FDP-Präsident Burkart setzt auf eine «Budgetkrankenkasse»
Nach dem Volks-Nein zu den Gesundheitsinitiativen von SP und Mitte stehen weitere Vorschläge im Raum. So funktionieren sie.
«Schwarze Schafe unter den Anbietern und eine ‹All you can eat›-Mentalität bei den Patienten»: FDP-Präsident Thierry Burkart will eine Budgetkrankenkasse, welche die Grundversorgung «weniger luxuriös» abdeckt.
Die Themen Gesundheit und Krankenkassen machen den Schweizerinnen und Schweizern am meisten Sorgen. Kein Wunder: Betrug die durchschnittliche Prämie Ende der Neunzigerjahre noch 128 Franken pro Monat, sind es heute 360 Franken.
Nach dem Volks-Nein zur Prämienentlastungsinitiative der SP und zur Kostenbremseinitiative der Mitte stellt sich deshalb die Frage: Wie weiter? Fest steht einstweilen nur, was das Volk nicht will: die Verschiebung der Prämienlast von den Privathaushalten hin zu Bund und Kantonen. Und keine Sparvorschrift mit ungewissem Resultat.
Das Parlament behandelt derzeit eine Vorlage zur Reduktion der Gesundheitskosten. Geschätztes Sparpotenzial laut Verwaltung: 800 Millionen Franken – das entspräche gut 2 Prämienprozent. Die Vorlage setzt bei den Medikamenten und besserer Koordination der Leistungserbringer an. Doch die einzelnen Vorhaben sind umstritten. Ausgang: ungewiss.
Mehrere Parteien machen deshalb weiter gehende Vorschläge, auch jene beiden, die bei den Abstimmungen am letzten Sonntag verloren haben. Einige dieser Konzepte sind neu, andere wurden wieder aus der Schublade geholt. Sie reichen von einer Budgetkrankenversicherung über die Einheitskasse bis zu einer Neuordnung des Spitalwesens.
«Das Prinzip ist einfach», sagt der FDP-Präsident über die Budgetkrankenkasse
Während das Parlament über Sparmassnahmen diskutiert, die im besten Fall 2 Prämienprozent Entlastung brächten, will die FDP, dass die Krankenkassen ihren Versicherten Budgetlösungen mit bis zu 25 Prozent Rabatt anbieten müssen. Die FDP hat diese Forderung schon vor Jahresfrist per Motion eingebracht, behandelt haben die Räte sie noch nicht.
«Das Prinzip ist einfach», sagt Parteipräsident Thierry Burkart: «Die Grundleistungen werden mit der Budgetkasse weiterhin erbracht, aber zu weniger luxuriösen Bedingungen.» Abstriche machen müssten Budgetversicherte etwa bei der Wahl von Arzt und Spitälern oder bei der Vergütung von Homöopathie und Psychotherapie. Es wäre auch möglich, dass sehr teure Behandlungen nur im Ausland erstattet würden. Budgetversicherte würden zu gewissen Vorsorgeuntersuchungen verpflichtet und müssten bei Nicht-Notfällen freiwillige Wartezeiten auf sich nehmen.
«Oft wird heute ein MRI innert Stunden nach dem Arzttermin durchgeführt, obwohl es sich nicht um einen Notfall handelt», sagt Burkart. Und: Budgetversicherte müssten sich an jedem medizinischen Fall mit 600 Franken beteiligen, womit viele Versicherte faktisch alle Gesundheitskosten selber bezahlen würden. Im Gegenzug würde die Prämie um ein Viertel sinken.
«Schwarze Schafe eliminieren»
Nach dem Abstimmungssieg vom vergangenen Sonntag – die FDP hatte die Nein-Kampagnen gegen die Gesundheitsinitiativen koordiniert – geht es Burkart darum, durch mehr Eigenverantwortung und Wettbewerb die Kosten zu senken. Die FDP verlangt in einem weiteren Vorstoss, den Vertragszwang zu lockern – das bedeutet, dass Krankenkassen nicht mehr gezwungen sind, mit allen Spitälern und Ärzten zusammenzuarbeiten, sondern Kriterien betreffend Kosten und Behandlungsqualität definieren können. «Schwarze Schafe» unter den Leistungserbringern gelte es zu eliminieren. Genauso sei die «herrschende ‹All you can eat›-Mentalität» bei den Versicherten ein Missstand, dem die Politik etwas entgegensetzen müsse. «Wer hingegen bereit ist, für die planbare Knie-OP zu dem Spezialisten zu gehen, der qualitativ den besten Leistungsausweis hat und seine Leistung zu einem vernünftigen Preis anbietet, soll eine tiefere Prämie haben.»
Burkart geht davon aus, dass der FDP-Vorstoss im Parlament gute Chancen hat. SP und Grüne werden voraussichtlich dagegen stimmen, auf die Mitte wird es ankommen.
Kosten senken mit einer Einheitskasse
Die SP will nicht mehr, sondern weniger Wettbewerb im Gesundheitswesen. 2025 will sie eine Initiative für eine Einheitskrankenkasse lancieren, die gemäss diversen Umfragen bei der Bevölkerung hoch im Kurs ist. Damit würde es anstelle der heute über 40 Krankenkassen nur noch eine geben oder auch eine pro Kanton oder Region.
Die Befürworter einer Einheitskasse erhoffen sich Kostensenkungen durch wegfallende Kassenwechsel, weniger überhöhte Cheflöhne und eine bessere Kontrolle der Leistungserbringer. Die Gegner befürchten das Gegenteil: Weil Versicherte die Kasse nicht mehr wechseln können, hätten diese keinen Anreiz mehr, möglichst kostengünstig zu arbeiten.
Gesundheitsexperten schätzen das Sparpotenzial einer Einheitskasse auf maximal 5 Prozent. Der Bund selber errechnete vor rund zehn Jahren Einsparungen von 1,6 Prozent der damaligen Prämienlast.
Die Grünen wollen einkommens- und vermögensabhängige Krankenkassenprämien. Das heutige super Gesundheitssystem sei für die einen ein Schnäppchen, für die anderen ein finanzieller Albtraum, sagt die Zuger Grünen-Nationalrätin Manuela Weichelt.
Einkommensabhängige Prämien schaffen
Die Grünen wollen das Prämiensystem umgestalten. Die Partei fordert einkommens- und vermögensabhängige Prämien nach dem Vorbild der Nichtbetriebsunfall-Versicherung.
«Heute bezahlen Superreiche gleich hohe Prämien wie jemand aus dem Mittelstand, das ist unsozial», sagt die Zuger Grünen-Nationalrätin Manuela Weichelt. «Unser super Gesundheitssystem ist für die einen ein Schnäppchen, für die meisten Haushalte sind jedoch die Prämien ein Albtraum.» Das System der individuellen Prämienverbilligung habe zudem ausgedient. Bei der Einführung Ende der Neunzigerjahre sei die maximale Prämienlast pro Haushalt mit etwa 8 Prozent des Einkommens beziffert worden. Heute betrage die Last bis zu 20 Prozent. Umfragen zeigten zudem, dass die Bevölkerung einkommensabhängige Prämien befürworten würde.
Der Nationalrat hat die parlamentarische Initiative der Grünen soeben abgelehnt. Sollte sie im Parlament durchfallen, prüfen die Grünen weitere Massnahmen «bis hin zu einer Volksinitiative», sagt Weichelt. Zudem hat die Partei nach dem Abstimmungssonntag die Petition «Gerechte Prämien jetzt!» lanciert, bis Samstagmittag hatte sie gut 4028 Unterschriften.
Spitäler in die Verantwortung des Bundes
Mitte-Präsident Gerhard Pfister fand nach der verlorenen Abstimmung über seine Kostenbremseinitiative deutliche Worte: Es brauche jetzt eine regionale Koordination im Gesundheitswesen, das Wettrüsten der Kantone zulasten der Steuer- und Prämienzahler müsse aufhören. Die Kantone seien offensichtlich «nicht willens», eine gute Gesundheitsversorgung für alle zu garantieren und gleichzeitig die Kosten im Blick zu haben, zitierte der «Tages-Anzeiger».
Ein Vorstoss, der in Pfisters Richtung zielt, hat der Zürcher GLP-Nationalrat und Pflegefachmann Patrick Hässig Ende Mai eingereicht. Der Bund soll nach seiner Ansicht für die Spitalplanung zuständig sein und das letzte Wort haben, in enger Zusammenarbeit mit den Kantonen. Das heisst: Der Bund soll auch Spitäler schliessen können. Hässig beruft sich auf einen Expertenbericht aus dem Jahr 2017, den der Bundesrat in Auftrag gegeben hatte. «Eine verbindliche regionale Spitalplanung war eine der wichtigsten Forderungen zur Kostenreduktion.» Doch die Bestimmungen seien nicht verbindlich genug, die Kantone koordinierten die Spitalplanung effektiv zu wenig oder gar nicht. Es gebe ein kostentreibendes Überangebot an Spitälern.
Der Zürcher GLP-Nationalrat Patrick Hässig will, dass der Bund schweizweit für die Spitäler zuständig ist und in letzter Kompetenz auch solche schliessen kann. Die Kantone koordinierten ihre Spitalpolitik untereinander zu wenig oder gar nicht.
Die Motion ist ein Tabubruch: Das Gesundheitswesen ist bis heute fest in der Hand der Kantone. Doch deren Versagen in diesem Bereich sei im Parlament breit erkannt, sagt Hässig. Er sei gespannt, wie viele den Mut haben würden, den Vorstoss mitzutragen. Bislang habe er zustimmende Reaktionen aus der SP, von den Grünen, der EVP, der Mitte und der FDP erhalten.
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