Wagenknecht greift nach der Macht: „Alles, was es für Amt als Ministerpräsidentin braucht“
BSW-Ergebnis sei „Wahnsinn“
Wagenknecht greift nach der Macht: „Alles, was es für Amt als Ministerpräsidentin braucht“
Sahra Wagenknecht fasst nach der Europawahl hohe Ziele ins Auge. In Thüringen könnte sie sich eine Vertreterin des BSW als Ministerpräsidentin vorstellen.
Berlin – Für ihre Verhältnisse war das fast schon ein Kontrollverlust. Sahra Wagenknecht, oft so ungerührt wirkend, schien nach der Europawahl zu glühen vor Freude. Aus dem Stand hatte ihr Bündnis BSW über sechs Prozent erreicht, Wagenknecht sprach von „Wahnsinn“ und erinnerte daran, dass im Frühjahr selbst die banalsten Aufgaben noch eine Herausforderung darstellten. Zum Beispiel die benötigten Unterschriften, um an der Wahl teilzunehmen. „Schaffen wir das?“, habe sie sich gefragt. „Wir sind doch noch so klein.“
Knapp zwei Wochen ist das her, und Wagenknecht hat sich an den Erfolg rasch gewöhnt. Inzwischen denkt sie größer. Mit Blick auf die Wahlen im Osten spricht sie offen von Regierungsbeteiligung und das nicht zwingend nur als Juniorpartner. Sie habe „keinen Zweifel, dass wir gute Persönlichkeiten haben, die Aufgaben in einer Landesregierung übernehmen können“, sagte sie jetzt dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Die Thüringer Spitzenkandidatin Katja Wolf etwa, langjährige Oberbürgermeisterin von Eisenach, habe alles, „was es für das Amt als Ministerin oder auch Ministerpräsidentin braucht“.
BSW-Gründerin Sahra Wagenknecht bei einer Kundgebung in Berlin.
Wagenknecht in Ostdeutschland sehr beliebt – BSW-Aufstieg in rasantem Tempo
Dass Thüringens CDU-Chef Mario Voigt vom BSW noch immer als einer „Blackbox“ spricht, bei der man nicht wisse, was drinsteckt, ist da kein Widerspruch. Wagenknechts Beliebtheit, speziell im Osten, rührt auch daher, dass sie im politischen Spektrum so schwer zu verorten ist und für jeden etwas im Angebot hat. Gerade für die Unzufriedenen.
Der Aufstieg der jungen Partei vollzieht sich in rasendem Tempo, obwohl das BSW bisher bestenfalls als Gerüst existiert. Erst in vier Bundesländern gibt es Verbände, die übrigen zwölf sollen bis Jahresende folgen.
Weil man Wirrköpfe und Extremisten fernhalten will, nimmt man sich bei der Aufnahme von Mitgliedern bewusst Zeit. Ganze 700 sind es aktuell. Jeder Antrag wird penibel geprüft, alles läuft über sehr wenige Entscheider.
Auch die Vergabe von Posten. Der Spiegel berichtete neulich, dass Schlüsselstellen bevorzugt aus dem Bekanntenkreis von Wagenknecht und ihrem Ehemann Oskar Lafontaine besetzt werden. Vorsitzender des saarländischen Landesverbandes ist ein Cafébetreiber aus der Nachbarschaft.
Sahra Wagenknecht erlebt rauschhafte Zeiten – Bei Ukraine und Migration offene Fragen
Die Frau, die im vergangenen Herbst in ihrer politischen Heimat, der Linken, von vielen Parteifreunden nur noch als Nervensäge empfunden wurde, erlebt gerade rauschhafte Zeiten. Der Autor Klaus-Rüdiger Mai, der kürzlich eine Wagenknecht-Biografie veröffentlicht hat („Die Kommunistin“), nennt einen einfachen Grund: „Ihr gelingt es, so zu reden, dass die Leute nur das hören, was sie hören wollen, und das andere, was dazugehört, einfach überhören. Darin erlangt sie eine Perfektion, die ihr Aufmerksamkeit weit über das linke Lager hinaus beschert.“
Mit Blick auf die Ukraine spricht Wagenknecht beispielsweise von Friedensverhandlungen und einem Ende der Waffenlieferungen. Was sie verschweigt, ist das Leid der Ukrainer. Ähnlich ist es bei Migration (Was wird aus den Flüchtlingen?), Nato-Austritt (Wer schützt uns dann?) oder höherem Mindestlohn und Renten (Wie will sie das bezahlen?). Die Fragen drängen sich auf. Es stellt sie nur keiner.
CDU macht Unterschied zwischen Bodo Ramelow und Wagenknecht
Mai erinnert daran, dass Wagenknecht als Jugendliche die DDR kritisch sah – weil sie ihr nicht kommunistisch genug war. In ihrem Zimmer habe sie ein Bild von Walter Ulbricht aufgestellt, dem Staatschef, der den Arbeiteraufstand 1953 mit Moskaus Hilfe niederschlug. Den sowjetischen Diktator Stalin, der Millionen Bürger verhaften, deportieren, teilweise hinrichten ließ, verklärt sie in dieser Zeit als Staatenlenker, der ein „um Jahrhunderte zurückgebliebenes Land in eine moderne Großmacht“ verwandelt habe. Die Wende in Ostdeutschland bezeichnete sie als „Konterrevolution“.
Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) findet es „geradezu absurd“, dass die CDU einen Unvereinbarkeitsbeschluss zu seiner Partei mit Verweis auf die SED-Vergangenheit aufrechterhalte, beim BSW auf Länderebene aber aufgeschlossen sei. Wagenknecht gelte da als gesellschaftsfähig, wundert er sich in der Rheinischen Post. Während er der SED nicht einen einzigen Tag angehört habe, „kommt sie nun wirklich original aus dieser Denke“.
Weil Wagenknecht, die 6,2-Prozent-Frau vom Europawahlabend, in Thüringen allerdings schon bei über 20 Prozent liegt und ein Ende des Aufschwungs nicht abzusehen ist, mag auch Ramelow ein Bündnis nicht ausschließen. Hauptsache, die AfD lässt sich in Schach halten. Demokraten, argumentiert er, sollten „einander beistehen“.