«In meinem Restaurant dürfen Eritreer nicht über Politik reden»
Feiern, kämpfen oder schweigen? Der eritreische Nationaltag löst in der Gemeinschaft viel Unbehagen aus. Das zeigt der Blick in die Diaspora. Die Behörden warnen vor Gewalt.
«Ich bin hierhergekommen, um in Sicherheit zu leben»: Kafil Berhane wirtet im eritreischen Restaurant Filfl in Zürich. Das Thema Politik ist aufgrund des eritreischen Unabhängigkeitstags gerade wieder besonders aktuell.
Eier. Poulet. Chili. «Diese Zutaten sind in Eritrea das, was in der Schweiz Käse und Kartoffeln sind», sagt Kafil Berhane.
Der 44-Jährige führt im Zürcher Stadtteil Wiedikon das eritreische Restaurant Filfl. Hierher kommen vor allem Schweizerinnen und Schweizer, um Injera – das eritreische leicht säuerlich schmeckende Fladenbrot – mit Gemüse- und Fleischsaucen zu essen. Aber Berhane hat auch Eritreerinnen und Eritreer als Gäste. Und für sie hat der Wirt eine Regel: «In meinem Restaurant dürfen sie nicht über Politik reden.» Wenn er höre, dass an einem Tisch über politische Themen gesprochen werde, gehe er hin und weise sie auf diese Regel hin.
Das Thema Politik ist gerade wieder besonders aktuell. Am 24. Mai feiert Eritrea seine Unabhängigkeit und die Befreiung von Äthiopien. Ein aufgeladener Tag. Die eritreische Diaspora ist tief gespalten.
Das zeigten Schlägereien und Ausschreitungen der Vergangenheit. Auf der einen Seite die regimetreuen Eritreer, die Staatspräsident Isaias Afewerki dafür feiern, dass er das Land 1991 in die Unabhängigkeit führte. Auf der anderen Seite meist junge Eritreerinnen, die vor ihm geflüchtet sind, weil er zum Diktator wurde. Sie sehen in den Feierlichkeiten in erster Linie Propaganda.
In Berhanes Restaurant riecht es nach Weihrauch. An der Wand hängt die eritreische Flagge. Grün, rot und blau. Es ist die Flagge, mit der sich die regimetreuen Eritreerinnen identifizieren. Berhane erzählt, er habe als Freiheitskämpfer einst selbst für das heutige Regime gekämpft. Trotzdem will er heute – 22 Jahre nachdem er in die Schweiz gekommen ist – nichts mehr mit der eritreischen Politik zu tun haben. «Ich bin hierhergekommen, um in Sicherheit zu leben», sagt er.
«Ich unterstütze die jetzige Regierung»
Auch Yohannes Berhane kam der Sicherheit wegen in die Schweiz. Vor 34 Jahren. Mit dem Zürcher Wirt teilt er sich den Nachnamen, ist aber nicht mit ihm verwandt – und im Gegensatz zu Kafil Berhane positioniert sich Yohannes Berhane politisch.
Yohannes Berhane ist ein regimetreuer Eritreer und organisiert Feste für den Unabhängigkeitstag.
Der regimetreue Eritreer hat den Eritreischen Verein im Kanton Bern mitgegründet und organisiert jedes Jahr zum eritreischen Nationalfeiertag Feste. Zur Kritik der Regimegegner sagt er: «Wir machen keine Propaganda für Eritrea. Wir feiern unsere Unabhängigkeit und Kultur und wollen gleichzeitig eine Brücke zwischen Eritrea und der Schweiz bauen.» Die Feste zum 24. Mai hätten nichts mit der eritreischen Regierung zu tun. Alle seien willkommen.
Angesprochen auf die Diktatur in seinem Herkunftsland, meint Berhane, nicht alles in Eritrea laufe gut, aber er konzentriere sich nicht auf die «Schwierigkeiten», sondern auf die Zukunft des Landes. «Ich unterstütze mein Land und auch die jetzige Regierung, weil sie unsere Unabhängigkeit wahr gemacht und die letzten Jahrzehnte bewahrt hat.»
Auch dieses Jahr organisiert Yohannes Berhane Feste zum Unabhängigkeitstag. Aufgrund der Ausschreitungen in den letzten Jahren hat der eritreische Verein allerdings seine Strategie angepasst – in Zusammenarbeit mit den Behörden und der Polizei. So findet beispielsweise kein schweizweites Eritrea-Fest statt, damit die Menschenmenge überschaubar bleibe. Den Ort des Anlasses gebe man zudem erst am Tag davor bekannt – nicht so wie letztes Jahr mit Flyern über Facebook.
Polizeieinsatz samt Helikopter
Die Situation ist aufgeheizt. Die Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren (KKJPD) schrieb im April wegen des Unabhängigkeitstags einen Brief an die Gemeinden und Städte. Sie warnte explizit vor Gewalt. Im Hinterkopf waren die Ausschreitungen der vergangenen Monate, zum Beispiel in Opfikon ZH und Gerlafingen SO. Mit Holzstöcken und Eisenstangen gingen die beiden Lager da aufeinander los, es gab Verletzte und Polizeieinsätze samt Helikopter und Gummischrot.
Ein Helikopter der Rega musste kommen, dazu ein Grossaufgebot der Polizei. In Opfikon kam es zu einer Massenschlägerei in der eritreischen Diaspora.
Das Ausmass war so irritierend, dass Justizminister Beat Jans einen Appell an die Eritreer richtete: «Hört auf, eure politischen Konflikte in der Schweiz gewalttätig auszutragen.»
Spätestens jetzt war der Konflikt im ganzen Land angekommen – und nicht wenige fragten sich: Wie kann es sein, dass Geflüchtete sich gegenseitig bekämpfen?
Am Anfang war ein Krieg. Drei Jahrzehnte lang kämpfte Eritrea gegen Äthiopien, den übermächtigen Nachbarn. Rebellenführer Isaias Afewerki und seine Truppen siegten. Am 24. Mai 1991 zog er in die Hauptstadt Asmara ein.
Äthiopien war bezwungen, Eritrea unabhängig, Afewerki der neue Präsident und Nationalheld. Seither gilt in Eritrea der 24. Mai als Unabhängigkeitstag.
Der Krieg mit Äthiopien brach 1998 erneut aus. Afewerki rief darauf einen unbefristeten Militärdienst ins Leben. Menschenrechtsorganisationen bezeichnen diesen National Service als moderne Sklaverei. Es ist nicht die einzige Kritik. Es gibt keine Wahlen, keine freien Zeitungen, keine unabhängigen Gerichte. Der heute 78-jährige Afewerki, der anfänglich als Reformer galt, schloss Universitäten und liess Kritiker ohne Verfahren in Gefängnissen verschwinden.
Darum flüchten die Menschen aus dem Land, auch in die Schweiz. 2023 lebten 43’357 Eritreerinnen und Eritreer hier. Die Spannungen in der Diaspora sind nicht neu, doch sie haben in den vergangenen Jahren zugenommen. Zum Beispiel durch Überwachungsmethoden, wie mehrere befragte Eritreer berichten.
Von Spionen ist die Rede, von Einschüchterungen an den Wohn- oder Arbeitsorten auch. Und sie berichten von Repression bis ins Heimatland, so seien dort Verwandte von Schweizer Regierungsgegnern aufgesucht und zum Teil verhaftet worden. «Die Unterdrückungsmethoden des Regimes sind härter geworden», sagt Shalom Habte, Sprecher des eritreischen Medienbunds, der die eritreische Diaspora in der Öffentlichkeit vertreten will und eher regimekritisch ist. Er blicke darum mit grosser Sorge auf den Unabhängigkeitstag.
Doch es gibt in der eritreischen Diaspora auch Menschen, die den Konflikt zwischen den beiden Lagern besänftigen wollen. Samuel Okubay zum Beispiel. Der 25-jährige Sanitär-Installateur organisiert Fussballspiele, 13 eritreische Mannschaften machen mit, über 350 Menschen treffen sich regelmässig.
Samuel Okubay versucht mit Fussballspielen die Diaspora zu einen.
Ziel sei es, dass man miteinander spreche und sich helfe, zum Beispiel in beruflichen Dingen, sagt Okubay. «Ich wollte aber auch zeigen, dass es auch Anhänger und Gegner miteinander gut haben können.» Das mache ihn stolz.
Er ist 2015 in die Schweiz geflüchtet und Regimegegner. Doch er akzeptiere andere Meinungen. Den Unabhängigkeitstag sei einerseits eine gute Sache. «Man soll glücklich sein, dass Eritrea an diesem Tag unabhängig wurde.» Andererseits stimme es ihn auch traurig, denn so richtig frei sei sein Land noch immer nicht. Feiern werde er nicht. Er spielt am Wochenende Fussball.
Okubay organisiert nicht nur Spiele, sondern versucht auch, aktiv Gewalt zu verhindern. Es werfe schliesslich jedes Mal ein schlechtes Bild auf seine Landsleute. Wenn er von einem sogenannten Kulturfestival erfahre, dann gebe er die Informationen an die Polizei weiter, damit es gar nicht erst zu Ausschreitungen komme. Etwas, das auch Shalom Habte und seine Kolleginnen beim eritreischen Medienbund machen.
Okubay erzählt, wie er und seine Kollegen alleine im März fünf Anlässe der Regierungsbefürworter verhindert hätten. Manchmal seien diese nur eine Stunde vor Türöffnung in den sozialen Medien öffentlich geworden, sagt er. Manche Anlässe werden zudem auch als Geburtstags- oder Hochzeitsfeiern getarnt. Und: Beide Lager hätten im anderen Lager Spitzel, um von Anlässen zu erfahren. Und so kann es immer dazu kommen, dass Treffen von Eritreern von der Polizei aufgelöst werden. Das führt in beiden Lagern der Diaspora zu Frust.
Wie dieses Katz-und-Maus-Spiel funktioniert, zeigte sich am vergangenen Wochenende in Zürich. Oppositionelle wollten eine Trauerfeier abhalten, die Regierungsbefürworter erfuhren davon und meldeten der Polizei, dass sich in Zürich-Affoltern Hunderte Eritreer treffen wollen. Weil der Anlass unbewilligt war, verhinderte diesen die Polizei, indem sie die Leute wegwies. Das Gewaltpotenzial sei zu gross gewesen.
So sieht das Fladenbrot Injera mit verschiedenen Saucen aus. Wirt Kafil Berhane in seinem Restaurant Filfl.
Im Restaurant Filfl in Wiedikon bewirtet Kafil Berhane am Mittwochabend vor dem eritreischen Nationalfeiertag wie jeden Abend seine Gäste. In bunten Körben serviert er ihnen seine Gerichte. «Bitteschön», sagt er. Und zündet die Kerze auf dem Tisch an.
Berhane wohnt mit seiner Frau und den beiden Töchtern nur fünf Minuten vom Lokal entfernt. Als er in die Schweiz kam, arbeitete er zunächst im Glacierexpress als Serviceangestellter. Seit fünf Jahren führt er nun seine eigene Beiz – er sei fast immer hier, sagt die Tochter.
Auch am Nationalfeiertag wird er hier sein. «Wir haben normal geöffnet.» An ein Eritrea-Fest geht Kafil Berhane nicht. Aber ein kleines Ritual pflegt er am 24. Mai trotzdem: Am Morgen des Nationalfeiertags schaltet er mit seiner Familie einen eritreischen Fernsehsender an. Nur kurz. Da werde dann zum Befreiungstag gratuliert. Danach müsse er im Restaurant arbeiten. Ein Tag wie jeder andere.
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