Die nächste teure AHV-Initiative fordert höhere Ehepaarrenten – der Bundesrat will keinen Gegenvorschlag
Eine Volksinitiative fordert höhere AHV-Renten für Ehepaare. Gian Ehrenzeller / Keystone
Die AHV ist ein Selbstbedienungsladen. Das war die Botschaft des Volks beim Urnengang vom März für die Initiative zur Erhöhung aller AHV-Renten. Der Beschluss kostet die AHV künftig etwa 4 bis 6 Milliarden Franken pro Jahr. Im Mai hatte der Bundesrat seine Vorschläge zur Finanzierung der Rechnung in die Vernehmlassung geschickt.
Doch es kann noch dicker kommen. Eine weitere potenziell teure AHV-Initiative war am Mittwoch im Bundesrat traktandiert. Der Vorstoss der Mitte-Partei fordert eine Erhöhung der Renten für Ehepaare. Heuer liegt die maximale AHV-Rente für Einzelpersonen bei 2450 Franken pro Monat. Ein Konkubinatspaar kann somit auf maximal 4900 Franken kommen. Bei Ehepaaren gibt es dagegen einen Deckel von 150 Prozent der Einzelrente – also bei 3675 Franken dieses Jahr.
Deshalb beklagen sich Betroffene bei Politikern und Medien oft über diese «Ungerechtigkeit». Die Initiative der Mitte-Partei fordert den Verzicht auf den Ehepaardeckel. Damit könnten Ehepaare künftig wie Konkubinatspaare gemessen am derzeitigen Rentenniveau auf maximal 4900 Franken pro Monat kommen.
Jagd nach einem Mythos
Das würde die AHV laut Bundesangaben nochmals 3,7 Milliarden Franken pro Jahr zusätzlich kosten. Von Anfang an war zu erwarten, dass es dafür im Bundesrat keine Mehrheit gibt. Unklar war dagegen, ob die Regierung einen Gegenvorschlag bringt. Am Mittwoch hat sich der Bundesrat nach kontroverser Diskussion dagegen entschieden. Die genannten Hauptgründe: Ehepaare seien gut abgesichert, und die Kosten der Initiative wären sehr hoch.
Die Heiratsstrafe in der AHV ist derzeit ein Mythos. Die Deckelung der Ehepaarrenten ist zwar ein Nachteil für Ehepaare im Vergleich zu Konkubinatspaaren, doch im Gegenzug gibt es auch bedeutende Vorteile: Witwen- und Witwerrenten, den Verwitwetenzuschlag auf den Renten sowie die Beitragsbefreiung von nichterwerbstätigen Ehepartnern in gewissen Fällen. Laut der jüngsten Bundesschätzung (für 2019) übersteigen die genannten Ehevorteile die Nachteile durch die Rentendeckelung um etwa 400 Millionen Franken pro Jahr. Aber wie meistens gilt: Betroffene klagen über die Nachteile und verschweigen die Vorteile. Witwen schreiben in der Regel keine Briefe und E-Mails an Politiker mit Forderungen zur Abschaffung der Witwenrente.
Witwenrenten im Visier
Das Bild könnte sich allerdings künftig verändern. Der Bundesrat hat im vergangenen Dezember seine Vorschläge zur Reform der Hinterlassenenrenten in die Vernehmlassung geschickt. Der Kernpunkt ist eine Reduktion der Witwenrenten. Der Treiber war neben Sparwünschen ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gegen die Schweiz wegen Diskriminierung von Witwern. Kommt diese Reform durch, würde der derzeitige Heiratsbonus in der AHV längerfristig zu einem Heiratsmalus von vielleicht etwa 500 Millionen Franken pro Jahr mutieren.
Eine Rentenerhöhung für Ehepaare von über 3 Milliarden Franken pro Jahr liesse sich damit bei weitem nicht rechtfertigen – sondern höchstens eine Erhöhung des Rentendeckels für Ehepaare von 150 auf 155 bis 160 Prozent der Einzelrente. Zurzeit ist aber überhaupt nicht klar, ob die vorgeschlagene Reduktion der Witwenrenten mehrheitsfähig ist. Das Parlament oder das Volk könnten die Sache stoppen. Hinzu kommt die Frage, inwieweit man nach dem Volksentscheid vom März zum AHV-Ausbau eine weitere Kostensteigerung des Sozialwerks beschliessen will, die erneut in erster Linie die Jüngeren tragen müssten.
Zudem gab es Zweifel, ob ein Gegenvorschlag mit einer Erhöhung des Ehepaar-Rentenplafonds zum Beispiel von 150 auf 155 bis 165 Prozent eine wirksame Bekämpfung der Volksinitiative der Mitte-Partei ermöglicht hätte. Wie so oft liesse sich so etwas höchstens nach einem Urnengang halbwegs schlüssig mutmassen. Aber auch dann würden Zweifel bleiben.
Theoretisch wäre es möglich gewesen, einen Gegenvorschlag in die laufende Reform der Hinterlassenenrenten zu integrieren. Aber auch eine eigenständige Vorlage für einen Gegenvorschlag galt als Möglichkeit. Mit dem Verzicht des Bundesrats auf einen Gegenvorschlag hat sich diese technische Frage vorderhand erledigt. Das schliesst allerdings nicht aus, dass das Parlament darauf zurückkommt.
Der Sinn des Deckels
Die Deckelung der Ehepaarrente auf 150 Prozent der Einzelrente hat inhaltlich ihren Sinn. Gemäss den Statistikern sind die Haushaltkosten in einem Haushalt mit zwei Erwachsenen typischerweise etwa 50 Prozent höher als in einem Haushalt mit einem Erwachsenen – und damit nicht doppelt so hoch. Das erklärt das Verhältnis von Ehepaarrente zu Einzelrente. Es löst indes die Ungleichbehandlung von Ehepaaren und Konkubinatspaaren nicht auf.
Doch der Vergleich zwischen Ehepaaren und Konkubinatspaaren ist grossenteils ein Phantom-Vergleich. Gemäss den jüngsten Bundesdaten (für 2018) sind 93 Prozent der zusammenlebenden Paare im Rentenalter verheiratet. Und wenn man eine Angleichung will, läge die Angleichung der kleinen Minderheit an die grosse Mehrheit viel näher als das Umgekehrte. Aber in der Politik sind Forderungen nach «Gleichbehandlung» typischerweise nur ein Vorwand, um Forderungen nach einem Ausbau zu verkaufen.
Die Mitte-Partei hat nebst ihrem AHV-Vorstoss auch eine Initiative zur Ehepaarbesteuerung eingereicht. Auch diese Initiative hat der Bundesrat am Mittwoch ohne Gegenvorschlag abgelehnt. Bei den Steuern will die Mitte-Partei ebenfalls Vergünstigungen für Ehepaare, obwohl es auch dort per saldo schon jetzt einen Heiratsbonus gibt. Bei den Steuern kämpft die Mitte-Partei für das Konzept der Ehe als Wirtschaftsgemeinschaft und gegen die Individualbesteuerung, bei der AHV fordert die Mitte die Individualbetrachtung. Solchen Opportunismus nennt man Politik.