Russland: Der Krieg in der Ukraine erreicht Moskau

russland: der krieg in der ukraine erreicht moskau

Zeichen des Krieges: Das russische Verteidigungsministerium zeigt in Moskau in der Ukraine erbeutete Waffen – auch solche aus dem Westen.

Langsam wird der Krieg auch in Moskau sichtbar. Früher wirkten die Ukrainekämpfer, die hier vielleicht auf der Durchreise Station machten, wie Fremdkörper im Hauptstadttreiben, als düstere, etwas verwahrloste Boten von der Front. Dieser Tage führen junge, stolze Soldaten ihre Frauen aus, als spürten sie den sozialen Aufstieg, den Präsident Wladimir Putin ihnen versprochen und sie zur „neuen Elite“ erklärt hat.

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Ein deutscher Panzer im Juni in einer Ausstellung westlicher Beutewaffen in Moskau

Einer dieser jungen Anführer sitzt an einem Sonntag in Uniform auf einer Bank im vor Besuchern übervollen Gorki-Park an einem Teich. Nebenan animiert eine Pfingstrosenschau zu Selfies, es riecht nach Blumen und Sommer. Der Soldat trägt einen kreuzförmigen Orden auf der Brust. Neben ihm sitzt eine junge Frau im altmodischen, bodenlangen Sommerkleid, er erklärt ihr etwas, sein Blick mustert die Umgebung, selbstbewusst, herausfordernd. An großen Straßen und Bushaltestellen blicken weitere Soldaten von Plakaten, werden als Kriegshelden gefeiert.

Doch ringsum feiern Menschen in Zivil sich und den Sommer, als wäre alles ganz normal. Junge rasen auf Elektrorollern und Waveboards umher, Ältere führen Hunde aus. Boten liefern Sushi, Kaffee, Einkäufe aus, und im Stadtteil Chamowniki in einer Schleife des Flusses Moskwa, wo der IT-Konzern Yandex sitzt, übernehmen das auch dessen kleine Roboterfahrzeuge, neben denen man an der Ampel wartet.

Im Krieg sind die Arbeitskräfte knapp

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Besucher einer Ausstellung westlicher Beutewaffen im Juni in Moskau

Technisch liegt Moskau längst weit vor westlichen Metropolen. Bar zahlen nur noch Gestrige. Wer Geld hat, nicht zum Militär eingezogen wird – das Risiko ist in der Hauptstadt geringer als andernorts – und natürlich nicht die Politik kritisiert, kann hier immer noch bestens leben, an den lauen Sommerabenden zum Beispiel spanischen oder französischen Weißwein trinken. Der kommt problemlos ins Land, mittlerweile sanktionsbedingt mit Umladung an der Landesgrenze.

Viele Eltern, die noch die Sowjetunion miterlebt haben, sind besorgt um ihre Söhne, die theoretisch jederzeit ins Wehrersatzamt einbestellt werden können, demnächst auch „elektronisch“ über das Online-Staatsserviceprofil Gosuslugi. Manche haben sich auf jüdische, deutsche, lettische oder andere Wurzeln besonnen, haben sich für alle Fälle Aufenthaltstitel oder Pässe besorgt. Sie überlegen, wie sie ihr Geld ins Ausland schaffen können, in bar oder über Konten in mehr oder weniger neutralen Ländern wie Kirgistan, Kasachstan, Armenien. Manche reden auf ihre Söhne ein, es ihnen gleichzutun, sich abzusichern, falls doch ein Einberufungsbefehl kommt, eine neue Welle der Mobilmachung, ein Ausreisestopp.

Auch Dmitrijs Eltern reden ihm so zu. Aber der Mittzwanziger, der in Wirklichkeit anders heißt, genießt sein Leben in Moskau mehr denn je. Arbeitskräfte sind im Krieg knapp geworden, Dmitrijs Produktionsfirma hat ihm daher das Gehalt erhöht, um ihn zu halten. Vom Russland der Straflager, der Gewalt, des Krieges, das seine Eltern fürchten und wieder im Eiltempo entstehen sehen, hat er keine Vorstellung. Politik war für ihn immer wie von einem anderen Stern. Die Unkenrufe von exilierten Ökonomen, Politologen, Oppositionellen erreichen Leute wie Dmitrij nicht. „Warum sollte ich weggehen“, sagt er seinen Eltern, „in Moskau ist es doch wunderbar?“ So ist es, blendet man aus, was man ohnehin nicht ändern kann.

Beutestücke aus dem Westen werden zur Schau gestellt

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Eine Drohne in einer Ausstellung westlicher Beutewaffen im Juni in Moskau

Am Eingang zum „Park des Sieges“, dem von 1945, sollen dagegen die Massen in Putins Sinne politisiert und auf neue Siege eingeschworen werden, jetzt solche über die Ukraine und den Westen. Hier wird seit Anfang Mai in der Ukraine erbeutetes, westliches und ukrainisches Militärgerät ausgestellt, Panzer, Haubitzen, Mannschaftswagen, Granatwerfer, Handfeuerwaffen. Und die Massen strömen herbei. Vor Kurzem zeichnete das Verteidigungsministerium einen Mann aus der Stadt Pensa mit einer Urkunde als angeblich einmillionsten Besucher aus. Er war angeblich selbst schon zu vier Einsätzen in Putins „militärischer Spezialoperation“ oder „SWO“ in der Ukraine und wollte nun seiner Frau und seinen beiden Söhnen zeigen, „womit wir es da zu tun haben“. Die Ausstellung „Beute der Armee Russlands“ ist verlängert worden, mindestens bis Ende Juni.

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Was ist mit den Besatzungen passiert? darauf gab es in der Ausstellung keine Antwort.

An einem schwülen Nachmittag ballen sich im Westen dunkle Wolken zusammen, aber Besucher kommen in ganzen Familien. Der Eintritt ist frei, nur eine Frau wird an den Metalldetektoren am Eingang abgewiesen, wegen ihres Hundes, die dürfen nicht hinein. „Ein Albtraum“, seufzt die Frau. „Geschichte wiederholt sich“ steht auf einem Zelt, das einen alten Marder II vor Regen schützt, eine Panzerjäger-Selbstfahrlafette, die laut Erklärschild im Zweiten Weltkrieg von den Deutschen erbeutet wurde. Gleich dahinter, ohne Schutzzelt, steht ein angeblich vor einem Jahr im südukrainischen Gebiet Saporischschja erbeuteter Marder-Schützenpanzer.

Den Russen soll der aktuelle Krieg als Verteidigung gegen Wiedergänger der Nationalsozialisten erscheinen, als Fortsetzung des Krieges, den ihre Sowjetunion vor 79 Jahren gewann. Auf einer Anzeigetafel steht im Wechsel auf Russisch, Englisch, Französisch und Deutsch, dass die „Sponsoren der Ausstellung“ die USA, Deutschland, Schweden, Österreich, Großbritannien, Frankreich, Finnland und Australien seien, und der „Hauptsponsor“ die Ukraine. Ja, sogar Österreich ist hier vertreten, mit dem Pinzgauer 712M, einem nach einem Rind benannten, schmalen Militärlastwagen für schweres Gelände; vergleichsweise harmlos sieht das Beutestück aus.

Fragt man die Besucher hier, was sie empfinden, wenn sie etwa vor dem erbeuteten deutschen Leopard-, dem zerstörten amerikanischen Abrams- oder dem ukrainischen T-72-Panzer stehen, sprechen sie vom „Stolz auf unsere Jungs“ wie der ältere Mann aus Tambow, der beruflich in Moskau zu tun hat, oder vom „Stolz auf unsere Heimat“ wie der jüngere Moskauer, der seinen beiden Söhnen gerade die erbeuteten Javelin-Panzerabwehrwaffen zeigt. Solche stoppten bald nach dem Überfall von 2022 den russischen Sturm auf Kiew – der freilich laut einer jüngsten Aussage Putins gar nicht als solcher geplant gewesen sei, sondern als „Operation, um das ukrainische Regime zum Frieden zu zwingen“.

Vielleicht mit Rücksicht auf die zahlreichen Kinder unter den Besuchern werden zwar Aufnahmen gezeigt, wie die Feindfahrzeuge durch Drohnen vernichtet werden, aber keine Bilder toter ukrainischer Soldaten. Eigene Verluste an Menschen und Material spielen überhaupt keine Rolle. Viele Besucher, Männer zumeist, fachsimpeln mit den ordensbehängten Soldaten, die vor den Exponaten Dienst tun – so vor dem Abrams, wo ein Soldat die Schwachstellen dieser Panzer beschreibt – über die Stellen, wo ein Angriff besonders lohnt.

Stellt man den Soldaten Fragen, schildern sie, dass die Technik des Feindes gut sei, aber eben nicht gut genug gegen die russischen Streitkräfte, mit der Putin-Botschaft, dass der Sieg unausweichlich sei. Auf die Frage, was mit der Besatzung des Wracks eines Bushmaster-Mannschaftswagens geschehen sei, den die Ukraine von Australien erhielt, sagt einer der jungen Soldaten, die sei „vernichtet“ worden; die Frage, wie viele Menschen dabei umgekommen seien, will er nicht mehr beantworten.

Von Westen, ungefähr aus der Richtung, wo Putins Hauptresidenz liegt, dröhnt ein Donnerschlag. Aber noch stehen die Besucher in Scharen geduldig Schlange vor dem Zelt mit erbeuteten Funkgeräten, Pistolen, Sturmgewehren, Minen. Ein Soldat in Paradeuniform, über und über mit Orden behängt, schreitet mit einer jungen Frau im luftigen schwarzen Kleid an seiner Seite an der Schlange vorbei durch den Ausgang ins Zelt, auch er in Triumphpose, er muss nicht anstehen, niemand beschwert sich. Doch mit einem Mal bricht das Gewitter richtig los, es blitzt und donnert. Ein gewaltiger Regen geht nieder, es stürmt, die Menschen in der Schlange rennen, stürmen ungeordnet ins Zelt, zusammen mit Polizisten und Soldaten verschiedener Einheiten und einer alten Frau, die sich ebenfalls Orden an den feldgrünen Kittel gehängt hat. Der Regen donnert auf das Zelt mit Kriegsbeute und Besuchern, und erst als er etwas nachlässt, eilen die Menschen zur nächsten U-Bahn-Station, in Richtung des Triumphbogens, der an den Sieg über Napoleon 1812 erinnert.

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Ein Kriegsversehrter sammelt für eine neue Prothese

Doch sogar in Moskau kann man eine Szene erleben, die an frühere, überwunden geglaubte Zeiten erinnert, als Invaliden etwa aus den Tschetschenienkriegen auch in der Hauptstadt um Almosen bettelten. Sie verschwanden, wurden vertrieben. Aber eines Nachmittags sitzt gleich neben einem bei jungen Moskauern beliebten Sneakergeschäft am zen­tralen Boulevardring ein Mittdreißiger in Militäruniform auf einer Bank ohne Rückenlehne. In dem Geschäft gibt es alle westlichen Turnschuhmarken, sogar in Exklusiveditionen, dem Mann fehlt der rechte Unterschenkel. Das Bein hat er ausgestreckt und eine Krücke neben sich.

Die meisten Passanten gehen achtlos vorüber, junge Leute schauen sich die Turnschuhe an. Aber zwei Frauen bleiben stehen, lesen das Schild, das der Mann aufgestellt hat. Darauf stehen eine Telefonnummer und die Bitte zu spenden, bar in seine Aluminiumtasse oder auf das mit der Nummer verknüpfte Konto, für die Behandlung. Auch ein Foto des Mannes inmitten von Ruinen steht da, in Uniform, vor der Verwundung. Eine der Frauen zückt ihr Smartphone und spendet, denn das geht per App.

Es beginnt wieder zu regnen, der Invalide auf der Bank zieht seine Kapuze über den Kopf und zündet sich eine Zigarette an, seine Finger sind gelb vor Nikotin. Er will erst nicht erzählen und tut es dann doch. Mit Deutschen habe er kein Problem, der Ukraine helfe ja nur die deutsche Regierung, er habe Verwandte in Deutschland. Er komme aus Stawropol im Kaukasus, habe seine Schwester schon 2014 in Donezk verloren, durch einen Luftangriff der Ukrainer, erzählt er. So sei die „SWO“ für ihn „etwas Persönliches“ gewesen, die Gelegenheit, „etwas zu tun“.

Vor einem Jahr sei er dann nahe Donezk verwundet worden, bei Beschuss durch Minenwerfer. Jetzt fehlt sein Unterschenkel und die Prothese drückt; etwa alle dreißig Sekunden verzieht der Invalide das Gesicht vor Schmerz. Er kriege Unterstützung, erzählt er, aber sie reiche nicht, daher arbeite er als Kurier mit Elektroroller und komme immer wieder aus seiner Wohnung im Moskauer Umland hierher, um für eine bessere Prothese zu sammeln.

Vor ihm auf der Straße stauen sich Autos, darunter Limousinen, britische, deutsche, russische. Der Invalide auf der Bank im glitzernden Stadtzentrum: Da ist er doch, der Fremdkörper, der an den Krieg erinnert. Was denkt er, wenn die Limousinen so an ihm vorbeifahren? „Jeder auf seine Weise“, antwortet der Versehrte. „Wer es nicht in sich trägt, zu kämpfen, soll es lieber bleiben lassen, sonst gefährdet er nur sich und seine Kameraden.“ Der Regen wird stärker, die Zigarette ist aus. Aber der Mann bleibt sitzen.

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