Zusammen wachsen
Leitartikel
Zusammen wachsen
Fans der türkischen Mannschaft feiern ihr Team vor und nach den Fußballspielen der Europameisterschaft im und außerhalb des Stadions.
Dieses EM-Fest sagt auch einiges über die Erfolge der Integration aus. Wenn die AfD dem Team abspricht, eine Nationalmannschaft zu sein, stellt sich die miesepetrige Rassistentruppe damit ins Abseits. Der Leitartikel.
Bei dieser Europameisterschaft in Deutschland haben gleich zwei Nationalmannschaften Heimspiele: das deutsche Team natürlich, aber auch das türkische. Die deutsche Nationalmannschaft hat sich vor begeisterten Fans mit schwarz-rot-goldenen Flaggen ins Achtelfinale gekickt. Nun hat sich im Hamburger Volksparkstadion auch das Türkiye millî futbol takimi vor einer roten Wand mit Halbmond und Stern unter die letzten 16 Teams gekämpft. Deutsche, Deutschtürken und Türken feiern gleichermaßen, wenn auch bislang eher parallel als gemeinsam. Dennoch sagt dieses EM-Fest auch einiges über die Erfolge der Integration aus.
Am sichtbarsten sind diese Erfolge an der Spitze des deutschen Teams: Ilkay Gündogans Großvater kam einst als Bergmann aus der Türkei ins Ruhrgebiet, heute wird der Enkel als Kapitän der Mannschaft für seine Leistungen für Deutschland auf dem Fußballplatz gefeiert. Wenn AfD-Politiker wie Maximilian Krah dem Team absprechen, überhaupt noch eine Nationalmannschaft zu sein, stellt sich die miesepetrige Rassistentruppe damit selbst ins Abseits.
Nicht nur in den Stadien, auch in den Städten zeigt sich, dass die Integration der türkischstämmigen Mitbürgerinnen und Mitbürger in weiten Teilen längst vollzogen ist. Auf den Gehsteigen vor Kebap-Buden jubeln Fans, wenn die türkische Mannschaft auf dem Großbildschirm Tore schießt, und niemand nimmt daran Anstoß.
Die türkischen Autokorsos sind sicherlich nicht jedermanns Geschmack, besonders tragisch ist, wenn dabei – wie nun in Berlin – ein Fußgänger bei einem Unfall tödlich verletzt wird. Prinzipiell gilt aber: Auf den Straßen feiern sowohl Fans der türkischen als auch der deutschen Mannschaft friedlich.
Wie sehr sich auch der Staat inzwischen um die Integration von Menschen mit Migrationshintergrund bemüht, lässt sich am neuen Staatsangehörigkeitsgesetz ablesen, das seit Donnerstag in Kraft ist. Einbürgerung soll nun schneller gehen, Mehrstaatigkeit wird generell zugelassen. Damit kommt die Bundesregierung auch jenen Türkinnen und Türken entgegen, die schon lange hier leben und gerne die deutsche Staatsbürgerschaft annehmen würden, die sich aber scheuen, ihren türkischen Pass abzugeben.
Welchen Weg Deutschland beim Staatsangehörigkeitsrecht zurückgelegt hat, zeigt ein Blick in die Vergangenheit: Noch bis 1974 zählte für neugeborene Kinder hierzulande nur die Nationalität des Vaters, nicht aber die der Mutter. War die Mutter Deutsche, der Vater aber beispielsweise Türke, hatte das Kind keinen Anspruch auf einen deutschen Pass.
Bei allen Erfolgen beim Fußball und beim gesellschaftlichen Miteinander darf man sich aber keinen Illusionen hingeben: Die deutsch-türkischen Beziehungen werden auch nach der Europameisterschaft schwierig bleiben, das Verhältnis zu Präsident Recep Tayyip Erdogan ebenso. In der Vergangenheit hat Fußball die bilateralen Beziehungen eher belastet: Erinnert sei an das Foto mit Gündogan, Mesut Özil und Erdogan, als die beiden Fußballer dem Präsidenten Trikots überreichten.
Dass es auch bei der Integration noch Probleme gibt, zeigt sich an der großen Unterstützung für Erdogan unter Deutschtürken – die oft ihn, nicht aber Frank-Walter Steinmeier als ihren Präsidenten sehen. Viele von ihnen feiern seine Siege nicht weniger frenetisch als die ihrer Nationalelf.
Vom weiteren Verlauf der Europameisterschaft könnte schließlich abhängen, wie lange Fans der türkischen und der deutschen Mannschaft noch friedlich nebeneinander feiern. Ein Finale, bei dem Deutschland und die Türkei gegeneinander antreten, möchte man sich jedenfalls lieber nicht vorstellen. Dann könnte die Party ein jähes Ende finden.