Bahnstrecke Berlin-Hamburg gesperrt: Über diese Betroffenen spricht kaum jemand
Im Rangierbahnhof Maschen bei Hamburg wartet ein Güterzug auf grünes Licht. Auf der Strecke Hamburg-Berlin sind nicht nur ICE-Züge unterwegs, dort wird auch viel Fracht transportiert.
Auf die Bahnfahrgäste zwischen Berlin und Hamburg kommt einiges zu. Bis 2026 führen monatelange Sperrungen dazu, dass der Fahrplan ausgedünnt wird und Reisende länger unterwegs sind. Doch es gibt auch eine Gruppe von Bahnnutzern, die ebenfalls unter diesen und anderen Unterbrechungen leidet – in der öffentlichen Debatte aber kaum vorkommt. Die Großbaustellen bei der Bahn machen auch Güterzugbetreibern und ihren Kunden aus der Wirtschaft zu schaffen. Nun schlägt der Branchenverband NEE Alarm.
NEE – das bedeutet: Netzwerk Europäischer Eisenbahnen. Die Güterbahnen: So nennt sich der in Berlin ansässige Verband inzwischen auch. Verbunden mit dem Slogan: „Weil Gut auf der Schiene besser ist.“ Die mehr als hundert Mitglieder bemühen sich, trotz immer höherer Trassenkosten und anderer ungünstiger Rahmenbedingungen ihren Frachtkunden einen guten Service zu bieten. Doch Großbaustellen wie auf der Riedbahn zwischen Frankfurt und Mannheim oder auf der Hamburger Bahn zwischen Berlin und Hamburg machen ihnen die Arbeit schwer – und das Wirtschaften.
Henri Hessing ist Referent beim NEE. Er zeigt auf, was die Sperrungen auf der Hamburger Bahn bedeuten. Wie berichtet wird die Verbindung vom 16. August bis 14. Dezember 2024 unterbrochen. Die Zwangspause im kommenden Jahr soll noch länger dauern: vom 1. August 2025 bis 30. April 2026. „Die Sanierung der Strecke ist dringend erforderlich“, so Hessing, „doch sie wirkt sich in vielerlei Hinsicht negativ auf den Güterverkehr aus. Es drohen weite Umwege und erhöhte Betriebskosten.“ Zumal die Unterbrechungen insgesamt rund acht Monate länger dauern als anfangs angekündigt.
Ein ICE mit dem Ziel Hamburg-Altona am Berliner Hauptbahnhof. Ab Mitte August 2024 werden die Züge über Stendal umgeleitet. Die Fahrzeit pro Weg verlängert sich laut Fahrplan auf rund zweieinhalb Stunden.
Dabei ist klar: Die Strecke zwischen den beiden größten Städten Deutschlands wird gebraucht – nicht nur für den Reiseverkehr. Der 278 Kilometer lange Abschnitt zwischen Berlin-Spandau und Hamburg-Rothenburgsort, der 2025/26 gesperrt wird, gilt laut Bahn als zu 120 Prozent belastet. Vor den Verkehrsknoten seien es sogar 148 Prozent.
„Der Korridor ist von außerordentlicher Relevanz für den Schienengüterverkehr“, bekräftigt Hessing. Zwischen dem Hamburger Hafen und Ländern wie Tschechien und Polen ist viel Fracht unterwegs. Nicht weniger als 117 Eisenbahnverkehrsunternehmen sind auf der Hamburger Bahn tätig, laut Bahn rollten dort im vergangenen Jahr im Schnitt 90 Güterzüge pro Tag. Der Warenstrom wird nicht deshalb versiegen, weil die Deutsche Bahn (DB) ihre Infrastruktur erneuert. Deshalb geht der Verband davon aus, dass die Güterzüge weiter rollen werden – allerdings auf Umfahrungen. „Der Umleiterbedarf wird als hoch eingeschätzt“, berichtet Hessing. Doch hier tauchen die Probleme auf.
Denn die Kapazität der Umleitungsstrecken wird als „besonders niedrig bewertet“, so der Referent. An erster Stelle steht die Verbindung zwischen Stendal in Sachsen-Anhalt und Uelzen in Niedersachsen. Sie ist zwar die kürzeste Umleitung auf dem Weg von Berlin nach Hamburg, doch fast überall eingleisig – obwohl Experten seit Jahren fordern, endlich das zweite Streckengleis zu bauen. Und sie ist bereits durch zusätzliche Reisezüge gut ausgelastet, denn dort werden auch die ICE Berlin – Hamburg verkehren.
Deshalb sieht das bisherige Konzept der Bahn für den Güterverkehr auch großräumigere Umfahrungen vor, etwa über Verden, Neustrelitz, Magdeburg und Brandenburg an der Havel. Das Umlegen der Verkehre führe auf den Umleitungsstrecken „teilweise zu hohen Auslastungen, die eine mangelhafte Betriebsqualität bedeuten“, räumt die Bahn in einer Präsentation ein. Für vier Streckenabschnitte gebe es schon Überlastungserklärungen, etwa zwischen Wustermark und Rathenow westlich von Berlin. Hinzu kämen fünf Teilstücke, die dann als temporär überlastet gelten wie Oranienburg – Birkenwerder.
„Aktuell gibt die für die Infrastruktur zuständige Bahntochter DB InfraGO an, dass alle Güterzüge auf den dafür vorgesehenen Strecken umgeleitet werden können“, sagt Hessing. Doch die Auswirkungen seien erheblich. Sofern es keine weiteren Störungen gebe, seien bis zu drei Stunden zusätzliche Fahrzeit einzuplanen, erklärt er. Ein Beispiel: „Während der Sperrpausen verlängert sich der Laufweg gegenüber der 267 Kilometer langen regulären Strecke Laufweg über Wittenberge um bis zu 195 Kilometer.“
Von einer Brücke am Bahnhof Elstal schweift der Blick über den einstigen Verschiebebahnhof westlich von Berlin, heute das Rail & Logistik Center Wustermark. Dorthin werden Güterkunden aus Nauen ausweichen müssen.
Der Mehraufwand wirkt sich auf die Kosten aus. Immerhin: Für die zusätzlichen Kilometer, die im Vergleich zum üblichen Laufweg entstehen, fielen in den meisten Fällen keine zusätzlichen Trassenpreise an. Doch beim NEE verweist man auf den höheren Energieverbrauch, zusätzliche Personalkosten und höhere Fixkosten je Zugkilometer, wozu etwa der zusätzliche Fahrzeugverschleiß beiträgt. Insgesamt geht der Verband von Mehrkosten in Höhe von 16,08 Euro pro Kilometer aus. Wobei das Ganze derzeit ein Stochern im Nebel sei: Denn im Gegensatz zu anderen Projekten, bei denen sich die DB InfraGO kooperativ verhielt und brauchbare Daten für die Berechnung der Mehrkostenlieferte, sei das für Berlin – Hamburg nicht der Fall, kritisierte Hessing.
Damit nicht genug: Auch beim Thema Information fühlten sich Verbandsmitglieder allein gelassen, berichtete der Referent. „Eine große Informationsveranstaltung, die für den 3. Juni angesetzt war, wurde um rund einen Monat auf den 28. Juni verschoben. Die Begründung lautete: Für die Aufbereitung der Daten benötigen wir noch etwas mehr Vorbereitungszeit, damit wir mit aussagekräftigen, übersichtlichen Sachverhalten in den Austausch starten können.“ Dabei beginnt die erste Sperrung schon Mitte August.
Vor Herausforderungen stehen auch die Güterkunden im Nordwesten Brandenburgs. Die Sperrung wird dazu führen, dass ihre Bedienung künftig (noch) umständlicher wird. So müssten „besondere betriebliche Verfahren“ entwickelt werden, erklärt Henri Hessing. „Es ist vorgesehen, alternative Umschlagorte zu nutzen.“ Wenn Gleisanschlüsse in Nauen und Brieselang abgeklemmt werden, müsse die Kundschaft nach Wustermark ausweichen. Es werde aber auch Fahrten über Baugleise geben müssen. Nach den Plänen der Bahn ist zudem zu erwarten, dass Nebenstrecken wie Löwenberg – Neuruppin, auf denen außer Regionalzugverkehr auf dem Ostteil der Strecke kaum noch etwas los ist, wieder belebt werden. Das wird Bahnfans anlocken - allerdings werden die Züge nachts fahren.
Immerhin: Wenn 2026 die Bautrupps wieder abrücken, soll der Verkehr zwischen Berlin und Hamburg zumindest einige Jahre ungehindert von Großbaustellen rollen, verspricht die Bahn. In ihrer Präsentation ist von „Baufreiheit bis 2031“ die Rede.