Volkswagen-Konzern steigt beim E-Auto-Pionier Rivian ein und will damit auch die Probleme mit der eigenen Software lösen
Der neue VW-Partner Rivian steht für Elektromobilität: Die Firma stellt SUV, Pick-ups ;und leichte Nutzfahrzeuge her. Ein wichtiger Kunde ist Amazon. Mike Blake / Reuters
Der Volkswagen-Konzern unternimmt einen weiteren Schritt, um seine Softwareprobleme in den Griff zu bekommen. In der Nacht auf Mittwoch hat Europas grösster Autohersteller bekanntgegeben, ein Joint Venture mit Rivian zu gründen, einem amerikanischen Hersteller von Elektrofahrzeugen. Gemeinsam wollen die Partner Software-Architekturen entwickeln, die künftig in den Elektrofahrzeugen beider Unternehmen eingesetzt werden. Das Joint Venture soll jeweils zu gleichen Teilen gehalten und kontrolliert werden, hiess es.
Rivian-Aktionäre feiern den VW-Einstieg
Die Wolfsburger versprechen sich von der Partnerschaft eine Beschleunigung der harzenden Softwareentwicklung, die bereits zu starken Verzögerungen bei einigen Produktionsanläufen von neuen Modellen geführt hat, etwa bei den Töchtern Audi und Porsche. Zugleich wollen beide Seiten durch höhere Stückzahlen die Kosten pro Fahrzeug senken und weltweit Innovationen vorantreiben. Für Rivian dürfte ferner das gewonnene Kapital von grosser Bedeutung sein.
Der Volkswagen-Konzern will zunächst 1 Milliarde Dollar in Rivian in Form einer unbesicherten Wandelanleihe investieren. Nach Erhalt der behördlichen Genehmigungen soll sie frühestens am 1. Dezember 2024 in Stammaktien von Rivian gewandelt werden können. Zudem plant Volkswagen weitere Investitionen im Rahmen der Kooperation von bis zu 4 Milliarden Dollar in den kommenden Jahren. Rivian wiederum will bestehende Rechte des geistiges Eigentums an das Joint Venture lizenzieren.
An der Börse wurde die Meldung vor allem von den Rivian-Aktionären begeistert aufgenommen. Das ist ein Indiz dafür, dass die Transaktion vor allem erst einmal den Amerikanern hilft. Die Titel des Herstellers von elektrischen Geländewagen (SUV), Pick-ups und Nutzfahrzeugen schossen zeitweise um über 60 Prozent in die Höhe. Die Vorzugsaktien des Volkswagen-Konzerns gaben dagegen am Dienstag in einem ausgeglichenen Börsenumfeld bis zum Nachmittag um 2,5 Prozent nach.
Cariad hat die Erwartungen weit verfehlt
In einer gemeinsamen Videokonferenz erklärten der VW-Chef Oliver Blume und der Rivian-Gründer Robert Scaringe laut Medienberichten zudem, dass sie sich auch eine Kooperation bei Fahrzeugmodulen vorstellen können. Blume versteht die neuerliche Kooperation als Ergänzung zur bisherigen Software-Strategie des Konzerns. Die Software soll allerdings zugleich allen Marken des Unternehmens zur Verfügung stehen.
Volkswagen hatte vor einigen Jahren seine Software-Bemühungen in die Tochter Cariad ausgelagert und gebündelt. Die Sparte ist aber stark hinter den Erwartungen zurückgeblieben, auch weil die Kooperation mit den verschiedenen Marken des Volkswagen-Konzerns aufgrund unterschiedlicher Interessen sehr schwierig war und wie erwähnt zu starken Verzögerungen bei der Lancierung neuer Fahrzeuge geführt hatte. Diese Erfahrung gilt auch als ein Grund dafür, dass Blume den Konzern stärker für Partnerschaften in dem Bereich geöffnet hat.
Beobachter halten die Transaktion allerdings für halbherzig und hätten eine Mehrheitsbeteiligung von Volkswagen an Rivian bevorzugt. Dann hätte der Konzern zum Beispiel von einer positiven Aktienentwicklung von Rivian stärker profitiert und auch einen besseren Durchgriff auf die 2009 gegründete Elektroauto-Firma gehabt, an der ferner der amerikanische IT-Konzern Amazon rund 16 Prozent hält.
Zudem hätte für VW die Möglichkeit bestanden, Cariad als Nukleus für die hauseigene Software durch Rivian zu ersetzen. Das wäre im Wolfsburger Konzern mit seinen komplexen Strukturen und Interessen allerdings mit erheblichen internen Protesten einhergegangen, was ein Grund für die nun gefundene Transaktion sein könnte.
In China kooperiert VW mit Xpeng
Mitte April hatte Volkswagen bereits bekanntgegeben, im Reich der Mitte mit dem chinesischen Elektroauto-Startup Xpeng eine eigene elektronische Architektur für den dortigen Markt entwickeln zu wollen. Diese soll ab dem Jahr 2026 in allen vor Ort gefertigten Modellen eingesetzt werden. Dadurch will Volkswagen unter anderem die Kosten senken, um im harten chinesischen Preiswettbewerb vor allem bei Elektroautos mitzuhalten. Im Juli vergangenen Jahres waren die Wolfsburger schon mit 5 Prozent bei Xpeng eingestiegen und hatten zu diesem Zweck 700 Millionen Dollar investiert.
Der Konzern steht in China, seinem mit Abstand wichtigsten Markt auf der Welt, stark unter Druck. Im Reich der Mitte verkauft Volkswagen mehr als jedes dritte Auto. Allerdings kommen die E-Auto des Unternehmens bis jetzt nicht besonders gut bei den Kunden an. Das war auch der wesentliche Grund dafür, warum Volkswagen seine Position als meistverkaufte Automarke in China im vergangenen Jahr an den lokalen Elektroauto-Hersteller BYD verloren hat.
Mit der hauseigenen Cariad sowie den Kooperationen mit Xpeng und nun Rivian dürfte die Komplexität im Volkswagen-Reich jedoch noch stärker zunehmen. Beobachter halten es allerdings für sinnvoll, angesichts der steigenden geostrategischen Spannungen zwischen China und den USA in zwei Software-Welten zu denken und entsprechend die Software-Architekturen für die jeweils unterschiedlichen Märkte auseinanderzuhalten. Die europäischen Fahrzeuge dürften künftig dann zur amerikanische Software-Hemisphäre zählen.