Wie Assange freikam – für ein Schuld­bekenntnis

Am Dienstag wurde Julian Assange in London aus der Haft entlassen. Bei seinem Heimflug nach Australien musste er allerdings einen Zwischenhalt auf der US-Insel Saipan im Pazifik einlegen.

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Auf dem Weg in die Freiheit: Wikileaks-Gründer Julian Assange (25. Juni).

Eine «grosse Überraschung» kündigte Stella Assange ihren Kindern für diesen Mittwoch an – in Australien. Genaueres wollte sie ihnen noch nicht sagen, bevor die Sache vom zuständigen Richter geregelt wurde. Die Frau des Wikileaks-Gründers Julian Assange, die auch dessen Anwältin ist, war mit den beiden Buben des Paars von England aus in Assanges Heimat geflogen. Die Überraschung bestand darin, dass Vater Julian selbst schon kurz danach auf dem Weg zu ihnen sein würde.

Überraschend kam die Entlassung Assanges aus britischer Haft freilich auch für die weitere Öffentlichkeit – wie sehr auch in den vergangenen Monaten schon spekuliert worden war über einen Deal, der zur Freisetzung des 52-Jährigen führen könnte. In aller Heimlichkeit wurde der gebürtige Australier am Montag zum Flughafen Stansted im Norden Londons gefahren, wo er am selben Abend eine von der australischen Regierung gecharterte Maschine Richtung Bangkok bestieg.

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«Wir telefonieren beinahe jeden Tag»: Stella Assange sprach am 24. Mai in Bern auch über die Fernbeziehung zu ihrem Mann.

Auf Bildern, die Wikileaks später zusammen mit der Nachricht von Assanges Abflug veröffentlichte, war Assange in Hemd und Jeans und mit seit Jahren erstmals kurz geschnittenem Haar beim Einsteigen zu sehen.

Australiens Premierminister Anthony Albanese bestätigte zur gleichen Zeit, dass Assange via Thailand auf dem Weg sei. Um dies zu ermöglichen, mussten die Australier freilich Washington für eine Absprache gewinnen. Denn die US-Justiz weigerte sich beharrlich, auf das Auslieferungsbegehren zu verzichten, das Assange in britischer Haft hielt. Von den USA der Spionage angeklagt, sollte Assange in die Staaten überführt werden, wo ihm eine langjährige und womöglich lebenslange Haftstrafe drohte. Die Anklage fallen zu lassen oder sie auf eine geringfügigere Beschuldigung des «unsachgemässen Umgangs mit Dokumenten» zu reduzieren, war man in Washington nicht bereit.

Umstrittene Wikileaks-Veröffentlichungen

Grund für das unnachgiebige Verlangen, Assange den Prozess zu machen, waren die berühmten Wikileaks-Veröffentlichungen von 2010 und 2011, bei denen die Enthüllungsplattform Hunderttausende von US-Geheimdokumenten, hauptsächlich zum Krieg in Irak und in Afghanistan, an die Öffentlichkeit gebracht hatte. Die Dokumente hatte der Militäranalyst und Armeeangehörige Bradley Manning (heute Chelsea Manning) Assange damals zugespielt.

Assange wurde in der Folge zur Last gelegt, durch den «Diebstahl» und die Veröffentlichung des Geheimmaterials an Spionageaktivitäten beteiligt gewesen zu sein und das Leben von Informanten gefährdet zu haben. Er selbst bestand immer darauf, dass er für die Öffentlichkeit wichtige Informationen, teils zu amerikanischen Kriegsverbrechen, ans Tageslicht gefördert habe und dass die USA ihn dafür hätten bestrafen wollen. Dass sie mit ihrem Verfahren gegen ihn die Pressefreiheit generell einzuschränken versucht hätten.

Obama hielt sich noch zurück

Tatsächlich hatte die Verwaltung des früheren US-Präsidenten Barack Obama sich mit einer Anklage gegen Assange seinerzeit zurückgehalten. Obama hatte auch Mannings Strafe von 35 Jahren umgewandelt zu sieben Jahren Haft.

Unter Donald Trump hatte das US-Justizministerium aber gegen Assange Anklage in 18 Punkten, von denen 17 Spionage betrafen, erhoben. Das führte zum an London gerichteten Auslieferungsbegehren, wo man Assange, während er sich vor britischen Gerichten gegen seine Aushändigung an die USA wehrte, fünf Jahre lang wegen «Fluchtgefahr» hinter Gittern hielt.

Präsident Biden hatte, seit er ins Weisse Haus eingezogen war, an Trumps harter Linie festgehalten, zuletzt aber signalisiert, dass er über ein australisches Freilassungsgesuch «nachdenkt». Als Lösung bot sich an, dass ein Urteil über Assange gefällt wird, ihm aber seine Jahre im Belmarsh-Gefängnis angerechnet werden, sodass die Strafe als abgesessen gilt.

Die Chartermaschine sollte Assange darum nach der Zwischenlandung in Bangkok auf die winzige US-amerikanische Pazifikinsel Saipan, einen Teil der Northern Mariana Islands, bringen, wo ein US-Bezirksgericht den Australier nach einem Schuldbekenntnis verurteilen und ihm dann nach Anrechnung seiner Haft in Grossbritannien freien Abzug gewähren würde. Noch im Lauf des Mittwochs sollte er in Australien eintreffen – nicht länger als Häftling, sondern erstmals seit zwölf Jahren als freier Mann.

Denn nicht nur hat Assange 1901 Tage in einer Einzelzelle in Belmarsh verbringen müssen. Zuvor hatte er sich ja, um sich einem schwedischen Haftbefehl zu entziehen, selbst sieben Jahre lang in der ecuadorianischen Botschaft in London verschanzt.

Gemischte Gefühle in der britischen Öffentlichkeit

In Stockholm hatten ihn zwei Schwedinnen des Sexualverbrechens beschuldigt. Assange argumentierte damals, er müsse das Asyl in Anspruch nehmen, weil ihn die Amerikaner schnappen und zum Tod verurteilen wollten. Aber in der britischen Öffentlichkeit brachte ihm sein Versteckspiel nicht nur Sympathien ein.

In den sieben Jahren in der Botschaft wurde er jedenfalls – mit gelegentlichen Auftritten auf einem Balkon und dem Empfang von allerlei Besuchern – zu einer festen Grösse in London. Alle wussten, dass Assange gleich hinter dem Kaufhaus Harrods in seinem Zimmer sass und von dort Wikileaks weiter mitsteuerte, so gut es ging.

Erst als die Ecuadorianer 2019 genug von ihm hatten und ihm das Asylrecht aufkündigten, wurde er von der britischen Polizei aus der Botschaft geholt und nach Belmarsh verfrachtet. Zwölf Monate Haftstrafe erhielt er, weil er sich dem von Schweden initiierten europäischen Haftbefehl widersetzt hatte mit seinem Botschaftsaufenthalt.

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Unterstützung für Julian Assange: Demonstranten in Grossbritannien.

Vor Ablauf der Strafe aber forderten die USA seine Auslieferung. Seither hatte Assange sich von seiner Gefängniszelle aus mit juristischen Mitteln zur Wehr gesetzt. Unterdessen verjährte das Verfahren, das Schweden anstrengen wollte. Zuletzt war dem Australier im Mai vom High Court in London das Recht zugesprochen worden, gegen seine Auslieferung weiter in Berufung zu gehen. Aber nun erledigt sich das alles, mit dem amerikanisch-australischen Deal.

Mit ausgesprochener Erleichterung reagierte am Dienstag Stella Assange in Australien auf die Übereinkunft. Sie sei «froh wie nie», sagte sie. «Es ist einfach unglaublich. Es ist, als wäre es gar nicht wahr.» Wie sich herausstellte, war der Entscheid am Mittwoch voriger Woche in London getroffen worden. Bis zuletzt habe sie aber nicht sicher sein können, dass ihr Mann wirklich auf seinem Flieger sei, meinte Stella Assange (lesen Sie hier das Interview mit Assanges Ehefrau).

Die Chartermaschine stand derweil in Stansted bereit. 400’000 Pfund, die nachträglich durch Spenden abgedeckt werden sollen, hat die australische Regierung vorgestreckt für Assanges Flug in die Freiheit, mit zwei Zwischenstopps, darunter dem Gerichtstermin auf den Northern Mariana Islands am dortigen Mittwochmorgen.

Mike Pence tobt

Zornige Reaktionen hat die Übereinkunft derweil schon unter US-Hardlinern ausgelöst. Ex-Vizepräsident Mike Pence erklärte: «Es sollte keine gerichtlichen Vereinbarungen geben, mit denen jemand, der die nationale Sicherheit der Vereinigten Staaten gefährdet, eine Gefängnisstrafe vermeidet. Das sollte niemals möglich sein.» Das Ganze sei «ein Justizirrtum».

Auf der anderen Seite sind vielerorts Presseleute, die sich für Pressefreiheit einsetzen, nicht glücklich darüber, dass Julian Assange am Ende gezwungen wurde, sich der Spionage für schuldig zu erklären. Der Medienexperte Jameel Jaffer von der Universität Columbia meinte dazu, der Deal gehe davon aus, dass Assange jahrelang im Gefängnis gesessen habe «für Aktivitäten, wie sie Journalisten jeden Tag ausüben». Das werfe «einen gewaltigen Schatten auf die wichtigsten Formen des Journalismus, nicht nur in unserem Land, sondern rund um die Welt».

Unterdessen war klar, dass Julian Assange erst einmal nur daran gelegen war, die traumatischen letzten Jahre hinter sich zu lassen. Sobald er in Australien sei, werde ihr Mann sich um eine offizielle Begnadigung durch den US-Präsidenten bemühen, berichtete Stella Assange.

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