieder am Mittwoch.
Häufige, teils überraschend anberaumte Bauarbeiten der Infrastrukturbetreiber DB Infra Go und SNCF Réseau führen seit längerem immer wieder dazu, dass Züge oft erst kurz vor der Fahrt buchbar sind. „Aufgrund von Infrastruktureinschränkungen können die Verbindungen von Berlin nach Paris und Brüssel leider erst kurzfristig freigegeben werden“, erklärte die ÖBB im Februar. Wenn der Nightjet fuhr, kam es immer wieder zu Verspätungen – trotz ohnehin üppig bemessener Fahrzeiten.
Ein weiteres Resultat war, dass die Zugfrequenz zwischen Berlin und Paris/Brüssel verringert werden musste. Verließ der Nightjet NJ 40424 ursprünglich montags, mittwochs und freitags die deutsche Hauptstadt, ist dies inzwischen seltener der Fall. So zeigt das Buchungssystem für diese und die kommende Woche jeweils nur eine Fahrt ab Berlin am Freitag an. Für die zweite Juliwoche sind überhaupt keine Fahrten hinterlegt, danach bis 7. August lediglich am Montag und Mittwoch.
In die Morgensonne: Der European Sleeper, unterwegs von Brüssel nach Prag, rollt mit 15 Wagen durch Mitte. Der private Nachtzug stellt die zweite Verbindung zwischen der belgischen und der deutschen Hauptstadt her.
Dabei gelten Nachtzüge ohnehin als Herausforderung – betrieblich und wirtschaftlich. Während Tageszüge in 24 Stunden Strecken mehrmals befahren können, gibt es für Schlaf- und Liegewagen nur nachts Nachfrage. Den Rest der Zeit stehen sie herum, ohne Einkünfte zu erzielen. Zwar wird das Personal von einem anderen Unternehmen, im Fall der ÖBB von Newrest gestellt, die Löhne sind relativ niedrig. Doch für einen Nachtzug werden meist mehrere Wagenbetreuer gebraucht, was die Kosten nach oben treibt.
In Österreich, Frankreich, Belgien und anderswo erhalten Nachtzugbetreiber die eine oder andere Art von Förderung oder Entlastung – in Deutschland mit seinen steigenden Trassennutzungskosten dagegen nicht. „In Deutschland besteht echter Aufholbedarf“, hatte Nightjet-Chef Kurt Bauer im vergangenen Jahr gewarnt. „Sonst wird es irgendwann schwierig, in Deutschland Nachtzüge zu betreiben.“
So mager und unzuverlässig das Angebot auf der Route Berlin–Paris notgedrungen ist, das Interesse der Fahrgäste an dieser Art des klimafreundlichen Reisens scheint unverändert vorhanden zu sein. So zeigt das Buchungssystem an mehreren Terminen an, dass Plätze im Schlaf- und Liegewagen trotz hoher Preise „leider nicht verfügbar“ sind. Schon vor der ersten Nightjet-Fahrt von Berlin nach Paris und Brüssel im vergangenen Dezember hatte die ÖBB mitgeteilt, dass die Buchungslage „extrem gut“ sei.
Offenbar besteht Bedarf für die Nachtzugverbindung Berlin–Paris, die es lange gegeben hatte – und dann brachlag. Im Dezember 2014 hatte die DB ihren Nachtzug Perseus eingestellt, seit März 2020 fährt auch der Euronight EN 452/453 der Russischen Eisenbahn Moskau–Berlin–Paris nicht mehr.
Wie berichtet, soll es auch tagsüber wieder eine direkte Zugverbindung zwischen der deutschen und der französischen Hauptstadt geben. Zuletzt hieß es, dass ab Dezember 2024 täglich ein TGV die Strecke befahren soll – in der Gegenrichtung auch. Aber davon hat man lange nichts mehr gehört.
Patrick Neumann aus Berlin engagiert sich beim Verband Back on Track für den Ausbau des Nachtzugnetzes in Europa. Auf der Strecke von Berlin nach Paris/Brüssel sei die „Ausfallquote Anfang des Jahres immens“ gewesen, berichtete er. „Es liegt vor allem an SNCF Réseau, und der Brüsseler Zugteil wird quasi mit reingezogen. Die Franzosen bekommen es wohl nicht hin, Baufahrpläne halbwegs zeitig zu liefern, auf dass man noch vernünftig Tickets verkaufen kann.“
Glücklicherweise laufe die zweite Nachtzugverbindung zwischen Brüssel und Berlin, die über Amsterdam führt und seit März nach Dresden und Prag verlängert worden ist, stabil. Der private Anbieter European Sleeper, zu dessen Finanzierungswegen Crowdfunding gehört, fährt die Strecke dreimal pro Woche. Wenn die ÖBB mal wieder den Zugteil nach Brüssel stornieren muss, könnte sie auf den European Sleeper verweisen, schlägt Neumann vor. Er verwies darauf, was ÖBB-Vorstand Sabine Stock beim World Passenger Forum in Wien gesagt hat: „People don’t need competition. People need cooperation.“ Menschen brauchen keine Konkurrenz – sie brauchen Zusammenarbeit.