Gruppensieg - Rangnick und Österreich – Mit Selbstironie zum EM-Favoriten
Vor 25 Jahren lag Fußball-Österreich am Boden. Die Nationalmannschaft, damals von Herbert Prohaska trainiert, verlor in der Qualifikation für die EM 2000 mit 0:9 gegen Spanien. Höher hatte Österreich nur ein einziges Mal verloren, 1908 war das, 1:11 gegen England. Die Niederlage gegen Spanien war ein neuer Tiefpunkt.
Und gleichzeitig Ausgangspunkt für die Geschichte, die Österreich momentan bei der EM in Deutschland schreibt. Nach dem fulminanten 3:2-Sieg gegen die Niederlande zieht Österreich durchaus überraschend als Gruppensieger der Hammergruppe D ins Achtelfinale ein. Vize-Weltmeister Frankreich blieb hinter Österreich nur Platz zwei.
Am Dienstag lief ein Lied über die Boxen des Berliner Olympiastadions, das die beiden Spiele, das 0:9 gegen Spanien und das 3:2 gegen die Niederlande verbindet. „Hoch gwimmas (n)imma“ (deutsch: hoch gewinnen wir nicht mehr) von der Band AUT of ORDA. Das Lied persifliert ein legendäres Halbzeit-Interview während der Spanien-Schmach.
Legendäres Halbzeit-Interview inspiriert zum Song
1999 lag Österreich schon zur Pause mit 0:5 hinten. Innenverteidiger Toni Pfeffer stellte sich trotzdem den Fragen eines ORF-Reporters, der wissen wollte, was in der zweiten Halbzeit noch drin sei. Dann folgte der legendäre Satz, Pfeffer antwortete: „Hoch werd‘ mas nimma gwinnen.“ Ein Satz, der Jahre später Inspiration für den Song der Austropop-Band sein sollte. Ein Song, in dem auch Trainer Ralf Rangnick und die beiden Nationalspieler David Alaba und Konrad Laimer mitmachen.
Ein Auszug aus dem (eingedeutschten) Songtext: „Wenn wir gewinnen, freuen wir uns. Und wenn nicht, fahren wir eben wieder Ski.“ Ein Lied, das die eigenen Misserfolge belächelt, die eigenen Klischees auf die Schippe nimmt. Frei nach dem Motto: Wer den Schaden hat, sorgt am besten für den selbstironischen Spott.
Ralf Rangnick (r.) feiert den Gruppensieg mit David Alaba und Ersatzkeeper Heinz Lindner
Das aktuelle EM-Lied kommt bei Fans und Spielern gut an – auch wenn Rangnick erklärt: „,I‘m from Austria‘, der Song ist sogar noch authentischer, noch passender zur Mannschaft und zum Land.“ Nach dem Sieg sangen Team und Fans den Gassenhauer von Rainhard Fendrich gemeinsam in der Kurve.
Österreich spielt jetzt Rangnick-Fußball
Mittelfeldspieler Marcel Sabitzer sagte: „Wenn ich ranken müsste: Erst kommt ‚I’m from Austria‘ und dann ‚Strada del Sole‘, das sind unsere Favoriten. Aber auch das Lied („Hoch gwimmas (n)imma“, Anm. d. Red.) ist Teil unserer Geschichte auf dem Weg nach Deutschland.“
Dieser Weg hängt unweigerlich mit Trainer Rangnick zusammen. Der Ex-Leipziger ist seit Sommer 2022 Nationaltrainer. Er krempelte die Mannschaft und deren Spielstil kräftig um. Im Sommer sagte er noch dem FC Bayern ab, weil er das Projekt in Österreich weiter verfolgten wollte. Jetzt spielt Österreich Rangnick-Fußball: hohes Anlaufen, frühes Pressing, intensive Laufarbeit und gefälliges Kurzpassspiel.
Auch die Niederlande sind in der Anfangsphase überrumpelt. Schon in der 6. Minute geht Österreich durch ein Eigentor von BVB-Spieler Donyell Malen in Führung. Kurz nach der Pause wird Österreich mit eigenen Waffen geschlagen, Gakpo bestraft einen Ballverlust im Mittelkreis. Doch Österreich, vor der EM als Geheimfavorit gehandelt, steckt den Rückschlag weg. Zweimal sogar. Erst trifft der Bremer Romano Schmid (59.), Memphis Depay gleicht aus (75.). Nur fünf Minuten später erzielt Sabitzer die dritte Führung des Tages. Dieses Mal reicht es.
„Wer das getippt hätte, wäre jetzt reich“, sagt Rangnick
Rangnick ist sichtlich zufrieden: „In der Anfangsphase hatten wir gefühlt 80 Prozent Ballbesitz gegen Holland, das musst du erst einmal schaffen. Was mich am meisten beeindruckt hat, war die Reaktion der Mannschaft auf die beiden Gegentreffer. Wir haben weiter mutig nach vorn gespielt und sind zweimal belohnt worden.“
Der Schuss ins Glück: Sabitzer trifft an van de Ven vorbei zum 3:2
Weil Frankreich im Parallelspiel nicht über ein 1:1 gegen Polen hinauskommt, ist Österreich plötzlich Gruppensieger – obwohl Rangnick und Co. zum Auftakt noch knapp gegen Frankreich verloren hatten (0:1). „Wir hatten sehr viel Druck vor dem Spiel gegen Polen. Jetzt Gruppensieger zu werden, ist unglaublich. Wer darauf getippt hätte, wäre jetzt reich. Aber das ist das Schöne am Fußball – auch dass wir belohnt wurden für unseren energiegeladenen Auftritt“, sagte der Österreich-Trainer.
Rangnick weist die Rolle des EM-Favoriten von sich
Aus dem Geheimfavoriten wird jetzt aber noch lange kein Favorit. Das passt weder zu Rangnicks Naturell noch zur gelebten Bodenständigkeit und der Selbstironie. Stattdessen sagte Rangnick: „Ich halte es nicht für wahrscheinlich, dass wir Europameister werden. Aber völlig ausgeschlossen ist es auch nicht.“ Und auch die Tatsache, dass Österreich im Achtelfinale womöglich erstmals im Turnier als Favorit ins Spiel geht, wollte Rangnick nicht gelten lassen. Gegen wen die Österreicher im Achtelfinale antreten, ist bislang unklar. Das klärt sich erst, wenn die Gruppe F um Portugal alle Spiele absolviert hat.
Das 0:9 gegen Spanien vor 25 Jahren ist längst vergessen. Aber womöglich gibt es die Chance für eine Revanche. Österreich und Spanien können sich bei der EM frühestens im Finale treffen …
Alle Spiele der Heim-EM im Überblick: Spielplan der EM 2024 mit allen Ergebnissen EM-Spielplan als PDF zum Ausdrucken
]]>