«60 Prozent der Bührle-Bilder stammen von jüdischen Sammlern»

Raphael Gross evaluierte die umstrittenen Werke der Sammlung Bührle. Hier spricht er über die Mängel der Herkunftsangaben und seine Empfehlungen für das Kunsthaus Zürich.

«60 prozent der bührle-bilder stammen von jüdischen sammlern»

Raphael Gross hat im Auftrag der Zürcher Kunstgesellschaft sowie von Stadt und Kanton Zürich die Provenienzforschung der Bührle-Stiftung evaluiert.

Herr Gross, darf die Bührle-Sammlung im Kunsthaus bleiben oder muss sie gehen?

Das ist eine politische Frage. Das liegt ausserhalb meines Mandats zur Überprüfung der Provenienzforschung der Bührle-Stiftung. Es sind ja riesige Vermögenswerte, über die wir da reden. Was die Kunstgesellschaft oder die Stadt damit machen, dazu gebe ich keine Empfehlung ab. Ich zeige nur einen Weg, wie man die Sammlung so überprüfen kann, dass sie am Schluss nur noch Bilder umfasst, die nicht als NS-verfolgungsbedingte Verluste bezeichnet werden können.

Die bisherige Provenienzforschung reicht nicht?

Nein, sie reicht nicht. Das muss viel sorgfältiger und genauer gemacht werden. Das ist jetzt Aufgabe der Kunstgesellschaft. Sie muss darüber hinaus auch ein Gremium schaffen, das Empfehlungen abgibt, was mit den Bildern geschehen soll, die aus jüdischem Vorbesitz stammen. Dafür braucht es ein Prüfschema, das es bislang in der Schweiz noch nicht gibt. Und dann braucht es ein Gremium, das die Bilder gemäss diesem Schema beurteilt und Empfehlungen abgibt betreffend Rückgabe oder das für eine «faire und gerechte Lösung» votiert, gemäss Washingtoner Erklärung von 1998 und ihren Folgeerklärungen.

Von wie vielen Bildern reden wir?

Von den 205 Bildern, die die Bührle-Stiftung im Kunsthaus als Leihgabe ausgestellt hat, stammen mehr als die Hälfte von jüdischen Sammlerinnen und Sammlern. Das ist ein riesiger Anteil von 60 Prozent, der auch bei den von Bührle 633 insgesamt erworbenen Bildern ähnlich sein dürfte, da sie ja alle unter ähnlichen Umständen erworben wurden. Etwa 59 von diesen 132 Bildern wurden zwischen 1933 und 1945 gehandelt, oft waren dabei auch jüdische Händler involviert. Aber wir waren sehr vorsichtig dabei, die Anzahl wirklich problematischer Bilder festzulegen. Dafür ist die Forschung noch nicht weit genug. Es sind jedenfalls wesentlich mehr jüdische Vorbesitzer der Jahre 1933–45 von uns festgestellt worden, als sich in der Forschung der Bührle-Stiftung finden.

Warum braucht es ein neues Kategorisierungssystem?

Wir haben bereits ein Ampelsystem für die Provenienzforschung, das vom Kunstmuseum Bern und vom Kunsthaus Zürich verwendet wird. Dieses System hat aber noch keine Rechtsfolge. Dafür wäre ein juristisches Prüfschema hilfreich, das noch entwickelt werden muss. Welche Bedingungen müssen gegeben sein, damit ich ein Bild zurückgebe? Welche müssen gegeben sein, damit ich eine faire und gerechte Lösung suchen muss? Darüber müssen wir uns Klarheit verschaffen, bevor wir Empfehlungen abgeben.

«60 prozent der bührle-bilder stammen von jüdischen sammlern»

Diskussion der Herkunftsgeschichte von Vincent van Goghs «Kopf einer Bäuerin» durch Raphael Gross. Auf dem Podium links Felix Uhlmann, Delegierter der auftraggebenden Zürcher Kunstgesellschaft sowie von Stadt und Kanton Zürich.

Warum braucht man neben der geplanten «unabhängigen Kommission für historisch belastetes Kulturerbe» auf Bundesebene auch noch ein ähnliches Gremium für das Kunsthaus Zürich?

Zum einen haben wir die «unabhängige Kommission» noch gar nicht. Zum anderen ist die Kunstgesellschaft in juristischem Sinne ja nicht Eigentümerin der Bührle-Bilder, sondern nur Besitzerin. Trotzdem muss sie entscheiden, weil sie sich Standards gegeben hat, was die Provenienzforschung betrifft. Sie kann diese Entscheidung – zumindest im Moment – nicht nach aussen delegieren.

Was halten Sie davon, dass die Bührle-Stiftung vor zwei Wochen fünf Bilder im Kunsthaus abgehängt hat und nun eine faire und gerechte Lösung sucht? Ist das nicht eine unnötige Zweigleisigkeit?

Die Bührle-Stiftung hat laut Leihvertrag eigentlich kein Recht, die Bilder abzuhängen. Sie tat es trotzdem – offenbar hat das Kunsthaus zugestimmt. Ich weiss auch nicht, ob sie für die betreffenden Bilder neue Provenienzforschungen gemacht hat. Jedenfalls sagt sie dazu nichts in ihrer Presseerklärung. Aber ich möchte das nicht weiter kommentieren.

Was kritisieren Sie an der Provenienzforschung der Bührle-Stiftung?

Methodisch ist die Provenienzforschung der Bührle-Stiftung mangelhaft. Sie spricht von elf Kriterien, die auf die Bilder angewendet worden sind, dabei handelt es sich aber nur um nachträglich erstellte Fallgruppen, die bestimmte Bilder – etwa mit ähnlichen Herkünften – zusammenfassen. Die Bührle-Stiftung sortiert ihre 205 Bilder in die Kategorien A und B ein und geht davon aus, dass weder die Kategorien A noch B weiter erforscht werden müssen. Da kommen wir zu einem ganz anderen Ergebnis.

«60 prozent der bührle-bilder stammen von jüdischen sammlern»

Jean-Baptiste Greuze: «Laurent Pécheux».

Ein Beispiel?

Bei einem Bild wird von der Bührle-Stiftung global behauptet, dass es sich nie im Machtbereich der Nazis befunden habe. Bührle hat das Bild «Laurent Pécheux», das Jean-Baptiste Greuze zugeschrieben wird, 1941 in Paris gekauft. Also zu einem Zeitpunkt, als Paris bereits von den Nazis besetzt war. Seine Händler konnten das Bild aber nicht in die Schweiz bringen. Darum haben sie es zufällig, über einen für Hermann Göring tätigen Kunsthändler in dessen Ansitz in Carinhall gebracht. Von dort kam es im Diplomatengepäck dann 1944 nach Zürich zu Emil Bührle. Die Stiftung Bührle hatte diese Informationen, hat sie aber nicht richtig angewandt.

Oder ganz einfach unterschlagen?

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