«Ich verspreche: Wir tun alles, um diese EM zu gewinnen»
Am Tag nach dem grossen 2:0-Sieg gegen Italien spricht der Schweizer Captain sehr offen über vergangene Probleme und die aktuelle Lage der Mannschaft.
Demonstration der Stärke: Captain Granit Xhaka und Ricardo Rodriguez feiern das 2:0 der Schweiz gegen Italien.
Er kommt ein wenig später als angekündigt. Rehabilitation im Hotel war angesagt für Granit Xhaka. Und als ihn auf dem Weg zu den Medien ein paar Kinder nach Autogrammen fragen, mag er sie nicht im sprichwörtlichen Regen stehen lassen.
So läuft in Gelsenkirchen bereits die Partie zwischen Viertelfinalgegner England und der Slowakei, als der Schweizer Captain in Stuttgart seinen Auftritt hat. Kaum hat er sich gesetzt, geht die Slowakei in Führung. Dann beginnt Xhaka über das bisherige Turnier der Schweiz zu reden. Und mit jedem Wort wird klarer, dass dieses Team tatsächlich alles haben könnte, um an dieser EM ganz weit zu kommen.
… die Aussichten der Schweiz an dieser Europameisterschaft.
Ich werde nicht sagen, dass wir die EM gewinnen werden. Aber ich kann versprechen, dass wir alles tun werden, damit uns das gelingt. Natürlich. Jeder Spieler will Pokale gewinnen. Wir haben unser erstes Ziel erreicht, als wir die Gruppenphase überstanden haben. Jetzt haben wir unser zweites Ziel erreicht, den Viertelfinal. Ich habe das Gefühl, dass wir hier noch nicht fertig sind.
… das Spiel gegen Italien.
Jeder Sieg gibt dir Selbstvertrauen. Aber so ein Spiel wie gegen Italien gibt dir noch viel mehr als Selbstvertrauen. Weil es nicht um das Resultat allein geht, sondern darum, wie wir aufgetreten sind: mit diesem Mindset, mit dieser Intensität gegen einen grossen Gegner. Wir wissen alle noch, wie sie uns vor drei Jahren mit 3:0 besiegt haben in Rom. Der Schmerz war vor dem Spiel noch immer da. Gestern wollten wir unbedingt weiterkommen, wir wollten unbedingt gewinnen. Ich habe die Italiener auf dem Platz noch nie so leise erlebt. Vor drei Jahren haben sie uns mit ihrer Körpersprache kaputtgemacht. Gestern war es umgekehrt.
… die schwierige Zeit der Qualifikationsspiele.
In meiner Zeit als Nationalspieler hatten wir nie so eine Phase wie vor sechs Monaten. Eigentlich war es vorher immer aufwärtsgegangen. Und dann diese Zeit, in der wir nicht das gebracht haben, was uns immer stark gemacht hat in den letzten Jahren. Wir wussten, dass das nicht reicht. Ich glaube, diese Phase hat uns die Augen geöffnet. Sie hat mir die Augen geöffnet. Sie hat mir gezeigt, dass ich mehr machen muss. Dass ich als Captain nicht meine Rolle erfüllt habe, wie ich das eigentlich tun müsste. Auch in meiner Kommunikation mit dem Trainer.
… was sich nach der Qualifikation geändert hat.
Ich hatte bereits im März in den Freundschaftsspielen gegen Irland und Dänemark ein super Gefühl nach den Spielen, auch wenn wir nicht gewonnen haben. Aber es hat sich irgendetwas geändert in der Mannschaft. Wir waren viel kommunikativer zusammen, viel offener, viel ehrlicher. Wir haben gesagt, wenn etwas nicht in Ordnung war. Das hat uns in der Qualifikation noch gefehlt. Man sieht einmal mehr, dass man erwachsen genug sein muss, um Dinge anzusprechen und gewisse Sachen auch zu akzeptieren.
… welchen Einfluss die Besuche von Murat Yakin bei ihm in Düsseldorf auf das aktuelle Hoch hatten.
Als Muri bei mir war, ging es zu achtzig, neunzig Prozent nicht um Fussball, sondern um andere Dinge. Es ging um die Organisation an der Europameisterschaft. Darum, wo wir trainieren werden, wo unser Hotel ist. Weniger um taktische Dinge. Ich glaube, da weiss der Trainer viel besser Bescheid. Am Ende geht es nicht ums System, nicht darum, ob du Vierer- oder Dreierkette spielst. Es geht um Leidenschaft, um Energie.
… seine aktuelle Beziehung zum Nationaltrainer.
Ich bin ein Spieler, der das totale Vertrauen des Trainers braucht und auch diese Wärme. Ich glaube, das ist mit Muri mittlerweile sehr, sehr gut. Wir reden inzwischen offen über ganz viele Dinge. Es ist nicht so, dass das am Anfang nicht auch so war. Aber man macht Fehler. Auch ich habe Fehler gemacht. Aber man lernt daraus. Ich bin froh, dass die Vergangenheit Vergangenheit ist. Und jetzt sieht man, dass man Erfolg haben kann, wenn die Kommunikation sehr offen und sehr ehrlich ist. Nicht nur mit mir, sondern mit allen Spielern. Wir sind sehr hungrig. Mittlerweile hungriger als je zuvor.
… seine Ruhe, die er an dieser EM ausstrahlt.
Ich bin ja eigentlich ein Fan davon, etwas zu machen. Ich war auch kurz davor, etwas zu machen, aber ich habe es gelassen. Nein, ich werde nicht sagen, was es gewesen wäre. Und es tut schon gut, dass wir mal gar keine Unruhe haben, dass wir uns ganz auf den Fussball konzentrieren können.
… den Schreckmoment im Italien-Spiel, als er ein Schmerzmittel nehmen musste.
Als wir am Donnerstag Penaltyschiessen geübt haben, habe ich nach dem ersten Schuss etwas an den Adduktoren gespürt. Darum habe ich am Freitag nicht mit dem Team trainiert. Im Spiel habe ich dann nach 15 Minuten etwas Kleines bemerkt. Aber dafür hat man Ärzte. Und ich konnte ja 90 Minuten durchspielen. Das war für mich sehr wichtig. Jetzt kann der Schmerz ruhig mal da sein, wir haben ja sieben Tage Zeit. Grundsätzlich ist mein Fitnesslevel sehr hoch.
… seine beiden Mädchen und wie sie ihn an der EM erleben.
Klar, die Grosse versteht natürlich ein bisschen mehr als die Kleine. Beide wissen inzwischen, dass der Papa viel unterwegs ist. Ich konnte sie vor dem Spiel gegen Deutschland noch kurz in Köln sehen. Am Samstag wird die Grössere auf jeden Fall im Stadion sein. Weil am Sonntag keine Schule ist, wäre auch ein Penaltyschiessen kein Problem, da kann sie gut etwas länger bleiben. Aber ich habe beiden gesagt, dass ich erst nach Hause komme, wenn etwas Grosses geschehen ist.
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